Markus Hawlik-Abramowitz und Simone Triede: Sinti in der DDR

Alltag einer Minderheit

Rezension von Verena Meier, Doktorandin an der Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Universität Heidelberg1

Mit dieser 144 Seiten umfassenden Publikation legt der Verein Zeitgeschichte(n) aus Halle eine populär wissenschaftliche Darstellung zu den Themen Minderheitengeschichte der Sinti und Antiziganismus in der DDR vor, welche in der Geschichtswissenschaft bisher wenig
Beachtung fanden. Das Buch besteht aus zwei Teilen, einer 78­seitigen Einleitung der Journalistin und Autorin Simone Trieder und 52 Schwarz­-Weiß­-Fotografien des Fotografen Markus Hawlik­-Abramowitz, der diese Serie 1983 als Diplomarbeit an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst einreichte. 45 Aufnahmen sind in der Fotosammlung abgebildet und sieben kleinformatige Bilder finden sich in der Einleitung.

Zentrales Anliegen von Zeitgeschichte(n) war es, die Schwarz­-Weiß-­Fotografien einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, sie durch eine ausführliche historische Kontextualisierung in die Geschichte der Minderheit in der DDR einzubetten und auch allgemein Aufmerksamkeit für dieses Thema zu schaffen. Simone Trieder gelingt es in 28 Kapiteln auf 83 Seiten, ein breites Spektrum des „Alltags einer Minderheit“, wie es im Untertitel heißt, aufzuzeigen. Sie spannt einen Bogen vom Nachwirken der Naziideologie in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) über die Erinnerungskultur der DDR, in welcher der Völkermord an Sinti und Roma in der NS­Zeit kaum eine Rolle spielte, bis hin zu Formen des Antiziganismus nach 1945. Einige der Fotografien sowie die Biografien, die Trieder anführt, zeigen ein differenziertes Bild vom Alltag der Sinti in der DDR. Die Biografie des Volkspolizisten Ewald Hanstein, der 1954 mit seiner Familie in den Westen floh, oder die Fotografie einer Fabrikarbeiterin, die ihre Auszeichnung „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ der Kamera
präsentiert, verdeutlichen das Angepasstsein von Sinti an gesellschaftliche Normvorstellungen der DDR, zugleich aber auch die Komplexität individueller Lebensentwürfe. Darüber hinaus werden deutlich die Probleme einzelner Sinti aufgezeigt, die als „unangepasst“ galten. An dieser Stelle, ebenso wie beim Thema des Umgangs staatlicher Behörden mit Sinti in der DDR, wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Autorin mit tiefergehenden Analysen auf die spezifischen Ausprägungen des Antiziganismus im staatlichen Sozialismus und der DDR im Besonderen eingegangen wäre.

Durch den biografischen Zuschnitt ihrer Einführung verdeutlicht Trieder die Ambivalenzen der DDR-Gesellschaft und vermeidet holzschnittartige Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Der einleitende Text büßt jedoch durch viele anekdotische Ausführungen an wissenschaftlicher Qualität ein. Das ist besonders frappierend zu Beginn, wenn die Autorin die stereotypen Vorstellungen aneinanderreiht, die sie durch Befragungen in ihrem Freund*innen- und Kolleg*innenkreis zurückgemeldet bekam und die sie selbst durch essenzialisierende Aussagen zum Teil bekräftigt. Mit solchen Pauschalisierungen konterkariert sie ihre zuvor vorgenommenen gesellschaftlichen Differenzierungen. In der vorliegenden Publikation stehen die Einleitung und die Sammlung von Schwarz-Weiß-Fotografien weitgehend als für sich geschlossene Einheiten nebeneinander. Im Sinne eines bildkritischen und bildethischen Umgangs wäre es wichtig gewesen, die Fotografien selbst stärker einzuordnen. Gerade fotografische Aufnahmen haben in starkem Maße dazu beigetragen, stereotype Bilder zu produzieren, zu reproduzieren und über Jahrhunderte zu tradieren, so dass sie Eingang in unser Bildgedächtnis gefunden haben und heute unsere Wahrnehmungen überlagern. Da es sich bei den Fotografien von Markus-Hawlik Abramowitz um Fremddarstellungen handelt, wäre eine solche Reflexion im Sinne neuerer Zugänge der Visual History gewesen. Darüber hinaus wird an keiner Stelle im Buch erwähnt, wie die Herausgebenden fast 40 Jahre nach Aufnahme der Fotografien mit dem Datenschutz bei der Wiederveröffentlichung der Fotografien umgegangen sind, da die Abgebildeten zum großen Teil noch am Leben sind.

Der Hauptteil der Quellen in dieser Publikation stammt aus dem Nachlass des Umwelt- und Bürgerrechtsaktivisten Reimar Gilsenbach in der Sammlung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma. Von der nachlassverwahrenden Einrichtung wurde bereits 2007 eine umfassende Dokumentation zu diesem Bestand herausgegeben.2 Ein Großteil der Themen in der hier besprochenen Publikation basiert also auf bereits veröffentlichten Forschungsergebnissen. Trotzdem eignet sich diese Publikation für einen populärwissenschaftlichen Einstieg in das Thema und bietet Impulse für die Forschung. Dazu gehören die noch nicht veröffentlichten Quellen aus dem Stadtarchiv Halle, Rubrik Besatzungsamt im Bestand des Oberbürgermeisters, über Zuzugsgenehmigungen, die die städtischen Behörden überlebenden Sinti und Roma im Herbst 1945 nicht gewähren wollten. Sie ergänzen das Bild zu „Kontinuitäten der Stigmatisierung“, die Anja Reuss bereits 2015 in ihrer Studie aufzeigte.3
Darüber hinaus sind vor allem die Ausführungen zum Umgang des Ministeriums für Staatssicherheit mit dieser in der DDR nicht offiziell als Minderheit anerkannten Gruppe von Interesse. Die Einleitung von Trieder schließt mit einem Kapitel zum Sinti-Mausoleum in
Halle, welches 1928 errichtet wurde. Der Bezug zwischen den drei 1937 und 1946 verstorbenen Sinti und dieser Kapelle bleibt weiterhin unklar. Eine kritische Aufarbeitung dieses Erinnerungsortes als Gedenkort an die Geschichte und die Verfolgung von Sinti und Roma in Halle wäre zukunftsweisend.

 

Markus Hawlik-Abramowitz / Simone Trieder, Edition Zeit-Geschichte(n) Band 7, hrsg. von Zeitgeschichte(n) e.V. – Verein für erlebte Geschichte, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2020

1Eine längere Fassung dieser Rezension ist erschienen in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ­ 69. Jg., Heft 6 (2021), S. 602­604.
2Michaela Baetz/ Heike Herzog/ Oliver v. Mengersen: Die Rezeption des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR. – Eine Dokumentation zur politischen Bildung, herausgegeben vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg 2007.
3Anja Reuss: Kontinuitäten der Stigmatisierung. Sinti und Roma in der deutschen Nachkriegszeit. Metropol-Verlag (Berlin) 2015.