Rezension von Dr. Anja Titze, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Das Buch gehörte zu DDR-Zeiten in der fünften Klasse zur Pflichtlektüre in der Schule. Es handelt von der Freundschaft zwischen dem Arbeiterjungen Ede und dem Sinti-Mädchen Unku. Die beiden lernen sich auf dem Rummel kennen, erzählen einander von ihrem Leben und ihren Träumen, verbringen die Zeit zusammen und bestehen gemeinsam einige Abenteuer. Es ist eine berührende Geschichte von zwei Teenagern im Berlin der Zwanzigerjahre. In der Schule wurde das Buch aber vor allem deshalb behandelt, weil es die Not der Arbeiter und den Klassenkampf thematisiert. Schließlich hat die kommunistische Schriftstellerin Grete Weißkopf auch beschrieben, wie Ede und Unku einen Arbeiter verstecken, der wegen Verstoßes gegen das Streikverbot polizeilich gesucht wird. Die Diskriminierung von Unku und ihrer Familie wurde zwar im Buch, aber nicht in der Schule behandelt, geschweige denn wurde dort dem Schicksal von Unku nachgegangen, die
ja (wie Ede auch) wirklich gelebt hat. Unkus Leben endete 1944 in Auschwitz. Dieser Teil der Geschichte wird der Öffentlichkeit erst Jahrzehnte später bekannt.
Das ist auch das Verdienst von Janko Lauenberger. Der Berliner Musiker hat sich mit Juliane von Wedemeyer auf
Spurensuche begeben, um das Schicksal seiner Verwandten zu rekonstruieren. Unku, ihr dt. Name war Erna Lauenburger, ist nämlich seine Urgroßcousine. In dem 2018 erschienenen Buch „Ede und Unku – die wahre Geschichte“ erzählen die beiden Autoren die ganze traurige Geschichte von Unku: ihre Kindheit und Jugend in der Weimarer Republik sowie ihren Lebensweg unter den Nazis, die Unku und ihre Familie ermordeten.
Doch in dem Buch findet sich eine zweite Biografie, nämlich die von Janko Lauenberger selbst. Darin beschreibt er, wie er als Sinto in der DDR aufgewachsen ist und welche Personen, Orte und Ereignisse ihn geprägt haben. So erfährt der Leser von seiner unbeschwerten Kindheit in einem Dorf nahe Dresden, von seinen unvergesslichen Ferien bei Verwandten in Berlin, von seinem Großvater Babo, der Auschwitz überlebt hat und seiner Urgroßmutter, die klein und zerbrechlich wirkt. Und dann ist da noch sein Vater mit der Gitarre, der ihn nach und nach in die Musik der Sinti einführt und in die Band „Sinti Swing“ integriert.
Auch die Bruchstellen in seiner Biografie werden sichtbar.
So berichtet er vom Schulwechsel nach Berlin, wo er erstmals in aller Deutlichkeit zu spüren bekommt, dass er von einigen Mitschülern als anders wahrgenommen wird. Nahezu täglich wird er als „Zigeuner“ beschimpft und beleidigt, den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Er schlägt zurück, er muss sich wehren. Das, was heute als massives Mobbing bezeichnet würde, überfordert die sozialistische Schule und die Lehrer. Sie sehen ihn als Störenfried. Und die staatlichen Organe lösen das Problem auf ihre Weise: Sie entreißen ihn seiner Familie und weisen ihn in ein Heim für schwer erziehbare Kinder in Thüringen ein.
Die Autoren haben intensiv recherchiert. Sie haben in Archiven gesessen und Akten gelesen, Originalschauplätze besucht und Zeitzeugen getroffen. Diese Recherchearbeit ist beachtlich. So erfährt der Leser nicht nur viel über das Leben der zwei Hauptpersonen (Unku und den Autor Janko Lauenberger), sondern erlangt darüber hinaus zeitgeschichtliches Hintergrundwissen zur Nazizeit und zur DDR. Diese Informationen werden verständlich und maßvoll eingebaut, sodass sich das Buch sehr gut lesen lässt.
Die beiden biografischen Handlungsstränge sind in den insgesamt 17 Kapiteln in gelungener Weise miteinander verflochten. Dadurch wird deutlich, wie eng Unkus Geschichte mit der von Janko Lauenberger verwoben ist, wie sehr das erfahrene Leid in sein Leben hineinwirkt und wie wichtig es ist, dass es ein solch wertvolles Buch gegen das Vergessen gibt.
Janko Lauenberger mit Juliane von Wedemeyer, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2018