Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch und Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, haben am Montag, 1.10.2018, in Potsdam eine Vereinbarung zur Aufarbeitung, zum Gedenken und zur Zusammenarbeit unterzeichnet. Die Vereinbarung setzt den Antrag ‘Sinti und Roma – Gedenken und Handeln gegen Diskriminierung‘ der Fraktionen von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen um, der im September 2017 einstimmig im Landtag Brandenburg beschlossen wurde. Kulturministerin Martina Münch:
„Vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Verfolgung und insbesondere des NS-Völkermordes an Sinti und Roma hat das Land Brandenburg eine besondere Verantwortung im Umgang mit dieser Minderheit. Im ‘Dritten Reich‘ wurden rund 500.000 Sinti und Roma aus ganz Europa in Gaskammern ermordet, durch Schwerstarbeit umgebracht oder bei Menschenversuchen zu Tode gequält – weniger als 5.000 überlebten die Gräuel in den Ghettos und Konzentrationslagern“, so Münch. „Wir erinnern an diese Geschichte und bekennen uns zu unserer Verantwortung, daraus Lehren zu ziehen. Mit der Aufnahme einer Antirassismus-Klausel in die Landesverfassung hat das Land 2013 bereits ein deutliches Signal gegen die Diskriminierung von bestimmten Gruppen in der Bevölkerung, darunter auch den Sinti und Roma, gesetzt. Mit der neuen Vereinbarung wollen wir die Aufarbeitung von Verfolgung und Verbrechen gegenüber dieser Minderheit in der Vergangenheit verbessern, das Verständnis für ihre Identität und Kultur weiter fördern sowie ihren Schutz und ihre Teilhabe in der heutigen Gesellschaft stärken.“
Landesverbandsvorsitzende Petra Rosenberg begrüßt die Unterzeichnung der Vereinbarung:
„Ich freue mich sehr, dass wir im Rahmen der Vereinbarung die Kontakte zum Land Brandenburg intensivieren und auf eine verlässliche Basis stellen können. Die Vereinbarung ist ein wichtiger Beitrag für die Aufarbeitung der Geschichte der Verfolgung der Sinti und Roma in Deutschland aber auch der Aufklärung über unsere Kultur und Identität. Ich hoffe, dass sie dazu beiträgt, Vorurteile und Klischees auszuräumen, Diskriminierung entgegen zu wirken, das Miteinander zwischen Mehrheit und Minderheit in unserem Land zu befördern – und den Sinti und Roma Mut macht, sich künftig verstärkt und selbstbewusst in gesellschaftliche Prozesse einzubringen.“
Ein Schwerpunkt der Vereinbarung zwischen dem Land Brandenburg und dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg ist die Gedenk- und Antidiskriminierungsarbeit. Schulen und andere Einrichtungen der Bildungs- und Jugendarbeit sowie die Kommunen sollen für die Geschichte und Kultur der Sinti und Roma sensibilisiert werden. Mit der Vereinbarung werden zudem Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner und gemeinsame Handlungsfelder festgelegt, mit denen die gesetzlichen Verpflichtungen aus dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen umgesetzt werden sollen. Das Land unterstützt die Gedenk- und Erinnerungsarbeit des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg künftig mit jährlich 5.000 Euro. Als erstes Projekt ist die Erstellung einer Informationsbroschüre über Sinti und Roma in Brandenburg geplant.
Mit dieser Vereinbarung bestehen inzwischen – nach den landesrechtlichen Regelungen zu Sorben/Wenden und der mit der Gruppe der Niederdeutsch-Sprechenden abgeschlossenen Vereinbarung – mit allen im Land anerkannten nationalen Minderheiten bzw. Sprechergruppen von Minderheiten- und Regionalsprachen Regelungen zur Zusammenarbeit. Ähnliche Vereinbarungen und Staatsverträge mit den Sinti und Roma bestehen auch in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Die deutschen Sinti und Roma sind neben Dänen, Friesen und Sorben/Wenden als nationale Minderheit in der Bundesrepublik anerkannt. In Brandenburg leben einzelne Angehörige der nationalen Minderheit deutscher Sinti und Roma.
Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg wurde 1978 in West-Berlin gegründet. Er vertritt die in Berlin und Brandenburg lebenden Sinti und Roma, setzt sich für ihre gesellschaftliche Gleichstellung sowie für die Wahrung ihrer kulturellen Tradition und Eigenständigkeit ein, kämpft gegen Benachteiligung und Diskriminierung und unterstützt die Überlebenden des Nationalsozialismus und ihre Angehörigen in sozialen, entschädigungs- und versorgungsrechtlichen Angelegenheiten. Vorsitzende des Verbandes ist Petra Rosenberg, Tochter des Auschwitz-Überlebenden und Gründers des Verbandes Otto Rosenberg.
Die Verfolgung der Sinti und Roma intensivierte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten: Sie fielen wie die Juden unter die diskriminierenden Bestimmungen der ‘Nürnberger Rassengesetze‘ von 1935. Es folgten Verordnungen zur Kennzeichnung der Sinti und Roma, die Ausgabe von Rasseausweisen, Zwangsumsiedlungen und die Einrichtung von insgesamt 21 so genannten Zigeunerleitstellen zur Vorbereitung der Transporte in die Vernichtungslager. Bereits 1936 wurde im Vorfeld der Olympiade in der Region Berlin-Brandenburg das Zwangslager Marzahn errichtet, in das ganze Familien deportiert wurden. Am 16. Dezember 1942 unterzeichnete der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, den so genannten Auschwitz-Erlass. Damit begann die Deportation von rund 23.000 Sinti und Roma aus elf Ländern Europas in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, unter ihnen 10.000 deutsche Sinti und Roma aus dem damaligen Reichsgebiet. Fast alle wurden dort ermordet. Insgesamt wurden im besetzten Europa rund 500.000 Sinti und Roma durch Einsatzgruppen der SS oder in Konzentrationslagern, darunter auch Ravensbrück und Sachsenhausen, ermordet. Seit 2004 wird in der Gedenkstätte Sachsenhausen die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma im Rahmen der Dauerausstellung ‘Medizin und Verbrechen‘ dokumentiert.
Quelle: Pressemitteilung des Landes Brandenburg vom 1. Oktober 2018