Stellungnahme zur Änderung des Grundgesetzes zur Ersetzung der Wörter „seiner Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unterstützt das Vorhaben den Begriff „Rasse“ aus unserem Grundgesetz zu streichen und durch eine Neuformulierung zu ersetzen die auf rassistische Diskriminierung abzielt und bestehende Schutzlücken damit schließt. Der Rechtsstaat braucht geeignete Formulierungen, um rassistischer Diskriminierung und Benachteiligung wirksam entgegenzutreten.

Rassismus ist nichts Statisches, sondern er unterliegt Konjunkturen, er artikuliert sich heute verstärkt kulturalistisch, biopolitisch und ethnisierend und ist nicht mehr ein reiner „rassenbiologischer“ Abwertungsrassismus. Das betrifft gerade auch Sinti und Roma, die vielfältige rassistische, genauer gesagt antiziganistische Diskriminierungen erleben müssen.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unterstützt die Abkehr vom Begriff „Rasse“ im Grundgesetz, hat aber gegenüber der im Diskussionsentwurf des BMJVs vorgelegten verwendet Formulierung „aus rassistischen Gründen“ erhebliche Bedenken und hält sie für nicht geeignet.

Durch die vorgeschlagene Formulierung „aus rassistischen Gründen“ erscheint der Schutzbereich des GG eingeengt und stellt damit gegebenenfalls eine Verschlechterung des Schutzniveaus dar. Die Formulierung „aus rassistischen Gründen“ kann so ausgelegt werden, dass auf die Motivation des Diskriminierenden abgestellt wird und verschiebt den Fokus damit auf eine subjektive Ebene. Eine Diskriminierung liegt jedoch auch dann vor, wenn diese nicht als solche beabsichtigt oder intendiert war. So können bestimmten Regelungen oder Verfahren neutral wirken, faktisch aber zu Ungleichbehandlung führen (mittelbare Diskriminierung)

Stattdessen sollte der Begriff „Rasse“ durch den Begriff „rassistisch“ ersetzt werden. Der Zentralrat schließt sich damit dem Vorschlag des Deutschen Institut für Menschenrechte[1] (DIMR) für eine Änderung von Art. 3 Abs. 3 GG an, wonach das Verbot der „rassistischen Diskriminierung“ explizit im Grundgesetz benannt werden soll:

„Niemand darf rassistisch oder wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Dieser Vorschlag wurde in den letzten Monaten auch in den Anträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (19/24434) und Linken (19/20628) im Bundestag sowie in einer Bundesratsinitiative durch Hamburg und Thüringen aufgegriffen.

Mit dieser Formulierung wird der inhaltliche Schutzgehalt und der Zweck der Norm deutlicher als bisher und die derzeit bestehenden Schutzlücken könnten geschlossen werden. Denn Betroffene wollen und können nicht auf das Konstrukt „Rasse“ abstellen und Gerichte sollen nicht klären ob von Diskriminierung Betroffene einer „Rasse“ angehören. Zudem kann die vom DIMR vorgeschlagene Formulierung helfen die menschenrechtliche Bedeutung des Verbots rassistischer Diskriminierung völkerrechtskonform richtig auszulegen und anzuwenden.

Außerdem bietet die Gesetzesänderung die Chance die bestehenden hartnäckigen Barrieren in der Erfassung und Vermittlung ihrer Inhalte zu überwinden und neues Wissen über Rassismus und seine Ausformungen (Antiziganismus, Anti-Schwarzer Rassismus, Antisemitismus, Anti-Muslimischer Rassismus) in juristischen Kommentierungen als auch die juristische Ausbildung einzubringen.

In den aller meisten juristischen Kommentierungen und rechtlichen Auslegungen zum Art. 3 Abs. 3 GG wird auf das Individuum abgestellt und es zeigt sich in den Kommentierungen bis heute die weit verbreitete Vorstellung von „Rassen“. Tatsächlich wird der Begriff „Rasse“ in den juristischen Kommentaren weitgehend biologistisch verstanden und verwendet zuweilen sogar rassistische Bezeichnungen für Menschen. Bis vor kurzem fand sich auch noch das diskriminierende Wort „Zigeuner“ in vielen Grundgesetzkommentierung, erst in den letzten Jahren wurde es durch die Bezeichnung „Sinti und Roma“ ersetzt.

Das Grundgesetz, wie auch seine Kommentierungen, darf jedoch nicht einem Menschenbild Vorschub leisten, dass auf der Vorstellung unterschiedlicher menschlicher „Rassen“ beruht. Nur einige wenige Kommentierungen wie von Thorsten Kingreen  im Bonner Kommentar und die durch Susanne Baer und Nora Markard  in der Kommentierung v.Mangoldt/Klein vertreten konsequent einen rassismuskritischen, sozialkonstruktivistischen Ansatz.[2]

Ein konsequenter Perspektivwechsel ist zwingend notwendig und muss bei dem angestrebten Vorhaben berücksichtigt werden. Denn die Änderung Art. 3 Abs. 3 GG darf keine reine Symbolpolitik sein, sie muss von Maßnahmen begleitet sein, die das Verständnis und Bewusstsein über Rassismus schärfen. Dazu gehört auch eine kritischere Reflexion über die Entstehung des Grundgesetzes. Die Väter und Mütter hatten bei der Ausformulierung des Grundrechtekatalogs weder Sinti und Roma noch ihre systematische Verfolgung und Ermordung während des Nationalsozialismus im Blick, vielmehr diskutierten sie in antiziganistischer Weise, wie die Rechte der Minderheit am besten eingeschränkt werden könnten.[3]

[1] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/das-verbot-rassistischer-diskriminierung (zuletzt: 4.2.2021)

[2] Kingreen, in: BonnKommGG, 2020, Art.3 Rn. 517ff; Baer/Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2018, Art. 3 Abs. 3 Rn. 470ff.

[3] Siehe dazu: Doris Liebscher, Clan statt Rasse – Modernisierung des Rassismus als Herausforderung für das Recht in Kritische Justiz 4/2020, 529-542, S. 530ff.