Am Dienstag, 18. Juli 2017 um 21.45 Uhr wird erstmalig auf ARTE der 90-minütige Dokumentarfilm „Roma: Bürger zweiter Klasse?“ des Regisseurs Samuel Lajus ausgestrahlt. Der außergewöhnliche Film zeigt die strukturellen Mechanismen und vielfältigen Dimensionen des Antiziganismus in Europa auf und beleuchtet das Versagen und die Verantwortung von staatlichen Institutionen.
Struktureller Rassismus, Populismus und Nationalismus in Europa führen zu apartheidsähnlichen Zuständen: Staatlich organisierte Zwangsvertreibungen, Gewalt und Hassrede auf höchster politischer Ebene gefährden die Sicherheit von Sinti und Roma. Im Zentrum des Films steht die diskriminierende Stigmatisierung und Vertreibungspolitik des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy im Jahr 2010 – nicht zuletzt ein gutes Beispiel für die seit Jahrhunderten andauernde Sündenbockfunktion von Roma in der Politik – und die Auseinandersetzung mit der ehemaligen EU-Kommissionsvizepräsidentin Viviane Reding, die sich in diesem Zusammenhang vehement für den Respekt der Grundrechte für alle EU-Bürger einsetzte. Die umfassende Recherche des Regisseurs zeigt auf, wie tief Antiziganismus bis heute in der Mitte unserer Gesellschaft verwurzelt ist, und dass eine Verbesserung der Situation von Roma nur möglich ist, wenn staatliche Institutionen ihrer Verantwortung endlich gerecht werden und sich der Bekämpfung von antiziganistischen Strukturen widmen.
Politik und Medien ethnisieren und kulturalisieren in vielen Fällen die oft menschenunwürdigen Lebensbedingungen vieler Roma; damit werden die Opfer von strukturellem Rassismus für ihre Situation selbst verantwortlich gemacht und die Verantwortung der staatlichen Akteure geleugnet. Der Film zeigt anschaulich und vielfältig auf wie staatliche Institutionen und die Mehrheitsgesellschaft damit zur Reproduktion von Vorurteilen, Armut und Unterdrückung beitragen. Besonders deutlich wird, wie antiziganistische Bilder und Denkfiguren von vermeintlichen „Nomaden“ und „Nicht-Europäern“ in der Gesellschaft über Jahrhunderte erhalten wurden. Gerade staatliche organisierte Zwangsvertreibungen, die Menschen jegliche Lebensgrundlage berauben, führen zur Bestätigung dieser Klischees und werden zum Instrument für eine menschenverachtende Politik gegen Roma.
Spätestens mit dem Prozess der EU-Osterweiterung erfolgten Milliardeninvestitionen der EU in Eingliederungsmaßnahmen. Dennoch haben sich die Bildungschancen, der Zugang zu Gesundheitsversorgung und der Schutz vor Diskriminierung, Übergriffen und Zwangsvertreibungen für Roma-Minderheiten in zahlreichen osteuropäischen Mitgliedsstaaten seither zum Teil noch verschlimmert. In der Dokumentation kommen unterschiedliche Akteure zu Wort, die bei dem Prozess beteiligt waren oder davon betroffen sind. Sie alle tragen im Erzählverlauf der Dokumentation dazu bei, dass die Zuschauer*innen einen Überblick bekommen: von dem in erster Linie sehr bürokratischen Prozess ausgehend von EU-Institutionen über die einzelnen nationalen Diskursen und bis hin zu jenen, über die lange Zeit nur als Empfänger der Förderungsmaßnahmen gesprochen wurde. Den Filmemachern gelingt es sehr gut, keine einfachen Antworten auf die komplizierte Frage zu geben, wie es dazu kommen konnte, dass eine über Jahrzehnte andauernde Förderungsmaßnahme katastrophal scheitern konnte.
Der Film lässt sowohl Menschen zu Wort kommen, die täglich von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sind, als auch Angehörige der Minderheit, die sich politisch im Kampf gegen Antiziganismus in Europa engagieren. Der Film leistet damit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Thematisierung von Antiziganismus als Problem der Mehrheitsgesellschaften.
ARTE Filmankündigung: Roma: Bürger zweiter Klasse?“
Erstausstrahlung am 18. Juli 2017 um 21.45 Uhr (90 Minuten)
Online Ankündigung
Das schlechte Image von Roma ist dominant in ganz Europa und existiert seit Jahrhunderten. Warum begegnet die Mehrheitsbevölkerung gerade dieser Minderheit mit so viel Hass und Misstrauen? Die Filmemacher gehen in ganz Europa der Frage nach, weshalb sich Klischees und Vorurteile gegen Roma bis heute hartnäckig halten. Politische Fehlentscheidungen, Populismus und Fremdenhass – die Geschichte der Roma steht symptomatisch für ein Problem, das ganz Europa betrifft.
„Die Lage der Roma in den EU-Staaten ist heute schlimmer als im Kommunismus“, erklärt Georges Soros, US-amerikanischer Milliardär ungarischer Herkunft. Trotz der Milliardeninvestitionen der EU in Eingliederungsmaßnahmen hat sich also nichts geändert. Im Gegenteil: Seit dem Mauerfall scheint sich die Situation stetig zu verschärfen. Wie konnten die europäischen Institutionen so kläglich scheitern? Warum verließen nach dem Sturz von Nicolae Ceausescu über 15 Prozent aller Rumänen ihre Heimat? 2014 strengte die EU-Kommission ein Verfahren gegen die Tschechische Republik an, um Roma-Kindern besseren Zugang zu Bildung zu verschaffen. Warum besucht dort ein Viertel aller Roma-Kinder Schulen für Menschen mit geistigen Behinderungen, was zu ihrer sozialen Ausgrenzung führt? Im ungarischen Miskolc gewann die Partei Fidesz – Ungarischer Bürgerbund, der Premierminister Viktor Orban vorsteht, die Wähler mit dem klaren Versprechen, „das Roma-Ghetto aufzulösen, um die Stadt lebenswerter zu machen“. Doch die Roma wurden nicht umgesiedelt, sondern einfach verjagt. Der zweifelhafte Umgang mit der Roma-Minderheit ist kein osteuropäisches Phänomen. Auch in Italien, Frankreich und Schweden sind Räumungen von Roma-Lagern, Diskriminierung und Ausgrenzung an der Tagesordnung. Nur in Berlin, wo die Roma so zahlreich sind wie in ganz Frankreich, scheinen sie ihren gesellschaftlichen Platz gefunden zu haben. Was lief hier anders als bei den europäischen Nachbarn?
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Samuel Lajus
Dauer: 90 Min.
Origin: ARTE F
Land: Frankreich
Jahr: 2017
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