Stellungnahme des Zentralrats zum Gesetzesentwurf zur Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes

Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zur Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes
 
1.) Racial Profiling ist rechtswidrig
 
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt es grundsätzlich, dass Fälle des sogenannten „Racial Profiling“, also Kontrollen der betroffenen Person allein wegen der Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale, durch die Bundespolizei vonseiten der Bundesregierung und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat als Problem idenfiziert worden sind. Denn diese sind eindeug rechtswidrig. Das gilt auch für Fälle, wenn die genannten Merkmale neben anderen Gründen ein tragender Grund für die Kontrolle sind. Das haben mehrere deutsche Gerichte in den vergangenen Jahren festgestellt. Die derzeit geltende Fassung des Bundespolizeigesetzes ermöglicht die verdachtslosen Personenkontrollen zum „Zwecke der Migrationskontrolle“. Dabei kommt es immer wieder zu „Racial Profiling“. Dies ist grund- und menschenrechtlich nicht haltbar. Es handelt sich nicht nur um einen Verstoß gegen Arkel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, sondern auch um einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
 

Die Praxis des „Racial Profiling“ verstößt gegen das Diskriminierungsverbot, das auch in völker- und europarechtlichen Verträgen verankert ist. In dem Gesetzesentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes wird nun unter § 23 Absatz 2 festgehalten, dass die Auswahl der Personen, die von der Bundespolizei befragt werden können, anhand eines Merkmals im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ohne sachlichen, durch den Zweck der Maßnahme gerechfertigten Grund unzulässig ist. Weiter heißt es, dass der betroffenen Person im Falle des Satzes 1 auf Verlangen unverzüglich eine Bescheinigung über die Maßnahmen und ihren Grund auszustellen ist. Die betroffene Person ist auf dieses Recht hinzuweisen. Die Bescheinigung kann digital ausgestellt werden.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass der kontrollierten Person durch die kontrollierenden Personen eine Quittung ausgestellt werden kann, wenn sie davon ausgeht, dass es sich um einen Fall von sogenanntem „Racial Profiling“ handelt. Rassistische Diskriminierung ist für viele Menschen, darunter auch Angehörige der Minderheit der Sinti und Roma, Alltag in Deutschland. Diese Perspektive der Betroffenen hat unter anderem auch die von der Bundesregierung einberufene und vom Deutschen Bundestag eingesetzte Unabhängige Kommission Anziganismus in ihrem im Jahr 2021 vorgelegten Bericht (Drucksache 19/30310) betont.
 
Um diese Diskriminierung in ihrer Ausprägung des sogenannten „Racial Profiling“ zu beenden, sind klare und eindeutige Formulierungen in Gesetzen unerlässlich. Aber die im Gesetzesentwurf zur Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes gewählte Formulierung, dass sachliche Gründe für die Kontrolle einer Person „Lageerkenntnisse oder grenzpolizeiliche Erfahrung“ sein können, aber nur „in Verbindung mit aktuellen Erkenntnissen oder Prognosen“, lässt viel Raum für Interpretationen offen.
 
Somit muss man davon ausgehen, dass es auch in Zukunft zu sogenanntem „Racial Profiling“ im Zusammenhang mit Personenkontrollen zum „Zweck der Migraonskontrolle“ kommen wird. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma plädiert dafür, dass anlasslose Polizeikontrollen, die auf der Praxis des „Racial Profiling“ beruhen, in Zukunft ausgeschlossen werden müssen.
 
Dafür müssen die Befugnisse gestrichen werden, nach denen Angehörige der Bundespolizei ohne jeden Anlass Menschen zum „Zweck der Migraonskontrolle“ kontrollieren dürfen. Diese finden sich im Gesetzesentwurf unter § 23 Absatz 2 und § 26 Absatz 1 Nr. 3.
 
2.) Obligatorische Kontroll-Quittungen helfen Betroffenen
 
Änderungen muss es auch zur Regelung geben, in welchen Fällen die Kontroll-Quittungen ausgestellt werden. Man kann nicht immer davon ausgehen, dass die kontrollierte Person sofort versteht, welche Rechte sie gegenüber der Bundespolizei hat. Außerdem ist fraglich, ob sie in dieser belastenden Situation in der Lage ist, diese Rechte auch wahrzunehmen. Das sind Gründe dafür, warum es sinnvoll ist, dass die Bundespolizei dazu verpflichtet wird, jeder kontrollierten Person eine entsprechende Quittung auszustellen, in welcher der Grund für die Kontrolle genannt wird. Dies wäre auch eine Voraussetzung dafür, dass die kontrollierenden Personen in mehr Fällen respektvoller mit der kontrollierten Person umgehen werden. Die Kontrollen beschränken sich nämlich nicht immer darauf, dass Ausweispapiere vorgelegt werden und die kontrollierte Person personenbezogene Daten angeben muss. Das sogenannte „Racial Profiling“ kann auch weitere Folgen haben, wie der untenstehende Fall belegt.
 
Nach Informationen der vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma aufgebauten Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) kam es beispielsweise am 08.04.2022 zu einem antiziganistischen Vorfall am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. In Hanau stieg eine Gruppe von 34 geflüchteten ukrainischen Roma in den ICE 370 von Basel Hauptbahnhof nach Berlin Ostbahnhof zu. Nachdem die Gruppe zugestiegen war, gab es während der Zugfahrt eine Durchsage: „Aufgrund von gegebenem Anlass möchten wir Sie darum bitten, Ihre Wertsachen bei sich am Körper zu tragen.“ Es liegt nahe, dass dieser „gegebene Anlass“ die geflüchteten Roma waren.
 
Aus nicht bekannten Gründen sprachen die Bahnmitarbeiter der geflüchteten Gruppe ihren Flüchtlingsstatus ab und riefen die Bundespolizei. Sie warfen der Gruppe „Fahren ohne Fahrschein“ und „aggressives Betteln“ vor, obwohl ukrainische Geflüchtete kostenlos die Deutsche Bahn benutzen können. Am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe zwangen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der Deutschen Bahn und Bundespolizisten die Gruppe zum Aussteigen. Dabei soll ein Polizeibeamter mehrfach gesagt haben, sie würden jetzt „durchgehen und aussortieren“. Bei der darauffolgenden Durchsuchung am Bahngleis waren die Bundespolizisten bewaffnet und ein Polizist führte einen Schäferhund mit.
 
3.) Diskriminierungsverbot bei Aus- und Fortbildungen verankern
 
Dieser Fall und weitere diskriminierende Fälle im Umgang mit geflüchteten Roma aus der Ukraine müssen ebenso wie die Diskriminierung anderer Menschen durch die Bundespolizei in Zukunft ausgeschlossen werden. Bereits in der Ausbildung der Polizisten und bei Fortbildungen muss das grund- und menschenrechtliche Diskriminierungsverbot verankert werden. Die bisherige Arbeit in diesem Bereich muss fortgesetzt und intensiviert werden. Bundespolizisten müssen in der Lage sein, ihre Aufgaben ohne diskriminierende Maßnahmen zu erfüllen.
 
Dabei geht es nicht nur um den Schutz von Menschen vor Diskriminierung. Die polizeiliche Praxis des „Racial Profiling“ führt zum einen dazu, dass rassistische Stereotype in der Gesellschaft verfestigt werden. Zum anderen hat die Praxis zur Folge, dass sie bei den Betroffenen maßgeblich zu mangelndem Vertrauen in die Polizei und Strafjustiz beiträgt.
 
4.)Diskriminierende Datensammlungen ausschließen
 
Es gibt Belege dafür, dass Angehörige der Sinti und Roma nach wie vor polizeilich erfasst werden. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage (Drucksache 19/13869) hatte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat im Jahr 2019 erklärt, dass im Vorgangsbearbeitungssystem der Bundespolizei aus einem Katalog die „Volkszugehörigkeit“ ausgewählt werden könne. Die Erfassung von Religion oder „einer Gruppenzugehörigkeit, welche zur Zeit des NS-Regimes systematisch verfolgt und sanktioniert wurde“, sei „nicht zulässig“. Es existierten aber Freitextfelder – dort sei für die Jahre 2013 bis 2019 bei acht Personen das Wort „Sinti“ oder „Roma“ hinterlegt. Es handele sich um „individuelle Fehler in der Sachbearbeitung“. Wegen der Notwendigkeit von Freitextfeldern ließen sich diese „nicht vollständig vermeiden“. Das Bundespolizeipräsidium habe „erste Maßnahmen eingeleitet, um Fälle von unrechtmäßigen Erfassungen rückgängig zu machen“ und eine solche Eingabe künftig zu unterbinden.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert, dass künftig ausgeschlossen werden muss, dass Datensammlungen erstellt werden, die eine direkte, indirekte oder tendenzielle Erhebung einer Zugehörigkeit zu einer Community der Sinti und Roma ermöglichen. Dies entspricht auch der Empfehlung der Unabhängigen Kommission Anziganismus zum Thema Datenschutz. In diesem Zusammenhang weist der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma darauf hin, dass die Erhebung und Weiterverarbeitung von sogenannten besonderen Kategorien personenbezogener Daten, zum Beispiel zur „ethnischen Herkunft“, durch die Bundespolizei nur sehr vage in § 48 Bundesdatenschutzgesetz geregelt ist. Deswegen spricht sich der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma für eigenständige restriktivere Normen in der Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes aus.