Am 17. März 1982 empfing der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation des kurz zuvor gegründeten Zentralrats Deutscher Sinti und Roma im Bundeskanzleramt in Bonn und erkannte den Holocaust an den 500 000 Sinti und Roma erstmals für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindlich an. Die Anerkennung des Völkermords an den Sinti und Roma im nationalsozialistischen Europa durch Bundeskanzler Schmidt war der erste politische Erfolg des am 6. Februar 1982 gegründeten Zentralrats. Im Anschluss an das Gespräch mit der Zentralratsdelegation gab der Bundeskanzler eine weitreichende Erklärung ab, die einen Wendepunkt im Umgang der Bundesrepublik mit den Angehörigen der Minderheit markierte:
„Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt. Viele von ihnen wurden ermordet. Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermordes erfüllt.“
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, der schon 1982 in dieser Funktion die Delegation leite, erinnert sich anlässlich des 40. Jahrestags:
„Die damalige Anerkennung des Völkermords durch Bundeskanzler Schmidt schaffte die notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Bürgerrechtsarbeit der vergangenen 40 Jahre. Wir haben in dieser langen Zeit politisch sehr viel erreicht; mehr, als ich mir vor 40 Jahren habe vorstellen können. Unser Dank gilt allen Politikerinnen und Politikern der demokratischen Parteien in Deutschland, die uns auf unserem Weg unterstützt und unsere Bürgerrechtsarbeit oftmals über Jahrzehnte begleitet haben. Jetzt stehen wir vor der großen Herausforderung, auch gesellschaftlich dem oftmals klischeehaften Bild, das die Mehrheit von den Angehörigen der Minderheit noch immer hat, ein reales Bild entgegenzustellen. Daher wollen wir noch mehr die Einflüsse in den Vordergrund stellen, die Sinti und Roma auf die kulturelle Entwicklung Europas hatten und noch immer haben. Dabei ist es uns als deutsche Sinti wichtig, zu verdeutlichen, dass wir in erster Linie Deutsche sind und unsere kulturelle Identität als Sinti in keinem Widerspruch zu unserer nationalen Identität steht.“
Die Anerkennung des Völkermords durch Helmut Schmidt vor 40 Jahren war eine Zäsur in der langen Geschichte der Bürgerrechtsarbeit, denn bis zu diesem Zeitpunkt wurde den Überlebenden die moralische Anerkennung als Opfer der nationalsozialistischen „Rassenpolitik“ und ihre Ansprüche auf Entschädigung verwehrt. Sinti und Roma wurden nach 1945 auf Grundlage der Abstammung erfasst und ausgegrenzt, es wurde ein Feindbild gefestigt, das weiter das gesellschaftliche Klima vergiftete und Sinti und Roma in allen Bereichen des Lebens, wie der Arbeits- oder Wohnungssuche diskriminierte. Die Ursache dieses Versäumnisses lag in der Kontinuität im rassistischen Denken begründet, das die Grundlage dafür lieferte, dass weiter an dem antiziganistischen Feindbild festgehalten wurde das es den ehemaligen Täterinnen und Tätern ermöglichte, sich für ihre Verstrickungen in den nationalsozialistischen Verbrechen zu rehabilitieren.
Heute, 40 Jahre nach der Gründung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, der Anerkennung des Völkermords durch den Bundeskanzler Schmidt und nach jahrzehntelanger, beharrlicher Bürgerrechtsarbeit, hat sich Deutschland in vorbildlicher Weise seiner Geschichte gestellt. Sinti und Roma sind seit 1998 neben den Sorben, Dänen und Friesen als nationale Minderheit anerkannt, in Berlin steht seit 2012 das nationale Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas und auf Landesebene wurden in verschiedenen Bundesländern Staatsverträge geschlossen.
Die Bundesrepublik ist heute in ihrem Mehrheitswillen ein demokratischer Staat, der sich auch mit Fehlentwicklungen auseinandersetzt und diese aufarbeitet. Insbesondere im Bundeskriminalamt und in vielen Landeskriminalämtern hat man sich der eigenen Geschichte angenommen und das begangene Unrecht wissenschaftlich beleuchtet. Jetzt muss die Forderung der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus (UKA) des Bundestags, deren Bericht im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, umgesetzt werden und auch die Nachkriegsgeschichte in den Behörden, Verbänden und Institutionen sowie die Kontinuität antiziganistischer Praxis über 1945 hinaus in den Blick genommen werden.
Eine besondere Rolle kommt hier dem neuen Beauftragten der Bundesregierung gegen Antiziganismus zu. Er muss diese wissenschaftliche Aufarbeitung forcieren, begleiten und die Bundesregierung stetig daran erinnern, dass es in ihrer Verantwortung liegt, endlich „nachholende Gerechtigkeit“ walten zu lassen, wie es im Titel des Berichts der UKA heißt.