Rezension von Oliver von Mengersen
Die Übersetzung von Gedichten ist ein schwieriges Unterfangen. Lyrik entzieht sich der einfachen Übertragung von Worten. Der Übersetzer wird mit seiner Version des Gedichts in einer anderen Sprache ebenfalls zum Dichter. Feste Regeln gibt es nicht. Es zählt, wenn man so will, das Empfinden des Übersetzers und seine Einfühlsamkeit in den sprachlichen Ausdruck, jenseits von Versmaß und Reimschema.
Das vorliegende Buch enthält eine Auswahl von Gedichten bekannter Schriftsteller, die von Reinhold Lagrene ins deutsche Romanes übersetzt wurden. Er arbeitete einige Jahre daran, die letzten Monate seines Lebens mit steigender Intensität. Seine Entscheidung, sich
der Lyrik zuzuwenden, entsprang zunächst seiner Zuneigung zu dieser komplexen literarischen Gattung. Er selbst übte sich darin und es gelang ihm, Dinge, die ihn bewegten und ihm wichtig waren, in Gedichten auszudrücken. Einige von ihnen werden im zweiten Teil
dieses Buchs zum ersten Mal mit einer kurzen Einleitung seiner Frau Ilona veröffentlicht.
Reinhold Lagrene hatte es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur das Bewusstsein der Sinti und Roma für die Bedeutung der eigenen Sprache zu stärken, sondern auch den Weg für einen bewussten Umgang mit der Sprache zu bereiten. Mit seinen Übersetzungen zeigt er, dass das Romanes eine Sprache ist, deren Lebendigkeit und Vielfalt sich ebenso für den lyrischen Ausdruck eignet wie die Sprache der von ihm
übersetzten Werke. Den Sinti und Roma den Reichtum ihrer Sprache näherzubringen und auch der Gesellschaft zu zeigen, dass das Romanes alles andere als ein Nischenprodukt ist, soll die vorliegende Anthologie bewirken.
Das deutsche Romanes ist durch die europäische Sprachencharta als einzigartiger Bestandteil des kulturellen Erbes Europas anerkannt und geschützt. Sie wird in den Familien mündlich weitergegeben und ist eine wichtige kulturelle Ressource der Minderheit. Reinhold Lagrene hat sich viele Jahre lang für den Erhalt und die Pflege des deutschen Romanes’ engagiert. Er studierte anhand alter Publikationen die Geschichte der Sprache, ihre Lexik und Grammatik. Auf diese Weise erarbeitete er sich ein umfangreiches Wissen. Er war lange Zeit selbst literarisch tätig und setzte mit seinen Erzählungen und Gedichten Maßstäbe in der Verwendung des deutschen Romanes’.
Er ist im November 2016 überraschend im Alter von 66 Jahren gestorben, noch bevor er die Arbeit an der Anthologie abschließen konnte.
mit einem Vorwort von Romani Rose, Wunderhorn Verlag