Sita Scherer: „Ich wende mich entschieden gegen Bevormundung“

Diskursive Gegenentwürfe deutscher Sintezze und Romnja

Rezension von Dr. Anja Titze, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Dieses Zitat der Sintezza Melanie Spitta ist der Titel des Buches, das sich einem Aspekt widmet, der in der Wissenschaft bislang kaum Beachtung gefunden hat. Die Autorin Sita Scherer richtet das Augenmerk auf Frauen und untersucht am Beispiel von vier ausgewählten Sintezze und Romnja diskursive Gegenentwürfe.

Tatsache ist, dass Frauen in der Geschichtsschreibung häufig unterrepräsentiert sind. Und die Autorin liegt gewiss richtig, wenn sie schreibt, dass vor allem männliche Protagonisten der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. Es gab aber auch Frauen, die ihren spezifischen Beitrag geleistet haben.

Das Buch ist klar gegliedert, flüssig geschrieben und gut recherchiert. Scherer beginnt mit Begriffsklärungen und einer „Selbstverortung“. Sie widmet sich dem Thema, wohl wissend, dass sie nicht der Minderheit angehört und dass es einen wirkmächtigen Wissenschaftsdiskurs gibt, in dem oft allwissend über Sinti und Roma geschrieben wird. Sie will dagegen Sintezze und Romnja als handelnde Subjekte zeigen.
Zunächst widmet sie sich der Konstruktion des rassistischen Stereotyps der ‚Zigeunerin‘ und zeigt auf, welche Merkmale Sintezze und Romnja zugeschrieben wurden (bzw. werden) und wie sich diese verfestigt haben. Sodann erläutert sie ihren methodischen Ansatz: Geschichte von unten. Nicht nur von (hochrangigen) Männern werde Geschichte gemacht, sondern von Menschen!

Scherer grenzt hier ein: Sie untersucht Frauen in der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma im Zeitraum von 1980 und 2000. Das Herzstück des Buches ist mit „Widerstandsstrategien“ betitelt. Hier arbeitet die Autorin zentrale Themen, Arbeitsweisen und Ausdrucksformen der vier Frauen heraus. Theresia Seible – eine der Frauen – konnte zwar der Vernichtung durch die Nazis entgehen, wurde aber in ihrer reproduktiven Gesundheit für immer eingeschränkt und hat jahrelang, u.a. mit Unterstützung von Amnesty International, für Entschädigung gekämpft. 1979 gründete sie einen Verein, der Frauen mit Rat und Tat zur Seite stand.
Melanie Spitta wurde erst nach 1945 geboren, doch auch sie setzte sich für Wiedergutmachung gegenüber ihren Eltern und Sinti und Roma überhaupt ein. In ihren Filmen kommen daher Zeitzeugen zu Wort und berichten über das erlittene Nazi-Unrecht.

Ein Kritikpunkt ist die Verwendung von bestimmten Begriffen (z.B. Weiße), die genau jene Muster reproduzieren, die die Autorin eigentlich überwinden will. Nichtsdestotrotz ist das Buch lesenswert, denn es trägt dazu bei, die Rolle von Frauen innerhalb der Bürgerrechtsarbeit der Sinti und Roma sichtbar zu machen. Antiziganismus und antiziganistische Darstellungen (in der medialen Berichterstattung
oder in der Literatur), Wiedergutmachung sowie Erinnerungsarbeit waren und sind beherrschende Themen in der Forschung. Es bleibt abzuwarten, ob diese frauenbezogene Perspektive in Zukunft etwas mehr Beachtung findet. 

Sita Scherer, WeltTrends, Potsdam 2018