Der Zentralrat setzt sich ein für die Förderung und den Schutz der deutschen Sinti und Roma als anerkannte nationale Minderheit. Die deutschen Sinti und Roma gehören neben der dänischen Minderheit, den Friesen und den Sorben zu den vier alteingesessenen Minderheiten in Deutschland. Die offizielle Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit erfolgte durch die Bundesrepublik Deutschland mit der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates am 11. Mai 1995 und war ein wichtiger Erfolg der Bürgerrechtsarbeit des Zentralrats und seiner Landesverbände.
Neben dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen stellt das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten die Richtschnur für die erforderliche Umsetzung des Minderheitenschutzes in Deutschland dar. Mit seiner Unterzeichnung verpflichtete sich die Bundesregierung, die Bedingungen zu fördern, die es Angehörigen nationaler Minderheiten ermöglicht, „ihre Kultur zu pflegen und weiterzuentwickeln und die wesentlichen Bestandteile ihrer Identität, nämlich ihre Religion, ihre Sprache, ihre Traditionen und ihr kulturelles Erbe, zu bewahren.“ Gleichzeitig verbietet es jede Diskriminierung einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und hat zum Ziel, den Bestand nationaler Minderheiten in dem jeweiligen Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten durch geeignete Maßnahmen zu schützen.
Im Rahmen seiner Arbeit für Minderheitenrechte setzt sich der Zentralrat dafür ein, dass Bund und Länder die sich aus den internationalen Abkommen ergebenden Verpflichtungen im Hinblick auf die deutschen Sinti und Roma vollständig umsetzen. Er vertritt die Belange der Minderheit gegenüber nationalen und internationalen politischen Organen, Institutionen und Gremien und beteiligt sich an Gesetzesinitiativen des Bundestages mit minderheitenpolitischem Bezug. Auf Landesebene setzt er sich für den Abschluss von vertraglichen Vereinbarungen (“Staatsverträgen“) zwischen seinen Landesverbänden und den jeweiligen Landesregierungen ein, die den Minderheitenschutz nach dem Rahmenübereinkommen umsetzen.
Aktuelle Forderungen des Zentralrats im Bereich des Minderheitenschutzes
Verankerung der nationalen Minderheiten im Grundgesetz
Der Schutz und die Förderung der vier autochthonen nationalen Minderheiten Deutschlands ist bisher nur in drei von 16 Bundesländern verfassungsrechtlich verankert, obwohl es sich dabei um eine gesamtstaatliche Aufgabe handelt. Der Minderheit fordert daher seit geraumer Zeit ein klares Bekenntnis zu dieser gesamtstaatlichen Aufgabe. Dies wäre durch die Aufnahme der nationalen Minderheiten ins Grundgesetz der Bundesrepublik durchzusetzen.
Beteiligung von Vertretern der Sinti und Roma in Rundfunkräten und Landesmedienanstalten
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert seit langem die Beteiligung der Sinti und Roma in Rundfunkräten und Landesmedienanstalten. Diese ist bisher in Rheinland-Pfalz verwirklicht worden, wo der rheinland-pfälzische Landesverband Deutscher Sinti und Roma sowohl einen Sitz in der Versammlung des Rundfunkrates des SWR und der Landesmedienanstalt für die Privatmedien (LMK) innehat. Der Verein Deutscher Sinti e.V. Minden, Mitgliedsverband im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, wurde vom Landtag Nordrhein-Westfalen in seiner 128. Sitzung am 19. Mai 2021 gemäß § 93 Absatz 4 Landesmediengesetz NRW (LMG NRW) als gesellschaftlich relevante Gruppe bestimmt, die ein Mitglied in die Medienkommission der Landesanstalt für Medien entsenden darf.
Die Berufung von Sinti und Roma in die Kontrollgremien der privaten und öffentlich-rechtlichen Medien stellt jedoch eine gesellschaftspolitische und rechtliche Verpflichtung dar, die sich aus der Anerkennung der Sinti und Roma als autochthone nationale Minderheit in Deutschland ergibt. So hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten nicht nur zum besonderen Schutz, sondern auch zur Einbeziehung der Sinti und Roma ins gesellschaftliche und politische Leben verpflichtet. Vertreter der Minderheit müssen in Folge dessen auch in den Kontrollorganen der Medien als gesellschaftlich relevante Gruppe berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr, als dass die Lebensrealität von Sinti und Roma in Deutschland auch heute noch in vielfältiger Weise von Diskriminierung geprägt ist, die durch negative Stereotypen in der Fernseh- und Filmberichterstattung, vorurteilsschürende Bebilderungen von Nachrichten und zum Teil rassistische Unterhaltungsfilme verstärkt und reproduziert wird. Die Beteiligung von Vertretern der Sinti und Roma in Rundfunkräten und Landesmedienanstalten könnte dazu beitragen, die für die Programmgestaltung maßgeblichen Personen und Gremien für diskriminierende Berichterstattung und diskriminierende Sendungen zu sensibilisieren und diese durch die Entwicklung entsprechender Programmrichtlinien in Zukunft zu verhindern.
Die Verpflichtung zur Beteiligung von Vertretern der Sinti und Roma in den Kontrollorganen der Medien ergibt sich auch aus der historischen Verantwortung der Bundesrepublik nach dem NS-Völkermord an den Sinti und Roma. So wird die Beteiligung der Jüdischen Landesverbände in allen Rundfunkräten und Landesmedienanstalten der Bundesrepublik nicht zuletzt mit der besonderen Verantwortung aus der Geschichte begründet. Diese Verantwortung gilt in gleichem Maße auch gegenüber den Sinti und Roma.
Maßnahmen auf dem Gebiet der Bildung
Nach Artikel 12 Absatz 1 des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten verpflichten sich die Vertragsparteien, Maßnahmen auf dem Gebiet der Bildung zu treffen, „um die Kenntnis der Kultur, Geschichte, Sprache und Religion ihrer nationalen Minderheiten zu fördern.“ In Absatz 2 wird diese Verpflichtung dahingehend spezifiziert, dass die Vertragsstaaten „unter anderem angemessene Möglichkeiten für die Lehrerausbildung und den Zugang zu Lehrbüchern“ bereitstellen müssen. Hier gibt es im Hinblick auf die deutschen Sinti und Roma nach wie vor ein großes Defizit. Sinti und Roma werden in den meisten Schulbüchern, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2006 über die Präsentation des NS-Völkermords an den Sinti und Roma wird in den meisten Schulbüchern zudem unpräzise und auch falsch informiert.[1] Auch fehlen Aspekte der Geschichte vor 1933 und nach 1945, was dazu führt, dass Lernende wie Lehrende auf ein oft von stereotypen Vorstellungen geprägtes Alltagswissen zurückgreifen. Die Schule ist jedoch ein wichtiger Ort, an dem durch die Vermittlung von Wissen Vorurteile abgebaut und diskriminierende Stereotype entkräftet werden können. Der Zentralrat und das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma empfehlen daher folgende Maßnahmen auf dem Gebiet der Bildung:
Bildungsstandards und Lehrpläne anpassen (Schule, Lehrerausbildung)
Die Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma sollte umfassender in die Bildungsstandards bzw. Lehrpläne aufgenommen und prominenter positioniert werden. Eine ausschließliche Erwähnung der Sinti und Roma als „weitere Opfer“ des Nationalsozialismus ist nicht nur eine fortgesetzte Missachtung ihres Schicksals, was sich negativ auf die Empfindung und auch die Leistung von Schülern und Schülerinnen aus der Minderheit auswirken kann. Es steht auch zu befürchten, dass dadurch Klischees nicht reduziert, sondern mitunter bestärkt werden. Die Geschichte der Sinti und Roma vor 1933 und nach 1945 sollte bei den Empfehlungen berücksichtigt werden. Ebenso wäre grundsätzlich eine Aufnahme der Themen „Minderheiten“ und „Europäische Regelwerke“ in den Unterricht zu empfehlen. Die Lernziele sollten so formuliert werden, dass Sinti und Roma als anerkannte Minderheiten und Staatsbürger begriffen werden, die als handelnde Subjekte ihren festen Platz in der europäischen Geschichte und Kulturgeschichte haben. Das Thema Antiziganismus sollte sowohl im Rahmen der Lehrerausbildung behandelt und – als Teil der allgemeinen Demokratieerziehung und Antirassismusarbeit an Schulen –in den schulischen Curricula fest verankert werden.
Thematik als prüfungsrelevant einstufen
Es ist sinnvoll, wenn Themen, die sich mit Sinti und Roma beschäftigen, prüfungsrelevant wären. Das sichert einen großen Teil des Lernens/Wissens.
Schulbuchrevision anstreben
Die Lehrpläne und Bildungsstandards sind schon aus Gründen des Anerkennungsverfahrens die wichtigste Grundlage für die Konzeption von Schulbüchern. Eine neue Ausrichtung der Schulbuchdarstellung sollte analog zur jüdischen Geschichte die lange Anwesenheit der Minderheit in Deutschland und Europa darstellen. Die Thematisierung des Antiziganismus wäre für die Erörterung der nationalsozialistischen Rassenpolitik wichtig, ebenso lieferte sie einen Schlüssel für den Umgang der jungen Bundesrepublik mit den Überlebenden des NS-Völkermords. Bislang ist die Frage nach dem Schicksal der Überlebenden von Verfolgung und Völkermord nach 1945 in Schulbüchern (merkwürdigerweise) nie gestellt worden.
Lehrerfortbildung zum Thema unterstützen
Die Anforderungen an die Lehrkräfte sind beim Thema „Sinti und Roma“ vergleichsweise hoch. Die Gefahr der Kulturalisierung und/oder Ethnisierung in der pädagogischen Vermittlung ist groß, schon deswegen, weil Sinti und Roma in der gesellschaftlichen Wahrnehmung tiefsitzenden Klischees und Vorurteilen unterliegen. Lehrerinnen und Lehrern sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich über die Wissensaneignung hinaus auf multimodularen Fortbildungsveranstaltungen (Geschichte, Gegenwart, Kultur) ihre eigene Wahrnehmung zu reflektieren und sich für den Umgang mit dem Thema zu sensibilisieren.
Einrichtung einer ständigen Arbeitsgruppe bei der Kultusministerkonferenz mit Vertretern der Minderheit
Eine der Forderungen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma im Bildungsbereich ist die Einrichtung einer ständigen Arbeitsgruppe bei der Kultusministerkonferenz, bei der das Thema Sinti und Roma, bzw. nationale Minderheiten in Deutschland fester Bestandteil ist und in die entsprechende Minderheitenorganisationen einbezogen sind. Eine Aufgabe wäre der Entwurf, das Monitoring und die Evaluierung von Bildungsstandards (Deutsch, Geschichte, Politik / Gemeinschaftskunde) zum Thema.
GEMEINSAM FÜR EINE BESSERE BILDUNG – EMPFEHLUNGEN ZUR GLEICHBERECHTIGTEN BILDUNGSTEILHABE VON SINTI UND ROMA IN DEUTSCHLAND
Wie kann der Bildungszugang für Sinti und Roma verbessert werden? Wie ihre gleichberechtigte Teilhabe erreicht werden? Welche Grundsätze sind zu beachten, damit Bildungsbeteiligung und Bildungserfolg zunehmen? Und wie können dafür notwendige Daten erhoben und wissenschaftliche Studien durchgeführt werden?
Diese Fragen diskutierte der „Bundesweite Arbeitskreis zur Verbesserung der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs von Sinti und Roma in Deutschland“, den die Stiftung EVZ 2013 gegründet hat. An elf Sitzungstagen entwickelten Fachleute aus Sinti- und Roma-Organisationen mit Sachverständigen aus Ländern, Kommunen, Stiftungen und der Wissenschaft Wege zum gleichberechtigten Bildungszugang für Sinti und Roma. Vertreterinnen und Vertreter des Bundes nahmen an den Sitzungen des Arbeitskreises beratend und begleitend teil.
Nach zweijähriger Arbeit liegen die gemeinsam formulierten Empfehlungen vor. Themen aus dem Bildungsbereich berühren eine Vielzahl von Zuständigkeiten. Die entsprechenden Akteure des Bundes, der Länder, der Kommunen, der Verbände, der Wissenschaft und der NGOs einschließlich der Roma und Sinti selbst und ihrer Organisationen werden mit den nunmehr vorgelegten Empfehlungen angeregt, in ihren Bereichen und nach ihren Möglichkeiten diese Empfehlungen aufzugreifen, gegebenenfalls anzupassen, weiterzuentwickeln und umzusetzen.
Die Empfehlungen sind zustimmend zur Kenntnis genommen worden u.a. vom:
Kulturausschuss des Deutschen Landkreistages
Schulausschuss der Kultusministerkonferenz
Bildungsausschuss Deutscher Städte- und Gemeindebund
Minderheitenrat der vier autochthonen nationalen Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands
[1] Reinhard Stachwitz: Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma in aktuellen deutschen Geschichtsschulbüchern, in: Internationale Schulbuchforschung 28 (Hannover 2006), S. 163-175.
Wichtige Erfolge der minderheitenpolitischen Arbeit des Zentralrats
Die offizielle Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit
Der Zentralrat setzte 1998 die gesetzliche Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit nach dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates und die Anerkennung der Minderheitensprache Romanes gemäß der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen durch.
Die deutschen Sinti und Roma gehören neben der dänischen Minderheit, den Friesen und den Sorben zu den vier alteingesessenen Minderheiten in Deutschland. Die offizielle Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit erfolgte durch die Bundesrepublik Deutschland mit der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten am 11. Mai 1995, das dadurch seit 1998 als Bundesgesetz gilt. Dies war ein wichtiger Erfolg der Bürgerrechtsarbeit des Zentralrats und seiner Landesverbände. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hatte ursprünglich die Absicht, den deutschen Sinti und Roma einen einklagbarer Minderheitenschutz im Rahmen der europäischen Abkommen zu verwehren mit der Begründung, es handele sich bei den deutschen Sinti und Roma um eine „ Minderheit ohne festes Staatsgebiet“ und bei dem von ihnen gesprochenen Romanes um eine „Sprache ohne eigenen Sprachraum“. Der Zentralrat sah darin einen Verstoß gegen das UN-Abkommen gegen Rassendiskriminierung und wandte sich u.a. an die Botschafter der USA und Israels mit der Bitte, bei der Bundesregierung zu intervenieren.
Bund-Länder-Vereinbarung zum dauerhaften Erhalt der Grabstätten NS-verfolgter Sinti und Roma
Am 8. Dezember 2018 haben Bund und Länder in Berlin die „Bund-Länder-Vereinbarung betreffend den Erhalt der Gräber der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Sinti und Roma“ unterzeichnet. Mit dieser Entscheidung wurde dem langjährigen Anliegen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma entsprochen, der sich seit 2004 bei Bund, Ländern und Kommunen dafür eingesetzt hat, dass diese Gräber dauerhaft als Familiengedächtnisstätten und Gedenkorte für die nachkommenden Generationen erhalten werden.
Die Vereinbarung wurde im Rahmen eines feierlichen Staatsaktes im Bundesrat anlässlich des jährlichen Gedenkens an den NS-Völkermord an den Sinti und Roma durch Bundesministerin Dr. Giffey für die Bundesregierung unterzeichnet. Damit wurde der am 8. Dezember 2016 durch die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und –chefs der Länder verabschiedete Beschluss zum dauerhaften Erhalt der Grabstätten in eine bundeseinheitliche Regelung umgesetzt.
An der feierlichen Unterzeichnung der Bund-Länder-Vereinbarung nahmen neben Bundesratspräsident Daniel Günther, Bundesministerin Dr. Giffey und dem Vorsitzenden und Vorständen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, Vertreter der beiden großen Kirchen und des Städtetags und Überlebende des Holocaust teil.
Mit dem Inkrafttreten der Bund-Länder-Vereinbarung wurden die Regelungen auf Landesebene ersetzt und gelten nicht mehr.
Aufnahme der deutschen Sinti und Roma in den Minderheitenschutzartikel der Landesverfassung Schleswig-Holsteins
Nach der Eröffnung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im Oktober 2012 in Berlin war auch der 14. November 2012 ein Tag, der für die politische Anerkennung der Minderheit von historischer Bedeutung war: Der schleswig-holsteinische Landtag beschloss an diesem Tag die Aufnahme der deutschen Sinti und Roma in den Minderheitenschutz-Artikel der Landesverfassung, dem „Grundgesetz“ dieses Landes. Mit der entsprechenden Ergänzung von Artikel 5 steht erstmals in einer staatlichen Verfassung geschrieben, dass für die Minderheit ein „Anspruch auf Schutz und Förderung“ garantiert ist – gleichberechtigt neben den anderen nationalen Minderheiten.
Eine solche Verfassungsbestimmung gibt es in keinem anderen Land Europas, obwohl dies in Anbetracht der Größe und Bedeutung der dort beheimateten Roma-Minderheiten unter allen Umständen erforderlich wäre. Dass die Staaten sich gegen einen derartigen, verfassungsrechtlichen Schutz seit Jahren wehren, lässt allerdings auf dessen Stellenwert schließen: Nämlich, dass die Verfassung nicht das sprichwörtliche „Papier“ ist, auf dem der Minderheitenschutz nur formal „steht“ – wie in vielen internationalen Abkommen. Vielmehr werden in der Verfassung eines Landes die Grundrechte und Staatsziele formuliert, an die sich das Land halten muss. Die Tatsache, dass der vom Kieler Landtag beschlossene Verfassungsartikel ausdrücklich einen „Anspruch“ auf Schutz und Förderung für die dort genannten Minderheiten formuliert, begründet nach Auffassung des Zentralrats auch das Recht, sich darauf vor den Verfassungsgerichten zu berufen.
Nicht nur jede Form der Ausgrenzung und Benachteiligung von Angehörigen der deutschen Sinti und Roma in Gesetzgebung und Politik wird durch den Verfassungsartikel verboten. Die Verpflichtung, der Minderheit die gleichberechtigte Teilhabe und Chancengleichheit in allen gesellschaftlichen Bereichen zu sichern, wurde mit der Verfassungsbestimmung zum Staatsziel erhoben. Die jeweiligen Landesregierungen von Schleswig-Holstein sind unter anderem verpflichtet, im Falle von Diskriminierungs- und Bedrohungstatbeständen – wie wir sie gerade jetzt durch die extreme Rechte erleben – aktiv Maßnahmen zum Schutz der Minderheit zu ergreifen.
Mit der erstmaligen Verankerung des Anspruchs auf Schutz und Förderung für die Minderheit der Sinti und Roma setzte das Land Schleswig-Holstein ein Zeichen für die Minderheitenpolitik in ganz Europa.
Mitarbeit in nationalen und internationalen Gremien
Minderheitenrat
Der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma hat sich im Jahr 2005 zur besseren Vertretung seiner Interessen gegenüber der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag mit den drei anderen autochthonen nationalen Minderheiten: den Dänen, den Friesen, sowie den Sorben im Minderheitenrat zusammengeschlossen. Zu dessen Aufgaben gehört unter anderem die Überwachung der eingegangen Verpflichtungen des Bundes im Hinblick auf das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. Der Vorsitz des Minderheitenrates ist nach dem Rotationsprinzip geregelt, wobei jede Minderheitenorganisation den Vorsitzenden für die Dauer eines Jahres stellt. Die gemeinsamen regelmäßigen Beratungen des Minderheitenrates werden mindestens zweimal im Jahr durchgeführt.
Gesprächskreis nationale Minderheiten beim Deutschen Bundestag (Innenausschuss)
In dem Gesprächskreis nationale Minderheiten beraten sich unter Leitung des Vorsitzenden des Innenausschusses mehrmals jährlich Vertreter der Dachorganisationen der nationalen Minderheiten mit Abgeordneten des deutschen Bundestages.
Bund-Länder-Konferenzen mit den Minderheiten zum Rahmenübereinkommen
Themen der Bund-Länder-Konferenzen (Implementierungskonferenzen), an denen Vertreter der Dachorganisationen der nationalen Minderheiten und Vertreter von Bund und Ländern teilnehmen, sind die Umsetzung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats.
Beratender Ausschuss für Fragen der deutschen Sinti und Roma
Der beim Bundesministerium des Innern angesiedelte Beratende Ausschuss für Fragen der deutschen Sinti und Roma sichert der Minderheit den Kontakt zu der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag. Den Vorsitz nimmt jeweils der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten wahr.
Beirat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)
Der Zentralrat ist Mitglied in der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen, dem größten Dachverband der autochthonen, nationalen Minderheiten und Volksgruppen in Europa und vertritt die Interessen von Minderheiten auf regionaler und nationaler Ebene und bei den Internationalen Organisationen, insbesondere bei der Europäischen Union und dem Europarat sowie bei der UNO und der OSZE. Die FUEN veranstaltet jährlich den größten Kongress der autochthonen Minderheiten in Europa – bei dem rund 150-250 Vertreter von europäischen Minderheiten zusammenkommen und an dem der Zentralrat regelmäßig teilnimmt.
OSZE-Implementierungskonferenzen zur Menschlichen Dimension
Der Zentralrat nimmt regelmäßig an den ,,OSZE-Implementierungskonferenzen zur Menschlichen Dimension” in Warschau teil. Die „Menschliche Dimension“ umfasst die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten, Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie humanitäre Angelegenheiten. Nichtregierungsorganisationen haben im Rahmen der jährlich stattfindenden ,,OSZE-Implementierungskonferenzen zur Menschlichen Dimension” die Möglichkeit, zur Umsetzung der in diesem Bereich bestehenden staatlichen Verpflichtungen Stellung zu nehmen.
Instrumente und rechtliche Grundlagen des Minderheitenschutzes
Staatsverträge und Rahmenvereinbarungen
Um die erforderliche Rechtssicherheit für die Minderheit zu schaffen, setzt sich der Zentralrat für den Abschluss von verbindlichen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Landesregierungen und den Institutionen bzw. Selbstorganisationen der deutschen Sinti und Roma ein. In diesen sind die konkreten Umsetzungsverpflichtungen aus dem Rahmenübereinkommen einschließlich der Förderung festzuhalten. Der renommierte Völkerrechtler und frühere Menschenrechtsdirektor der UNO, Prof. Theo van Boven aus Masstricht, hat schon im Jahre 1997 in einem Sachverständigengutachten zum Minderheitenschutz festgestellt, dass „öffentlich-rechtliche Verträge – wie sie für die Jüdischen Gemeinschaften existieren – ‚besondere Maßnahmen‘ im Sinne der internationalen Abkommen sind, welche zur Gewährleistung von Gleichheit nicht nur de jure, sondern auch de facto getroffen werden“. In Rheinland-Pfalz, Bayern, Bremen, Baden-Württemberg und Hessen haben Landesregierungen mit unseren Landesverbänden entsprechende Staatsverträge, bzw. vertragliche Vereinbarungen abgeschlossen, die den Minderheitenschutz nach dem Rahmenübereinkommen des Europarates umsetzen.
Im März 2023 wurde ein Änderungsvertrag zu dem seit 2018 bestehenden Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Bayern geschlosse. Der neue Vertrag sieht eine Ausweitung der Zusammenarbeit sowie eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung durch den Freistaat von bisher rund 434.700 Euro auf nun 662.300 Euro vor.
2023 trat ein zweiter durch den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und den Vorsitzenden des hessischen Landesverbandes Adam Strauß unterzeichneter Staatsvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren in Kraft.
Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten
Mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten ist das erste völkerrechtlich verbindliche Schutzinstrument geschaffen worden, das sich direkt auf die nationalen Minderheiten bezieht. Es verbietet jede Diskriminierung einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und hat zum Ziel, den Bestand nationaler Minderheiten in dem jeweiligen Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten durch geeignete Maßnahmen zu schützen.
Von den gegenwärtig 47 Mitgliedsstaaten des Europarates haben 39 Staaten das Rahmenübereinkommen ratifiziert, das heißt als eigenes nationales Recht anerkannt, weitere vier Staaten haben das Übereinkommen gezeichnet. Die Europäische Union (EU) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten als Rechtsinstrument ausdrücklich übernommen.
Durch Gesetz vom 22. Juli 1997 hatte der Deutsche Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats und der Bundesländer dem Rahmenübereinkommen zugestimmt. Das Gesetz wurde am selben Tage im Bundesgesetzblatt verkündet und die entsprechende Anerkennungsurkunde am 10. September 1997 beim Europarat in Straßburg hinterlegt. Nach dem Vertragsgesetz ist das Rahmenübereinkommen seit dem 1. Februar 1998 als Bundesgesetz in Deutschland umfassend anzuwenden.
Mindestens ebenso wichtig wie das Eingehen völkerrechtlicher Verpflichtungen sind die Mechanismen, die sicherstellen, dass die Vertragsstaaten ihre Verpflichtungen einhalten. Aus diesem Grund müssen die Unterzeichnerstaaten innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten den Europarat über die Umsetzung informieren, danach alle fünf Jahre Bericht erstatten. Der Europarat wird dabei von einem beratenden Ausschuss von unabhängigen Experten bei seinen Kontrollaufgaben unterstützt.
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte ist eines der ersten völkerrechtlich bindenden internationalen Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und gilt zusammen mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem UN-Sozialpakt als internationaler Menschenrechtskodex. Er ist das erste völkerrechtliche Abkommen, in dem ein generelles Verbot der Diskriminierung ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten festgeschrieben wurde. Artikel 27 des UN-Zivilpaktes gewährt Minderheiten die Freiheit, ihre eigene Sprache zu sprechen und ihre eigene Kultur und Religion zu pflegen.
Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen wurde am 5. November 1992 vom Europarat gezeichnet und trat 1998 in Kraft. Ziel der Charta ist es, dass die historisch gewachsenen Regional- oder Minderheitensprachen als ein einzigartiger Bestandteil des kulturellen Erbes Europas anerkannt und als solche aktiv geschützt und gefördert werden. Hierzu können sich die Unterzeichnerstaaten aus einem Maßnahmenkatalog von 96 Maßnahmen 35 heraussuchen und verpflichten sich, diese umzusetzen. Das Romanes der deutschen Sinti und Roma steht unter dem Schutz der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und wird von den etwa 70.000 deutschen Sinti und Roma neben Deutsch als zweite Muttersprache gesprochen. Viele deutsche Sinti und Roma vertreten die Auffassung, dass mit Rücksicht auf die Erfahrungen der Überlebenden des Völkermordes Romanes nicht an Außenstehende im staatlichen Bildungssystem vermittelt werden soll. Ein entsprechender Sprachunterricht ist im staatlichen Schulsystem daher nicht vorgesehen.
Stellenausschreibung: Wissenschaftliche Leitung (m/w/d) Bewerbungsfrist: 09. Feburar 2025 Dienstort: Heidelberg Unbefristet in Vollzeit, ab 1. März 2025, bzw. frühestmöglicher Zeitpunkt Vergütung in Anlehnung an TVöD E 14 Der Zentralrat Deutscher ... mehr
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine/n Sekretär/in (m/w/d) in Vollzeit (39,0 Stunden) Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ist der unabhängige Dachverband von 19 Landes- ... mehr