Zentralrat erneuert Kritik am Berliner Innensenator und unterstreicht Gesprächsbedarf

Senator Geisel muss seiner rechtsstaatlichen Verantwortung jetzt nachkommen
V.l.: Romani Rose, Dr. Maria Scharlau und Prof. Dr. Thomas Fischer © Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Anlässlich des vom Zentralrat organisierten Fachgesprächs „Sinti und Roma und die aktuelle Kriminalitätspolitik: Zur Kritik an der Erfassung von Sinti und Roma im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in Berlin“ am 4. November 2019 in Berlin, kritisierte der ehemalige Vorsitzende Richter am BGH, Thomas Fischer, die Einlassungen des Berliner Senators für Inneres und Sport, Andreas Geisel als „in hohem Maß skandalös.“ „Die Erläuterungen des Senators zeigen ein symptomatisches Bild geringen Problembewusstseins für die offenkundig rassistischen Konnotationen“ sowohl in der vom Zentralrat kritisierten Polizeilichen Kriminalstatistik wie auch in den Schreiben des Senators selbst.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatte in mehreren Schreiben an Innensenator Geisel die Praxis der Sondererfassung durch die Berliner Polizeibehörden und die Kennzeichnung aufgrund der Abstammung in der PKS kritisiert und um ein Gespräch gebeten. Dieses Gespräch hatte der Innensenator verweigert und vielmehr diese Praxis als „aufgrund einer ausgewogenen Berücksichtigung über Jahre hinweg gewonnener Erkenntnisse … durch die jeweilige Fachdienststelle“ gerechtfertigt.  Auch auf Nachfrage blieb der Senator bei seinem „Standpunkt, dass es aufgrund der Funktion der PKS in begründeten Einzelfällen auch zukünftig möglich sein muss, auf gewonnene und belegbare Erkenntnisse aus der polizeilichen Sachbearbeitung in Bezug auf spezielle Delikte und exponierte Tatverdächtigen-Gruppen hinzuweisen.“

Professor Dr. Thomas Fischer zerlegte in seiner Stellungnahme diese Position des Berliner Innensenators detailliert. Abgesehen von der rechtsstaatlich äußerst problematischen Frage einer Sondererfassung von Minderheiten sei die Präsentation derartiger Daten in der PKS statistisch ebenso wertlos wie aus kriminologischer und kriminalpolitischer Sicht.  Auch aus kriminalpräventiver Perspektive sei eine derartige Darstellung verfehlt und kontraproduktiv. Fischer konstatiert, dass „ethnische Merkmale von Gruppen innerhalb einzelner Staatsangehörigkeiten … an keiner anderen Stelle erfasst [werden] als bei dem Hinweis auf die ‚überwiegende‘ Zahl von Sinti und Roma bei den 86 des Trickdiebstahls Verdächtigten“, dies bedeute eine „gleichheitswidrige Ausgrenzung dieser Minderheit“.

Die ausführliche Stellungnahme von Professor Dr. Thomas Fischer ist in der Anlage beigefügt. Außerdem hat Prof. Fischer in seiner Kolumne auf spiegel-online nochmals dezidiert Stellung bezogen.

Romani Rose hatte für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in seiner Einführung die lange Tradition polizeilicher Sondererfassung der Minderheit durch die Polizeibehörden dargestellt, insbesondere die Fortführung dieser rechtsstaatswidrigen Erfassung durch die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland.  Hier seien die alten NS-Akten durch die rehabilitierten NS-Täter ungebrochen in Gebrauch gewesen und fortgeführt worden. Die Rassenideologie der Nazis habe in Lehrbüchern und Fachzeitschriften ebenso wie in den Handbüchern der Polizei ungebrochen weitergewirkt, so Rose.

Rose zitierte dazu Hans Bodlée, der 1962 in der Zeitschrift „Kriminalistik“ schrieb:

„Bei der zur Beobachtung zur Verfügung stehenden Personengruppe handelte es sich um … Zigeunermischlinge mit Elternteilen deutschblütiger, jüdischer, aber auch kombinierter Zusammensetzung, letztlich also um ein Mischvolk aus drei Blutstämmen, bei denen – biologisch unterstellbar – ein Konzentrat negativer Erbmasse zu verzeichnen sein dürfte (Verschlagenheit, Hinterhältigkeit, Brutalität, Trunksucht, Selbstmordneigung usw.).“

Die Rede von Romani Rose ist ebenfalls in der Anlage beigefügt.

Der Tagungsbericht, der auch die Diskussionsbeiträge zusammenfasst, ist auf der Website des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zu finden.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erwartet jetzt vom Berliner Senator des Innern, Andreas Geisel, dass er den notwendigen Gesprächsbedarf, den der Zentralrat angemeldet hatte, seinerseits erkennt und der Senator seiner rechtsstaatlichen Verantwortung nachkommt und zu einer Klärung der nach wie vor bestehenden Fragen beiträgt. Zwar hat der Innensenator erklärt, dass einstweilen die Hinweise auf die Abstammung bei Sinti und Roma in der PKS nicht weiter erfolgen.  Gleichzeitig ist jedoch unklar, ob die Abstammung von Sinti und Roma in den polizeilichen Datensammlungen auf der „Fachebene“ weiter erfasst werden und ob diese Daten in den Datenbanken der Polizei abrufbar sein können. 

Angesichts der aktuellen Entwicklungen bei der Ausgestaltung der neuen Polizeiaufgabengesetze und der alten Traditionen polizeilicher Sondererfassung von Sinti und Roma ist der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma der Auffassung, dass hier ein struktureller Antiziganismus nach wie vor innerhalb der Polizeibehörden wirksam ist, durch den Sinti und Roma allein aufgrund ihrer Abstammung pauschal mit Kriminalität in Verbindung gebracht werden. Eine solche offenbar nach wie vor bestehende Polizeipraxis – nicht nur in Berlin – verstößt gegen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien und schadet dem Vertrauen in unsere Demokratie, so Romani Rose. 

Der Zentralrat wendet sich daher jetzt auch an die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses und bittet sie um Unterstützung bei der Klärung der Fragen, die der Innensenator bislang nicht beantworten wollte oder konnte.

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