Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erinnert anlässlich des „Internationalen Holocaust-Gedenktags“ an die 500.000 von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma Europas und alle Opfer der Terrorherrschaft des Naziregimes.
Romani Rose sagte: „Die Erinnerung an den Holocaust ist 79 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz heute umso wichtiger, nachdem rechtsnationale Netzwerke und neue Nazis wieder Umsturzpläne schmieden. Bei den wenigen Überlebenden des Holocaust an unserer Minderheit löst es Fassungslosigkeit und Sorge aus, wenn bekannt wird, dass Nationalisten und Rechtsextremisten wie zuletzt in Potsdam wieder konspirative Pläne für massenhafte Deportationen auch deutscher Staatsbürger schmieden.“
Hier seien die Gesellschaft und die Politik aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen, die Demokratie und den Rechtsstaat zu verteidigen und den Rechten nicht wieder unsere Zukunft zu überlassen. Der Zentralrat begrüße es, dass fast eine Million Menschen in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen seien. Dies habe bewiesen, dass die Menschen in Deutschland sich gegen die wieder aufkommenden nationalistischen Fantasien eines völkischen Staates der neuen Nazis stellten. Davon gehe ein wichtiges Signal in die europäischen Nachbarländer aus, dass Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland gefestigt seien. Die Bedrohung des äußeren und inneren Friedens werde von der großen Mehrheit der Bevölkerung ernst genommen.
Der Zentralrat unterstrich: „Ein gemeinsames Erinnern an die Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur hat eine hohe Bedeutung für den Schutz unseres Rechtsstaats. Die lebendige Erinnerungskultur ist ein starkes Zeichen für eine wehrhafte Demokratie, die aus dem Bewusstsein über ihre Vergangenheit entschlossen ist, die Würde aller Menschen in Gegenwart und Zukunft mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen.“
Rose rief dazu auf, aufmerksam und engagiert für die Werte des Grundgesetzes einzutreten und ein weiteres Erstarken des radikalen Nationalismus zu verhindern. Daher sei es auch zu begrüßen, dass die Demokratie nicht bereit sei, durch die Parteienfinanzierung diejenigen zu unterstützen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wenden.
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte am Rand der Veranstaltung: „Heute gedenken wir der Opfer der während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ermordeten Sinti und Roma. Wir teilen den Schmerz mit den Überlebenden und ihren Nachkommen. Die Erinnerung an das unsagbare Leid ist für uns Auftrag und Antrieb – für die Gestaltung einer diskriminierungsfreien, offenen und pluralistischen Gesellschaft.
Das gilt gerade in Zeiten, in denen manche die Menschheitsverbrechen des nationalsozialistischen Regimes verharmlosen oder vergessen machen wollen. In ganz Deutschland gehen dieser Tage Hunderttausende auf die Straßen – für die Demokratie und für den Schutz der Menschenwürde. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Menschen in Deutschland nie wieder systematisch ausgegrenzt und angegriffen werden. An diese Verantwortung zu erinnern, könnte nicht aktueller sein.“
Die Holocaustüberlebende Gerda Pohl erinnerte an die Zweite Verfolgung der Sinti und Roma nach 1945 und appellierte an die Gesellschaft, die Demokratie wehrhaft zu verteidigen: „Ich möchte hier an dieser Stelle aber ebenfalls daran erinnern, dass wir Sinti auch noch nach dem Krieg viele Demütigungen erleiden mussten. In der Schule wurde ich von Kindern und Lehrern drangsaliert. Der Kampf um Entschädigung war für meine Familie, für meinen Mann und seine Mutter und Geschwister entwürdigend. Diese Erfahrungen haben – wie die NS-Zeit – mein späteres Leben geprägt. In den vergangenen Jahren ist es vielleicht etwas besser geworden. Es gibt ein bisschen weniger Diskriminierung und Ausgrenzung – auch weil Einrichtungen wie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unermüdlich dagegen ankämpfen.
Aber wir müssen vorsichtig sein, dass es nicht wieder losgeht. Die Wahlerfolge der rechten Parteien in vielen Ländern Europas, das massive Auftreten von gewalttätigen Rechtsradikalen und die Hetze der AfD bereiten mir Angst. Auch wenn die jüngsten Demonstrationen in ganz Deutschland, das Eintreten für Freiheit und Demokratie, für Toleranz und Vielfalt uns nun auch wieder etwas Mut und Hoffnung machen können.“
Renaldo Schwarzenberger, der Vorsitzende des Zentralrats der Jenischen, einer lange verleugneten Opfergruppe des Nationalsozialismus, die weiterhin nicht als nationale Minderheit in Deutschland anerkannt ist, erklärte in seiner Rede die Bedeutung des Minderheitenschutzes für eine funktionierende Demokratie: „Es ist wichtig, die Demokratie zu schützen und die Minderheiten unter dem Schutz der Demokratie zu wissen. Die Bedeutung des Minderheitenschutzes wird besonders deutlich, wenn er nicht gegeben ist, so wie bei uns Jenischen.“
Zum Abschluss wies Prof. Dr. Andreas Nachama, der langjährige Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland, auf die zahlreichen Gemeinsamkeiten in der Geschichte von Jüd*innen und Sinti und Roma hin: „Juden und Roma und Sinti teilen viele gemeinsame Erfahrungen – nicht nur die Schoa, der jeweilige Versuch der Ermordung ihres Volkes. In der europäischen Geschichte waren Roma und Sinti genauso wie die Juden immer „die Anderen“ – die „Fremden“, auch wenn sie schon seit Jahrhunderten hier lebten, mitunter sogar noch vor den jeweiligen Völkern, die das Land dann als ihre Heimat beanspruchten.“