Kulturelle Teilhabe

Vertragsunterzeichnung RomArchive am 27. März 2019 © Nihad Nino Pušija

Im Rahmen seiner Arbeit für kulturelle Teilhabe setzt der Zentralrat sich ein für die Stärkung der kulturpolitischen Position der Minderheit in Deutschland und Europa. Das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten verlangt in seinem Artikel 15 von den Unterzeichnerstaaten, dass sie die notwendigen Voraussetzungen schaffen für die wirksame Teilnahme von Angehörigen nationaler Minderheiten am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben und an öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere denjenigen, die sie betreffen. Ziel ist vor allem, die Chancengleichheit und damit die Voraussetzung für die tatsächliche Gleichheit zwischen Angehörigen nationaler Minderheiten und Angehörigen der Mehrheit zu fördern. Den Vertragsstaaten stehen dazu unterschiedliche Wege offen, wie zum Beispiel die wirksame Beteiligung von Angehörigen nationaler Minderheiten an Entscheidungsprozessen und gewählten Gremien sowohl auf nationaler als auch auf kommunaler Ebene.

Als repräsentative Interessenvertretung der deutschen Sinti und Roma vertritt der Zentralrat die kulturpolitischen Belange der Minderheit auf unterschiedlichen Ebenen: Er ist Mitglied in  zahlreichen nationalen und internationalen Gremien, setzt sich ein für die Stärkung der lokalen und regionalen Strukturen, insbesondere für lokale kulturpolitische Arbeit, fördert – insbesondere durch das Digitale Archiv RomArchive und das European Roma Institute (ERI) – die Vernetzung mit internationalen Akteuren und ist eine Schnittstelle zwischen Kulturschaffenden der Sinti und Roma und Politik und Gesellschaft.

Zu den aktuellen Forderungen des Zentralrats im Bereich der kulturellen Teilhabe gehört die Verankerung der jahrhundertealten Geschichte von Sinti und Roma in den Bildungsplänen und Bildungsmaterialien der Schulen, die Einbeziehung der Sinti und Roma in kulturpolitische Stiftungen (wie den Deutschen Kulturrat) und die Beteiligung von Vertretern der Sinti und Roma in Rundfunkräten und Landesmedienanstalten.

RomArchive

RomArchive, das Digitale Archiv der Sinti und Roma, ist seit dem 24. Januar 2019 online und macht die Künste und Kulturen der Roma und ihren Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte endlich sichtbar. Durch von Roma und Sinti selbst erzählte Geschichten schafft RomArchive eine im Internet international zugängliche, verlässliche Wissensquelle, die Stereotypen und Vorurteilen mit Fakten begegnet. 

Inhaltlich haben 14 Kurator_innen die Darstellung bestimmt und exemplarisch künstlerische Beiträge für die Archivbereiche Bildende Kunst, Film, Literatur, Musik, Tanz, Theater und Drama und den interdisziplinären Bereich Flamenco ausgewählt, darüber hinaus Material zur Bilderpolitik, Selbstzeugnisse im Zusammenhang mit der Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus sowie wissenschaftliches Material zur Bürgerrechtsbewegung. Mit den verschiedenen Arbeitsgruppen sind etwa 150 Akteure aus 15 Ländern europaweit und darüber hinaus am Projekt beteiligt. Sie bilden ein weltweites Netzwerk von Kulturschaffenden, Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen, die hauptsächlich zur Minderheit gehören und RomArchive zum derzeit größten Kulturprojekt von, für und mit Sinti und Roma machen, in dem das Prinzip der „Romani Leadership“ konsequent umgesetzt wird. 

Die auf ständigen Zuwachs angelegte Sammlung des Archivs spiegelt exemplarisch die enorme Bandbreite und Diversität von kulturellen Identitäten und nationalen Eigenheiten wider, anstatt ein realitätsfremdes Bild einer homogenen „Roma- Kultur“ zu vermitteln. Der Reichtum einer jahrhundertealten und bis in die Gegenwart überaus lebendigen und vielseitigen künstlerischen und kulturellen Produktion wird hier erstmals in diesem Umfang öffentlich sichtbar.

Seit der Unterzeichnung des Übernahmevertrags am 27. März 2019 steht das RomArchive unter der Trägerschaft des Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. In den Jahren des Aufbaus bis zum Launch von RomArchive (2015–2019), stand das Projekt unter der Trägerschaft der sauerbrey | raabe gUG (haftungsbeschränkt) und wurde von der Kulturstiftung des Bundes mit 3,75 Millionen Euro unterstützt.

www.romarchive.eu

Literatur der Sinti und Roma

Sinti und Roma haben eine lange Geschichte, die im deutschen Sprachraum bis ins Mittelalter zurückreicht. Und sie haben eine gemeinsame Sprache – das Romanes, das in verschiedenen Varianten gesprochen wird. Aber gibt es auch eine eigene „Roma-Literatur“? Und wenn ja – was zeichnet sie aus? Gibt es spezielle Themen und Motive? Um diese Fragen mit einem breiten Fachpublikum zu diskutieren und um Autorinnen und Autoren aus der Minderheit die Möglichkeit zu geben, mit Verlagen, Übersetzerinnen und Übersetzern und anderen in der Buchbranche tätigen Menschen in Kontakt zu kommen, waren der Zentralrat und das Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma 2019 erstmals mit einem eigenen Stand auf der Buchmesse Frankfurt vertreten. 

Präsentiert wurde deutsche und europäische Literatur von Sinti und Roma. Dazu lud der Zentralrat Autorinnen und Autoren ein und ließ bei einer Podiumsdiskussion im „Weltempfang“, dem Buchmesse-Zentrum für Politik, Literatur und Übersetzung, Experten aus der Minderheit und aus der Mehrheitsgesellschaft über Roma-Literatur diskutieren. Der Stand für 2020 ist bereits gebucht. Ob die Buchmesse in diesem Jahr wird stattfinden können, ist wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie noch ungewiss. Alternativ erarbeiten Zentralrat und Dokumentationszentrum derzeit ein Online-Programm zur Präsentation literarischer Beiträge der Minderheit.

Die Roma und Sinti Philharmoniker

Mit den Roma und Sinti Philharmonikern besteht eine langjährige Kooperation, die auf Projektebene CDs publiziert und nationale und internationale Konzerte organisiert. Die Roma und Sinti Philharmoniker sind ein Projektorchester unter dem Dach des Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma Frankfurt am Main e.V. Es besteht aus professionell ausgebildeten Roma- und Sinti-Musikern, die hauptberuflich in Sinfonie- und Opernorchestern Europas engagiert sind. Es wird von Riccardo M Sahiti künstlerisch geleitet. Die Roma und Sinti Philharmoniker haben sich zum Ziel gesetzt, das musikalische Erbe der Roma und Sinti mit ihrer jahrhundertealten Musiktradition und ihren mannigfaltigen Einflüssen auf die klassische Musik aufzuzeigen und zu bewahren. Sie führen Werke auf, die die stilistische Einflussnahme durch die Musik der Roma und Sinti in sich tragen. Die Roma und Sinti Philharmoniker verstehen sich als Botschafter der Roma- und Sinti-Musikkultur, aber auch einer völkerverbindenden Botschaft über Staats- und Kulturgrenzen hinweg.

Die Roma und Sinti Philharmoniker traten auf Festivals wie dem Menuhin Festival Gstaad, dem Beethovenfest Bonn, dem Heidelberger Frühling und den Classic Nights Brauweiler auf, ebenso in Konzertsälen wie der Philharmonie Berlin, dem Staatstheater und Kurhaus Wiesbaden, der Alten Oper Frankfurt, dem hr-Sendesaal Frankfurt, der Paulskirche Frankfurt, der Nieuwe Kerk Amsterdam und der Frauenkirche Dresden. Mit Aufführungen des »Requiems für Auschwitz« von Roger Moreno-Rathgeb in mehreren Großstädten Europas erlangte das Orchester ebenso viel Aufmerksamkeit wie durch eine 54-minütige, in verschiedenen Sendern ausgestrahlte Dokumentation des Kultursenders arte mit dem Titel »Der Dirigent und sein Traum – die Roma und Sinti Philharmoniker« in der Regie von Margarete Kreuzer. Zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma am 2. August 2019 musizierte das Orchester das »Requiem für Auschwitz« in Krakau und umrahmte musikalisch die Gedenkstunde zur Erinnerung an den Völkermord der Roma und Sinti in Auschwitz-Birkenau am Mahnmal der Sinti und Roma.

https://www.rsphil.com/

Spracherhalt und Förderung

Die deutschen Sinti und Roma verwenden untereinander neben Deutsch als zweite Muttersprache Romanes. Das circa 2000 Jahre alte Romanes ist eine eigenständige Sprache mit Ursprüngen im altindischen Sanskrit. Der NS-Völkermord bedeutete nicht nur einen kulturellen Bruch, sondern hatte auch zur Folge, dass sich viele Sinti und Roma nicht als solche zu erkennen gaben und Romanes deshalb nur noch eingeschränkt nutzten. Der damit verbundene Sprachverlust ist teilweise bis heute spürbar. Viele deutsche Sinti und Roma vertreten die Auffassung, dass mit Rücksicht auf die Erfahrungen der Überlebenden des Völkermordes Romanes nicht an Außenstehende im staatlichen Bildungssystem vermittelt werden soll. Ein entsprechender Sprachunterricht ist im staatlichen Schulsystem nicht vorgesehen.

Eine Kodifizierung des deutschen Romanes gibt es noch nicht. Der öffentliche Gebrauch des Romanes ist lange Zeit von vielen Angehörigen der Minderheit aus historischen Gründen abgelehnt worden. Mittlerweile ist die interne Diskussion um den Spracherhalt und die Sprachpflege fortgeschritten. Reinhold Lagrene, ehemals Leiter im Referat Bildung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, sah es als seine Aufgabe an, das Bewusstsein der Sinti und Roma für die Bedeutung der eigenen Sprache zu stärken. Er übersetzte Gedichte – deutsche Klassiker – ins Romanes und wollte damit zeigen, dass das Romanes eine Sprache ist, deren Lebendigkeit und Vielfalt sich ebenso für den lyrischen Ausdruck eignet wie die Sprache der von ihm übersetzten Werke. 2018 erschien unter dem Titel Djiparmissa eine Sammlung dieser von ihm ins Romanes der deutschen Sinti und Roma übertragenen klassischen deutschen Gedichte. Das Dokumentations- und Kulturzentrum organisiert regelmäßig Lesungen zusammen mit Ilona Lagrene, der Vorsitzenden des Literatur- und Kulturvereins deutscher Sinti, die das Buch unter anderem 2019 auf der Buchmesse in Frankfurt und den Heidelberger Literaturtagen vorgestellt hat.

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