„Denn sie rauben sehr geschwind jedes böse Gassenkind“

„Zigeuner“-Bilder in Kinder und Jugendmedien

Unter Mitwirkung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma sowie der Gesellschaft für
Antiziganismusforschung veranstalteten die Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien (AJuM) und die Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld im März 2016 eine zweitägige Tagung zum Thema: „Zigeuner“-Bilder in Kinder- und Jugendmedien. Mit dieser Tagung sollte ein interdisziplinärer Austausch und eine grundlegende Auseinandersetzung über „Zigeuner“ Bilder in Medien, die sich wesentlich an Kinder und Jugendliche richten, angeregt werden. Dabei bildeten didaktische
und bildungspolitische Fragen einen Schwerpunkt der Veranstaltung.

Die Mehrzahl der Tagungsvorträge ist nun im letzten Jahr unter dem Titel „‚Denn sie rauben sehr geschwind jedes böse Gassenkind‘ – ‚Zigeuner‘-Bilder in Kinder und Jugendmedien“ im Wallstein-Verlag herausgegeben worden. In den 17 Beiträgen des Bandes
werfen die Autoren historische, literatur- und kulturtheoretische Schlaglichter auf Kinder- und Jugendbücher, -hörspiele und -filme, die „Zigeuner“ als das ‚Fremde‘, als ‚Exoten‘, ‚asoziale Außenseiter‘ oder ‚liebenswürdige Nonkonformisten‘ stilisieren. Sie weisen dabei die Problematik von „Zigeuner“-Klischees insbesondere auch in bekannten ‚Klassikern‘ der Gegenwart wie Enid Blytons Fünf-FreundeReihe nach.

Die Autoren bemühen sich dabei sehr um eine differenzierte Debatte. So beschreibt beispielsweise Peter Bell in seinem Beitrag, wie im Disney-Film Glöckner von Notre Dame zwar die Diversität der Protagonisten in einem versöhnlichen Happy End akzeptiert und ihre Integration moralisch eindeutig gefordert wird. Gleichzeitig erkennt er aber auch in diesem Narrativ ein „Sediment von Klischee“, das bleibt, insofern hier stereotype „Zigeuner“-Figuren lediglich sympathischer gezeichnet, jedoch solche Stereotype nicht grundsätzlich hinterfragt werden. An diesem und anderen Beispielen wird die besondere Problematik von „Zigeuner“-Darstellungen in Kinder-und Jugendmedien deutlich: Kinder und Jugendliche werden durch solche Darstellungen häufig zum ersten Mal mit dem Begriff „Zigeuner“ konfrontiert. Ihr erster und grundlegender Eindruck von der Minderheit der Sinti und Roma wird damit durch eine pauschalisierende Tendenz gefärbt. Wie man es besser machen kann, wird in dem Band an der Comic-Serie Gypsies und der von einer Romni verfassten
schwedischen Kinderbuchserie Katitzi gezeigt.

Das Buch verdeutlicht in dieser Weise die Relevanz der Thematik sowie die Dringlichkeit weiterer Forschungsarbeit und einer kritisch geführten gesellschaftlichen Debatte. Die Aktualität seines Anliegens hat erst im letzten Jahr die Debatte um den Kinder-Film Nellys
Abenteuer bewiesen. 

herausgegeben von Petra Josting, Caroline Roeder, Frank Reuter und Ute Woltes, Wallstein Verlag, Göttingen 2017