»Das bereitet den Boden für Antiziganismus«

Interview mit Herbert Heuß in der Tageszeitung 'junge Welt' zum Münchner Urteil zu den NPD-Wahlplakaten
Herbert Heuß, Wissenschaftlicher Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma © Herbert Heuß
 
Diskriminierung ja, Volksverhetzung nein: Münchner Urteil zu NPD-Plakat sorgt für Empörung.
Aus „Junge Welt“. Ausgabe vom 21.09.2019, Seite 8 / Inland. Gespräch mit Herbert Heuß. Interview: Kristian Stemmler. 
 
Am Donnerstag wies das Münchner Verwaltungsgericht eine Klage des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma gegen die Stadt Ingolstadt ab. Worum ging es dabei?
 
Seit Jahren plakatiert die NPD bei Bundes- wie bei Landtagswahlen den Spruch »Geld für die Oma statt für Sinti und Roma«. Dahinter steht die Ausgrenzung von Sinti und Roma, denen nicht zustehen soll, was anderen Deutschen zusteht. Immer wieder wurden wir vom Zentralrat kontaktiert, weil in den Städten und Gemeinden diese Plakate aushingen – mit der Folge, dass Schulkinder von ihren Klassenkameraden damit konfrontiert wurden. Diese Form von alltäglicher Diskriminierung ist in keiner Weise akzeptabel, verstößt gegen geltendes Recht und bereitet den Boden für gewaltbereiten Antiziganismus. Das Münchner Gericht urteilte nun aber, dass der Tatbestand der Volksverhetzung nicht gegeben sei.

Ein Gutachten der Würzburger Völkerrechtlerin Stefanie Schmahl im Auftrag des Bundesjustizministeriums hatte schon 2015 ergeben, dass derartige »fremdenfeindliche Wahlplakate« die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden und abgehängt werden müssen. Wie argumentierte die Juristin?

Ihr entscheidendes Argument ist, dass die Gerichte nur auf Volksverhetzung abheben, aber alle anderen rechtlichen Gründe vollständig ignorieren. Es gibt eine Reihe internationaler Abkommen, die in Deutschland im Rang eines Bundesgesetzes stehen. Ein Beispiel ist das »Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung« der Vereinten Nationen, auf das man sich für ein Vorgehen gegen rassistische Wahlwerbung berufen kann. Diese menschenrechtlichen Übereinkommen wurden von den Gerichten, auch jetzt wieder vom Münchner Verwaltungsgericht, aber nicht herangezogen – obwohl sich der Zentralrat bereits in seiner Klageschrift ausdrücklich und umfangreich auf das Gutachten bezogen hatte.

Wie geht es nach der Entscheidung von Donnerstag nun weiter?

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wird zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann alle rechtlichen Optionen prüfen. Es ist im übrigen einigermaßen erstaunlich, dass das Gericht wohl Diskriminierung feststellt, diese aber für gewissermaßen zulässig, weil nicht volksverhetzend, erklärt. Damit wird der Diskriminierung von Sinti und Roma wie der von anderen Minderheiten Tür und Tor geöffnet.

In diesem Zusammenhang sei auch erinnert an das aktuelle Urteil des Landgerichts Berlin, das die Beleidigung und Diffamierung der Grünen-Politikerin Renate Künast als »Auseinandersetzung in der Sache« deklariert. Damit werden Hassreden in den »sozialen Medien« von deutschen Richtern legitimiert, und das Vertrauen in den Rechtsstaat wird schwer beschädigt.

Erst im August hatte der Zen­tralrat gegen eine auf Sat.1 ausgestrahlte und von Spiegel TV produzierte Dokumentation mit dem Titel »Roma: Ein Volk zwischen Armut und Angeberei« protestiert. Was kritisieren Sie daran?

Diese Sendung verstieß nach unserer Auffassung gegen die rundfunkrechtlichen Vorgaben. Die Programmgrundsätze schreiben die Achtung und den Schutz der Menschenwürde ebenso wie das Hinwirken auf ein diskriminierungsfreies Miteinander verbindlich fest. Wie im NS-Propaganda-Film über Theresienstadt durchziehen den Sat.1-Film immer wieder Sequenzen, in denen Roma in unterschiedlicher Weise mit Ratten in Zusammenhang gebracht werden. Insbesondere die Wohnsituation in den Ghettos in Rumänien wird so charakterisiert. Damit wird gleichzeitig diese menschenunwürdige Situation als vorgeblich der Mentalität von Roma entsprechende Lebensweise dargestellt – ohne den der desolaten Lage großer Teile der Roma-Bevölkerung zugrundeliegenden Rassismus in ihren Heimatländern als Ursache zu benennen.

Herbert Heuß ist Wissenschaftlicher Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma