Eszter Varsa: Protected Children, Regulated Mothers

Gender and the “Gypsy Question” in State Care in Postwar Hungary, 1949–1956,

Rezension von Herbert Heuß, Wissenschaftlicher Leiter

Das neue Buch der Historikerin Eszter Varsa, dessen Titel übersetzt „Geschützte Kinder, reglementierte Mütter: Geschlecht und die ‚Zigeunerfrage‘ in der staatlichen Fürsorge im Nachkriegs­-Ungarn 1949–1956“ lautet, untersucht die Heimerziehung von Kindern im stalinistischen Ungarn und dabei besonders die Rolle, die Romakindern zugemessen wurde, um die Assimilation
der Roma als gesamter Minderheit zu betreiben. Im ganzen kommunistischen Block wurde das Prinzip der
Vorkriegszeit, Pflegekinder in Familien unterzubringen, zunehmend durch die Institutionalisierung in Heimen ersetzt. Varsa untersucht die Auswirkungen dieser Politik auf die Rollen von Frauen und Männern, auf die Institution Familie und dann besonders auch auf die Politik gegenüber Roma in Ungarn. Romakinder waren in staatlichen Heimen deutlich überrepräsentiert; Roma galten als rückständige soziale Schicht, die in die arbeitende Bevölkerung, sprich ins Proletariat, integriert werden sollte. Die staatliche Fürsorge baute dabei gleichwohl eher auf früheren Reform­ und Erziehungsmodellen auf, als dass sie mit ihnen brach.

Eine wichtige Erkenntnis des Buches ist, dass der staatssozialistische Kinderschutz ein jahrhundertelanges nationales Projekt der sogenannten „Lösung der Zigeunerfrage“ fortsetzte, das in dem Bemühen wurzelt, die vermeintliche „Arbeitsscheu“ der Roma zu beseitigen.
Erziehung zur Arbeit war das zentrale Konzept der Heimerziehung, und dieses Konzept nahm Elemente aus unterschiedlichen Richtungen der Pädagogik auf, von den Aufklärern, wie beispielsweise Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann, und den Technokraten der Polizeibehörden,
die gleichermaßen forderten, es gelte die „Zigeunerplage“ endlich abzuschaffen, bis zu den Reformpädagogen in Westeuropa oder den sozialistischen Pädagogen wie Anton Semjonowitsch Makarenko, für die Arbeit wichtiges Erziehungsmittel für die Jugend war. Ziel war dabei die vollständige Assimilierung Roma, in den Worten der Aufklärer: „aufhören, Zigeuner zu sein“.

Eszter Varsa ist Post­-Doktorandin im ERC­Projekt ZARAH: Women’s Labour Activism in Eastern Europe and Transnationally, From the Age of Empires to the Late 20th Century an der Central European University, Wien. Von Mai bis Dezember 2020 war sie Romani­Rose­Fellow
an der Forschungsstelle Antiziganismus der Heideberger Universität.

Eszter Varsa, Central European University Press 2021