Romani Rose kritisiert Fokus-Kolumne zu ‚Ethnic Profiling’ in der Polizeiarbeit

Antwort auf Jan Fleischhauers Beitrag im Focus 34/2019 und auf „DPolG Bayern: Kritik an „political correctness“ des Bay. Landesbeauftragten für Datenschutz“ vom 19.8.2019.

Nachdem Jan Fleischhauer in seiner Kolumne „Polizei soll Täter-Herkunft ausblenden: Blindheit macht die Welt nicht gerechter“ Wert darauf legte, dass die Abstammung von Tatverdächtigen selbstverständlich in der Arbeit der Polizei und in der Öffentlichkeit benannt werden solle, antwortete Romani Rose für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Diese Antwort wurde vom FOCUS lediglich gekürzt als Leserbrief (Focus 35/19) veröffentlicht.

Da immer wieder, auch von der Bayerischen DPolG, erklärt wird, die Begriffe „Sinti“ oder „Roma“ seien nicht diskriminierend und deshalb seien die Beanstandungen des Bayerischen Datenschutzbeauftragten nicht ernst zu nehmen, veröffentlicht der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma jetzt die vollständige Entgegnung auf Jan Fleischhauer.

Dass durch die Kolumne von Herrn Fleischhauer Sinti und Roma pauschal zur Tätergruppe gemacht werden, zeigen online-Kommentare wie zum Beispiel:„Das Problem beim Namen zu nennen ist unbedingt wichtig, um Tätergruppen (sic!) einzuordnen und auch geeignete Präventionsmaßnahmen zu schaffen, dass solche Vorfälle nicht mehr vorkommen.“ Präventionsmaßnahmen gegen Tätergruppen endeten vor 75 Jahren in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau. Die Nazis haben Juden, Sinti und Roma die Staatsbürgerschaft aberkannt und durch die Abstammung ersetzt. Genau deshalb verbietet der Rechtsstaat die Kennzeichnung mit Kriterien der Abstammung. Bei Herrn Fleischhauer wird genau wieder die Abstammung und nicht die Staatsbürgerschaft zum Kriterium gemacht, und Herr Nachtigall von der Deutschen Polizeigewerkschaft muss begreifen, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit Artikel 3 Absatz 3 es verbietet, dass staatliche Institutionen ethnische Kriterien zu Maßstäben ihres Handelns machen.

Romani Rose: Nichts begriffen. Eine Antwort auf Jan Fleischhauer (Focus 34/19)

Es scheint so, als ob Jan Fleischhauer in seiner FOCUS-Kolumne vom 17. August 2019: „Polizei soll Täter-Herkunft ausblenden: Blindheit macht die Welt nicht gerechter“, nicht begriffen hat, warum in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland Artikel 3 Absatz 3 es den staatlichen Institutionen ausdrücklich verbietet, ethnische Kriterien zu Maßstäben staatlichen Handelns zu machen. Dieses in den Grundrechten verankerte Rechtsstaatsprinzip soll staatliche Diskriminierung von Minderheiten aufgrund ihrer Abstammung, Hautfarbe oder religiöser Zugehörigkeit unterbinden, und dies basiert in der Tat auf den Erfahrungen in der deutschen Geschichte.

Statt dessen verbreitet Jan Fleischhauer eine Reihe von Ungenauigkeiten. Er schreibt beispielsweise, die Polizisten müssten „jetzt über die Herkunft von Verdächtigen hinweg sehen.“ Selbstverständlich kann und darf die Herkunft benannt werden, der Hinweis auf eine Staatsbürgerschaft ist vom genannten Bayerischen Erlass nicht betroffen. Wohl aber dagegen der Hinweis auf die Abstammung, sei als Sinto oder Rom oder als Jude. Hier vermischt Jan Fleischhauer recht bewusst „Abstammung“ mit „Herkunft“ und damit mit „Staatsbürgerschaft“.

Wirklich nicht begriffen hat Jan Fleischhauer dann, dass es einen Unterschied gibt zwischen Begriffen und dem Kontext, in den diese Begriffe gestellt werden. Die Begriffe „Sinti“ und „Roma“ sind die Eigenbezeichnung der Minderheit in Deutschland und selbstverständlich nicht diskriminierend. Sinti bilden bekanntlich diejenige Gruppe, die seit über 600 Jahren im deutschen Sprachraum ansässig ist, Roma ist der international gebräuchliche Oberbegriff für eine Vielzahl von Gruppen in ihren jeweiligen Heimatländern. Entsprechend heißt die Dachorganisation „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“.

Diskriminierend sind nicht die Begriffe, sondern die rassistischen Zusammenhänge, in denen sie gegebenenfalls verwendet werden. Hierzu gehören beispielsweise Medienberichte, mit denen über die Zuschreibung von Kriminalitätsvorwürfen („Roma-Clan“) allein aufgrund der Abstammung die gesamte Minderheit getroffen wird. Sinti sind – ebenso wie Juden – deutsche Staatsbürger und sollen als solche wahrgenommen werden. Roma in Deutschland sind in der Regel entweder deutsche Staatsbürger oder Staatsbürger ihrer jeweiligen Heimatländer. Hierzu hatte bereits 2017 der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, erklärt, dass »selbstverständlich die Staatsbürgerschaft eines jeden Bürgers nicht dadurch in Frage gestellt werden darf, indem die Abstammung zum Kriterium der polizeilichen Arbeit gemacht wird«.

Genau das passiert aber im Endeffekt bei Jan Fleischhauer. Zuerst wird über Sinti und Roma räsoniert, dann darüber, dass viele Journalisten nicht mehr schreiben, „woher (eben !) einer stammt“, um dann Sozialprognosen von Ausländern in Deutschland zu erörtern. Mit anderen Worten: von deutschen Sinti, deutschen Roma, die seit Generationen in Deutschland leben und die deutsche Staatsbürger sind, geht es zu Fragen der Zuwanderung, mit denen Sinti und Roma als nationale Minderheit nun so viel und so wenig zu tun haben wie andere nationale Minderheiten wie Friesen oder Sorben oder Dänen auch. Nur bei Sinti und Roma stellt Fleischhauer eben einen willkürlichen Zusammenhang her.

Diskriminierend ist es, wenn in Berichten über Roma immer wieder Bilder von Ratten bemüht werden, um die Lebenssituation von Roma auch in ihren Herkunftsländern zu bebildern, wie jüngst in SAT 1 unter dem Titel „Roma: Ein Volk zwischen Angeberei und Armut“. Dieser Film ist ein Beispiel für bewusste Diskriminierung und Kriminalisierung einer gesamten Minderheit allein durch Sprache und Bildauswahl und er lässt sich durchaus in die rassistische Tradition eines „Jud Süß“ oder des Nazi-Propagandafilms „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ stellen. Wie im NS-Film über Theresienstadt durchziehen den SAT 1-Film immer wieder Sequenzen, in denen Roma in unterschiedlicher Weise mit Ratten in Zusammenhang gebracht werden, insbesondere die Wohnsituation in den Ghettos in Rumänien wird so charakterisiert. Damit wird gleichzeitig diese menschenunwürdige Situation als vorgeblich der Mentalität von Roma entsprechende Lebensweise dargestellt – ohne den der desolaten Lage großer Teile der Roma-Bevölkerung zugrundeliegenden massiven Rassismus in ihren Heimatländern als Ursache zu benennen.

Der Zentralrat begrüßt ausdrücklich den Erlass des Inspekteurs der Bayerischen Polizei, Harald Pickert, gerade auch vor dem Hintergrund des neuen Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, das unter anderem erlauben soll, DNA-Material auf äußere Merkmals und auf die biogeographische Herkunft zu untersuchen. Davon wären automatisch Minderheiten in besonderem Maße betroffen. Um so wichtiger daher der jetzige Erlass in Bayern, der diskriminierende Begriffe und damit notwendigerweise auch die Sammlung potentiell diskriminierender Daten untersagt.

Es geht also nicht darum, die Welt durch Blindheit gerechter zu machen, wie Jan Fleischhauer meint, sondern die Prinzipien und Grundsätze eines Rechtsstaats ernst zu nehmen. Genau das macht Harald Pickert als Inspekteur der Bayerischen Polizei und dafür gebührt im Anerkennung und Respekt. Die Medien sind frei in ihrer Meinungsbildung im Rahmen der bestehenden Gesetze, und dass die Pressefreiheit ebenso in den Grundrechten unserer Verfassung verankert ist, ist ebenfalls eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte, nämlich der Gleichschaltung der Presse im Nationalsozialismus.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat im übrigen stets erklärt, dass Straftäter verfolgt und bestraft werden müssen, und zwar ohne Ansehen der Person und entsprechend den Gesetzen, die in unserem Staat gelten und die von allen respektiert und geachtet werden müssen. Kolumnen wie die von Jan Fleischhauer sorgen dafür, dass diese Selbstverständlichkeit vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma immer wieder aufs Neue erklärt werden muss.