Eine Kurzexpertise zur Reportage „Roma – das vergessene Volk“

Die Reportage „Roma – das vergessene Volk“, wurde am 28. Dezember 2014 durch den privaten Fernsehsender RTL im Rahmen der Sendung Spiegel TV ausgestrahlt. Bereits die Anmoderation machte deutlich, welche problematischen Vorannahmen, Essentialisierungen, Verallgemeinerungen und Stereotypisierungen aber auch welche Ambivalenzen sich durch die gesamte Sendung ziehen.

Der Beitrag „Roma – das vergessene Volk“ hatte sich zum Ziel gesetzt, keine Stereotype zu reproduzieren, sondern über ‚die Roma‘ aufzuklären. Dabei sollte insbesondere die große Heterogenität der Gruppe aufgezeigt werden.

Beide Ziele wurden nicht erreicht. Stattdessen reproduziert der Beitrag über weite Strecken homogenisierende Darstellungen und Beschreibungen der Gruppe der ‚Roma‘, die durchgängig einer Gruppe der ‚Nicht-Roma‘ diametral entgegengesetzt wird. Die Differenzierung der verschiedenen Gruppen tritt hinter diese homogenisierende Darstellung zurück. Insbesondere ist problematisch, dass ‚Roma‘ im Beitrag immer wieder in der Rolle von Objekten der Fürsorge-, Unterstützungs- und Bildungsarbeit durch ‚Nicht-Roma‘ gezeigt werden. Damit wird ein hierarchisches Verhältnis der ‚primitiven‘ ‚rückständigen‘ ‚Roma‘ zu den ‚modernen‘ ‚aufgeklärten‘ ‚Nicht-Roma‘ etabliert.

Im Beitrag werden durchgängig stereotype Zuschreibungen an die Gruppe der ‚Roma‘ getätigt. Die Prüfung der Vorurteile erfolgt lediglich oberflächlich und in einer Weise, die dazu geeignet ist, der Stereotyp als korrekte Beschreibung der Realität anzuerkennen, die lediglich immer wieder Ausnahmen zulässt. Dabei ist dem Beitrag zugute zu halten, dass beispielsweise mehrere porträtierte Personen in ihrem jeweiligen Arbeitskontext gefilmt wurden, wodurch zumindest die Möglichkeit besteht, das Stereotyp der ‚zigeunerischen Faulheit‘ aufzubrechen.

Der Beitrag verbleibt größtenteils bei einer homogenisierenden und stereotypen Darstellung von ‚Roma‘, die lediglich in einzelnen wenigen Szenen aufgebrochen und hinterfragt wird. So muss abschließend festgehalten werden, dass der Beitrag durch antiziganistische Darstellungen gemäß der oben genannten Definition geprägt ist.

Dennoch ist der Beitrag nicht durchgängig als rassistisch zu bewerten. So wird zur Erklärung der als allgemein angenommenen Armut, Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit von ‚Roma‘ durch den off-Kommentar sogar immer wieder auf Rassismus und Diskriminierung gegenüber Roma verwiesen. Auch ist es dem Beitrag hoch anzurechnen, dass er – als einer der wenigen Beiträge aus dem Themenfeld ‚Armutszuwanderung‘, sowohl auf die Verfolgung rumänischer Roma durch Antonescu, als auch auf die Geschichte der Sklaverei von Roma auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens hinweist. Dennoch werden weder die Spätfolgen und Auswirkungen der Sklaverei, noch die der faschistischen Verfolgung thematisiert. Auch die Themen Diskriminierung und Verfolgung spielen in den Porträts der verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen nur am Rande eine Rolle.

Der Beitrag ist dabei einzuordnen in den größeren Kontext der Berichterstattung über die sogenannte ‚Armutsmigration‘ und hat zentrale Elemente dieses Debatte wieder aufgenommen. Insbesondere das übergeordnete Narrativ das auch von diesem Beitrag kommuniziert wird, mit dem Ausblick auf eine weitere ‚drohende‘ Migrationsbewegung zu Lasten ‚der Deutschen‘ ist deutlich zu kritisieren, weil grundsätzlich die Gefahr besteht, dass eine solche ‚Drohung‘ zu einer Feindseligkeit gegenüber Menschen, die als ‚Roma‘ wahrgenommen werden, beiträgt.

 

Verwandte Themen und Beiträge:

Antiziganistische Darstellungen im RBB

Eine Analyse der Sendungen RBB-Reporter: „Der große Klau“ und des Klartext-Beitrags „Misstrauen und Angst im Kiez"

Kurzexpertise von Markus End Die beiden untersuchten Beiträge des RBB ethnisieren soziale Phänomene in ungerechtfertigter Weise, verallgemeinern einzelne Vorkommnisse oder Verhaltensweisen als ‚Roma‘-Eigenschaften und müssen somit als antiziganistische Kommunikation im ... mehr