Die Autorin Vanessa Hilss war 2015 Praktikantin im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Ihre 2016 am Historischen Seminar der Universität Heidelberg entstandene wissenschaftliche Abschlussarbeit erschien bereits kurz darauf in der Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe.
In ihrem Buch skizziert Vanessa Hilss die Verfolgung der Sinti und Roma zwischen 1933 und 1945 und zeigt dabei badische Besonderheiten auf. Sie behandelt die Frage, warum die Minderheit danach einer diskriminierenden Rechtsprechung ausgesetzt blieb und worauf die nach 1945 anhaltende Stigmatisierung gründete. Dabei werden zum einen mentale und personelle Kontinuitäten von „Zigeunerexperten“ in Polizei und Verwaltung aufgedeckt, zum anderen wird die gesetzliche Entwicklung der Wiedergutmachung auf Landes- und auf Bundesebene dargestellt.
In der deutschen Nachkriegsgeschichte war der Umgang mit der Verfolgung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus ein unrühmliches Kapitel. Über Jahrzehnte wurde ihnen vielfach die Anerkennung als NS-Verfolgte verwehrt.
Den Tiefpunkt markierte das 1956 ergangene höchstrichterliche Urteil des Karlsruher Bundesgerichtshofs: Demnach seien die Deportationen von „Zigeunern“ im Jahr 1940 keine rassische Verfolgungsmaßnahme, sondern eine übliche polizeiliche Präventivmaßnahme gewesen. Obgleich das Urteil keinen langen Bestand hatte, blieb vielen Sinti und Roma bis in die 1980er-Jahre eine Entschädigung verwehrt.
Anhand verschiedener Einzelfälle von Wiedergutmachungsverfahren von Sinti aus dem Raum Baden untersucht Hills, ob und mit welchen Begründungen deren Wiedergutmachungsansprüche bewilligt oder abgelehnt wurden und welche Faktoren die Verfahren beeinflussten. Indem die Publikation sowohl die gesetzlichen Grundlagen der Entschädigung als auch deren Umsetzung für Sinti und Roma am Landesamt für Wiedergutmachung Karlsruhe darstellt und analysiert, trägt sie zur Aufarbeitung der Entschädigungspraxis auf regionaler
Ebene und zur Nachkriegsgeschichte der Minderheit bei.
Vanessa Hilss: Sinti und Roma – „Nicht aus Gründen der Rasse verfolgt“? Zur Entschädigungspraxis am Landesamt für Wiedergutmachung Karlsruhe, Karlsruhe 2017.