Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt RomArchive

Dokumentation der Beiträge von Sinti und Roma zur deutschen und europäischen Kultur ist online
Roma und Sinti Philharmoniker unter Riccardo M Sahiti spielen Astor Piazzolla © Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Das von der Kulturstiftung des Bundes über fast vier Jahre geförderte Projekt RomArchive wurde am 24. Januar 2019 im Rahmen einer Festveranstaltung in der Berliner Akademie der Künste der Öffentlichkeit vorgestellt und die dazugehörige website www.romarchive.de online gestellt.

Für den Vorsitzenden des Zentralrates, Romani Rose, ist dies eine neue Form der Darstellung von Sinti und Roma in den neuen Medien.  Erstmals werden auf europäischer Ebene die kulturellen Beiträge von Roma aus ganz Europa zugänglich gemacht und zwar in einer Vielzahl von Bereichen und in einer beeindruckenden Vielfalt von Beiträgen. 

In den insgesamt zehn Sektionen des Projekts wird ein umfassender Blick auf die Vielfalt der europäischen Roma-Kulturen möglich gemacht.  

Romani Rose unterstrich in seinem Grußwort, daß die Arbeit des RomArchive nicht endet : “ Das RomArchive ist da, und es wird gleichwohl nie fertig sein, sondern es soll und wird sich weiter entwickeln und die Vielfalt der kulturellen Leistungen von Sinti und Roma in Deutschland und in Europa dokumentieren und zugänglich machen.

RomArchive wird vom European Roma Insitute for Arts and Culture in Berlin auf europäischer Ebene weitergeführt werden.  Das bedeutet auch, daß aus vielen europäischen Ländern neue Themen dokumentiert und erforscht werden müssen.  Hierfür müssen die europäischen Institutionen wie die Regierung in den jeweiligen Ländern Verantwortung übernehmen, und es müssen von dort angemessene Mittel bereit gestellt werden, um die Institution des RomArchive international weiter auszubauen.“

 

Romani Rose : Grußwort zu RomArchive Launch, 

Berlin, Akademie der Künste, 24. Januar 2019

Meine sehr geehrte Damen und Herren,

Das Ziel für das RomArchive ist es, das kulturelle Erbe von Sinti und Roma zu dokumentieren und den hohen Wert dieser Kultur, die lange ausgegrenzt und – wie während des Nationalsozialismus – systematisch zerstört wurde, und die lange unsichtbar war, der Öffentlichkeit nahezubringen.  Deshalb hatte und hat dieses Projekt für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und für unsere gesamte Minderheit eine so große Bedeutung. 

Daß das Projekt RomArchive mit dem heutigen Tag online geht, ist ein wirklich guter Tag für Sinti und Roma in Deutschland und in Europa !  Ich danke allen, die am Entstehen dieses Projektes mitgewirkt haben.

Es brauchte für das Projekt RomArchive einen besonderen Ansatz, um die Perspektive der Minderheit nicht nur zu reklamieren, sondern tatsächlich zur Grundlage der Arbeit zu machen.  Denn es geht bei diesem Projekt darum, Sinti und Roma in ihren Heimatländern in Europa sichtbar werden zu lassen durch die Dokumentation der vielfältigen kulturellen Beiträge, die unsere Minderheit geleistet haben.

Sinti und Roma sind seit über 600 Jahren in Deutschland wie in ihren anderen Heimatländern in Europa ansässig.  Sie haben als Bürger in ihren Ländern wertvolle Beiträge geliefert nicht allein im Bereich der Musik – die Einflüsse auf die Wiener Klassik sind hinreichend bekannt und auf der Webseite des RomArchive finden Sie bemerkenswerte Beispiele – sondern vor allem auch im Bereich der Literatur, der Malerei und des Films.

Deshalb war und ist für uns das Projekt RomArchive eine Herausforderung und eine Chance.  Eine Chance vor allen Dingen, weil hier Sinti und Roma als Kuratoren eine neue, quer zu traditionellen Wahrnehmungsmustern stehende Perspektive entwickeln konnten und können.  Die „Bilderpolitik“ der gibt hier einen wirklich neuen Maßstab für die fotografischen Präsentation vor.

Als der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begann, Dokumente für unsere Ausstellung im Heidelberger Dokumentationszentrum zu sammeln, war dies – gerade bei Fotografien – auch für uns schwierig, Bilder der ermordeten Angehörigen von den Familien zu bekommen – das setzte ein hohes Maß an Vertrauen voraus, weil viele Familien in der Vergangenheit bei der fremdbestimmten Verwendung dieser Bilder negative Erfahrungen machen mußten.  Wir konnten dann in unserer Ausstellung erstmals diese Perspektive entwickeln, die die Erfahrung der Minderheit in den Mittelpunkt stellt.  Diese Perspektive hat auch das RomArchive als Ausgangpunkt nehmen können.

Das RomArchive hat so viele weitere Facetten, von denen ich hier nur wenige hervorheben will:
Das Projekt ist ein – bei allen Schwierigkeiten – dialogisches Projekt geworden, bei dem zum einen die Perspektive der Minderheit zum entscheidenden Kriterium für die Präsentation der Bilder und Dokumente, der Film- und Tonbeispiele gemacht, und gleichzeitig die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Minderheit und Mehrheit – in beiden Richtungen wohlgemerkt – als Normalität etabliert wurde.

Das war und ist bei den Materialien, um die es geht, keine Selbstverständlichkeit.  Denn die Materialien selbst sind nie unabhängig von ihrem Kontext zu betrachten gewesen; sie haben oft genug, etwa wenn es um historische Darstellungen geht, schlimmer noch wenn es um die Verfolgungsgeschichte geht, einen dezidiert antiziganistischen Charakter. 

Verfolgung und Vernichtung ist für unsere gesamte Minderheit in Europa eine gemeinsame Erfahrung und bestimmt unserer Identität. Die im Bereich „Stimmen der Verfolgten“ gezeigten neuen Dokumente, wie etwa der Bericht aus Kroatien, die von Sprecherinnen und Sprechern auch in Romanes zu hören sind, sind bedrückend.  Es ist wichtig, daß diese Geschichte der NS-Verfolgung als ein Teil unserer gemeinsamen Geschichte in Deutschland und in Europa wahrgenommen und begriffen wird.  Die Quellen hierzu stammen ausschließlich von Sinti und Roma selbst, sind also „Stimmen der Verfolgten“, die jahrzehntelang ungehört geblieben sind.

Das Projekt zeigt, daß Roma in Europa gerade keine homogene Gruppe sind, sondern sich entsprechend den unterschiedlichen Geschichtsverläuften in den jeweiligen Staaten und Regionen in vielfältiger Weise unterscheiden.  Dieser Aspekt erscheint mir gerade deshalb wichtig, weil wir aktuell in einer Zeit zu leben scheinen, in der die Homogenität des Nationalstaates wieder eine ungesunde Dimension anzunehmen droht.  Vielfalt wird nicht als Bereicherung unseres Lebens, sondern seit einiger Zeit geradezu als Bedrohung der Nation dargestellt und empfunden.

Eigentlich möchte ich jetzt jeden Themenbereich besonders gewürdigen, aber das können Sie alles selbst tun, wenn Sie die Webseite des RomArchive besuchen : www.romarchive.eu !

Das Projekt war und ist eine Schatzsuche, und die jetzt präsentierten Themen zeigen tatsächlich Schätze europäischer Kultur und vor allen Dingen die Beiträge von Sinti und Roma zur deutschen und zur europäischen Kultur.

Hierfür ist allen zu danken :

  • den Vertretern der Kulturstiftung des Bundes, Frau Hortensia Völkers und Frau Kirsten Hass, für die Förderung dieser Initiative,
  • der Bundeszentrale für politische Bildung, Herrn Thomas Krüger, der die Weiterführung des Projekts maßgeblich unterstützt,
  • den vielen engagierten Mitgliedern des Beirats, ich nenne hier nur stellvertretend Frau Nicoleta Bitsu, und
  • den Kuratorinnen und Kuratoren, insbeondere aber
  • den vielen Mitwirkenden bei der Realisierung des Projekts, und dann vor allen Dingen
  • Frau Franziska Sauerbrey und Frau Isabel Raabe, die dieses Vorhaben überhaupt erst initiiert haben.

Das RomArchive ist da, und es wird gleichwohl nie fertig sein, sondern es soll und wird sich weiter entwickeln und die Vielfalt der kulturellen Leistungen von Sinti und Roma in Deutschland und in Europa dokumentieren und zugänglich machen.

Das bedeutet auch, daß aus vielen europäischen Ländern neue Themen dokumentiert und erforscht werden müssen.  Hierfür müssen die europäischen Institutionen wie die Regierung in den jeweiligen Ländern Verantwortung übernehmen, und es müssen von dort angemessene Mittel bereit gestellt werden, um die Institution des RomArchive international weiter auszubauen.  Ich wünsche dem RomArchive in Zukunft viele Besucher und vor allen Dingen eine stabile Basis und ein nachhaltiges Wachstum.

Ihnen allen nochmals großen Dank !

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