Albert Scherr und Lena Sachs: Bildungsbiografien von Sinti und Roma

Erfolgreiche Bildungsverläufe unter schwierigen Bedingungen

Rezension von Oliver von Mengersen

Die Studie der beiden Freiburger Sozialwissenschaftler basiert auf einer Reihe von Interviews, die mit Sinti und Roma im Alter von 19 bis 49 Jahren geführt wurden. Das gemeinsame Merkmal der Interviewten sind erfolgreich absolvierte Bildungskarrieren. Was zunächst belanglos erscheint, erweist sich beim näheren Hinsehen als keineswegs selbstverständlich. Denn die eigentliche Leistung des Bildungserfolgs von Sinti und Roma wird erst vor dem Hintergrund antiziganistischer Diskriminierung deutlich. Wir erfahren durch die Interviews viel über die spezifischen Benachteiligungen, aber auch über individuelle Strategien, damit zurechtzukommen.
Die schwierigen Bedingungen aufzuzeigen und die eigenen Bildungsanstrengungen der Sinti und Roma sichtbar zu machen, ist ein wichtiges Ziel dieses Buches.

Die anonymisierten Interviews werden ausschnittsweise zitiert und zum Einstieg eine Auswahl von Kurzporträts vorgestellt. Eine vollständige Dokumentation der Stichprobe fehlt, was im Rahmen einer qualitativ angelegten Studie weniger von Bedeutung ist. Eine quantitative Darstellung der Bildungserfolge von Sinti und Roma wäre schon deshalb schwer möglich, weil es jedem und jeder freisteht, die Zugehörigkeit zur Minderheit offenzulegen. Als empirische Grundlage jedoch bieten die Interviews ausreichend Evidenz, um die
Motive zur Wahl der Bildungswege, die Unterstützung durch Familie und Lehrkräfte sowie die individuelle Auseinandersetzung mit dem Antiziganismus in seinen unterschiedlichen Facetten zu würdigen.

Ausgangspunkt der Studie war die langjährige Zusammenarbeit des Dokumentationszentrums mit den beiden Autoren von der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Rahmen der Bildungsakademie der Sinti und Roma – einem beim Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma angesiedelten Projekt. In dieser Zusammenarbeit wurde Übereinstimmung darüber erzielt, dass ein durch Forschung fundiertes Gegenbild zu den verbreiteten Stereotypen für die Öffentlichkeitsarbeit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft erforderlich ist, welches auch dazu beitragen kann, Bildungsanstrengungen von Minderheitenangehörigen zu unterstützen und anzuregen. Darüber hinaus wird in dieser Studie auch deutlich, dass die Erfahrungen mit der NS-Diktatur bei
Sinti und Roma weiterhin fester Bestandteil der familiären Erinnerungskultur sind.

„Vor diesem Hintergrund ist auch der Wunsch der Interviewten nach einer deutlich verbesserten Wissensvermittlung über die historischen Fakten der nationalsozialistischen Verfolgung der Sinti und Roma zu sehen“, urteilt Romani Rose in seinem Vorwort. 

Beltz Juventa, Weinheim und Basel 2017