Fachveranstaltung: „Kein Ort zum Leben – Roma in und aus dem Kosovo“

P1060568Das im Oktober 2015 von der Bundesregierung verabschiedete „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ hat schwerwiegende Konsequenzen für Roma aus dem Kosovo. Die Roma aus dem westlichen Balkan, die Zuflucht in Deutschland suchen, spielten im politischen und gesellschaftlichen Diskurs im Vorfeld dieses „Asylkompromisses“ eine wesentliche Rolle, sie wurden in diesem Diskurs regelrecht missbraucht. Im „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ jedoch wird, von einem Nebensatz abgesehen, nicht auf ihre Situation eingegangen. So negativ das neue Gesetz für die Roma im und aus dem Kosovo auch ist, bietet es allerdings auch Möglichkeiten, auf die Lebenssituation der Roma im Kosovo einzuwirken und Lösungen zu entwickeln, die auch die Integration der bereits in Deutschland lebenden Roma aus dem Kosovo fördern können.

Eine Fachveranstaltung am 05. November 2015 brachte Bundestagsabgeordnete, Experten, gesellschaftliche Gruppen, Medien und Vertreter der Sinti und Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter aus dem Kosovo zusammen, um folgende Fragestellungen zu diskutieren:

Der Kosovo – kaum ein sicherer Herkunftsstaat für Roma

Warum erklären deutsche Politiker den Kosovo zum sicheren Herkunftsstaat für Roma, wenn ca. 100.000 Roma aus dem Kosovo aus ihrem Heimatland vertrieben bleiben und die Mehrheit von ihnen keine Chance auf ein Überleben im Kosovo hat?

Wie können zentrale Aussagen des „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“ genutzt werden, um die Situation der Roma im und aus dem Kosovo zu verbessern?
Der Gesetz sieht u.a. die Förderung der „legalen Migration aus dem Herkunftsland zur Arbeits­aufnahme in Deutschland“ vor. Zudem soll sich „der Bund aktiv für die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Minderheiten, insbesondere Roma, im Westbalkan einsetzen“. Schließlich möchte „der Bund die Integrationskurse für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive“ öffnen.

Welche Gefahren birgt der „Asylkompromiss“?
Noch mehr Roma aus dem Kosovo werden gezwungen, in den Untergrund zu gehen.  Welche negativen Konsequenzen hat das Leben im Untergrund auf den Schulbesuch, den sozialen und medizinischen Schutz, oder auf Abhängigkeiten von informellen Strukturen, etc.?
Ist das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ ein Anti-Roma Gesetz?
Wird die Entscheidung, den Kosovo wie auch die anderen Länder des westlichen Balkans zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, nicht dazu führen, dass die Regierungen dieser Länder noch weniger dafür tun, die Diskriminierung und den Ausschluss der Roma aus der Gesellschaft zu beenden?

Wie kann man erreichen, dass Deutschland langjährig geduldeten Familien ein Aufenthaltsrecht  gewährt?
Angesichts der  unerträglichen Situation der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter im Kosovo  sollen die Bundesregierung und die Bundesländer aufgefordert werden, den rund 7.000 langjährig geduldeten Roma-Flüchtlingen aus dem Kosovo einen gesicherten Aufenthalt zu gewährleisten. Nach wie vor wird diesen Flüchtlingen die Arbeitsaufnahme erschwert, die Weiterbildung der Jugendlichen wird behindert, und die Freizügigkeit auf den jeweiligen Landkreis beschränkt.

Situation der Roma im Kosovo

Ca. 100.000 Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter aus dem Kosovo leben seit über fünfzehn Jahren als Vertriebene in Westeuropa und in Nachbarländern des Kosovo, da sie keine Chance auf ein Überleben im Kosovo haben. Ein Großteil von ihnen wurde nach der NATO-Intervention, die auch von der deutschen Bundesregierung unterstützt worden ist, im Sommer 1999 vertrieben. An die 100 Siedlungen wurden zerstört und viele Roma wurden ermordet. Bis heute herrscht Straflosigkeit im Kosovo, wenn es um Verbrechen an Roma geht. Bis heute wurde kein einziger Verdächtiger für Verbrechen, die an Angehörigen der Minderheit in der Nachkriegszeit begangen worden sind, vor Gericht gestellt.

Die Regierung im Kosovo hat zwar Gesetze und Maßnahmen verabschiedet, die auf eine Verbesserung der Situation der Roma abzielen, diese werden jedoch nicht umgesetzt. Im Gegenteil wird durch die Politik im Kosovo eine Situation geschaffen, in der es Roma unmöglich ist, im Kosovo zu überleben und sie daher gezwungen sind, den Kosovo zu verlassen. Ihre Häuser wurden nur in begrenztem Masse wieder aufgebaut und Diskriminierung verhindert den Zugang zum Arbeitsmarkt. Überweisungen von im Ausland lebenden Familienangehörigen stellen die wichtigste Einnahmequelle dar und tragen dazu bei, dass viele Roma noch im Kosovo bleiben.

Der Politik in Deutschland ist diese Situation der strukturellen und kumulativen Diskriminierung bekannt, aber sie zieht es vor, die tatsächliche Situation zu ignorieren, da sie sonst Roma nicht in den Kosovo abschieben könnte.

Auf dem Papier wurden zehntausende Roma in den Kosovo abgeschoben. Allerdings sind die meisten entweder nie im Kosovo angekommen oder haben ihn inzwischen wieder verlassen, da ein Überleben im Kosovo unmöglich ist. So gab es alleine in Deutschland bei der Anzahl der „ausreisepflichtigen“ Roma aus dem Kosovo in den Jahren 2004 bis 2013 einen Rückgang von ca. 28.000 Personen. Allerdings sind keine 28.000 Roma in den Kosovo seitdem zurückgekehrt.

Es stellt sich also die Frage, wo sind diese Menschen? Zehntausende leben im Untergrund in Westeuropa oder in den Slums in Serbien.

Asylkompromiss

Das neue Gesetz  gibt einen recht weiten Rahmen vor, der auch noch Möglichkeiten zulässt, in der Umsetzung die Situation der Roma in und aus dem Kosovo zu  berücksichtigen. Zentrale Aussagen des Papiers sind:

„Albanien, Kosovo und Montenegro werden zu sicheren Herkunftsstaaten im Sinne von Art. 16a Absatz 3 Grundgesetz bestimmt, um die Asyl­verfahren der Staatsangehörigen dieser Länder weiter zu beschleunigen. Der Bund wird sich aktiv für die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Minderheiten, insbesondere Roma, im Westbalkan einsetzen. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten wird alle zwei Jahre überprüft.“

„Der Bund öffnet die Integrationskurse für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive und stockt die hierfür vorgesehenen Mittel entsprechend dem gestiegenen Bedarf auf. Darüber hinaus wird eine verstärkte Vernetzung zwischen Integrationskursen und berufsbezogenen Sprachkursen hergestellt, unter verstärkter Einbeziehung der Bundesagentur für Arbeit. Kurzfristig sollen auch im Rahmen des Arbeitsförderungsrechts Maßnahmen zur Vermittlung erster Kenntnisse der deutschen Sprache gefördert werden.“

„Für Angehörige der Staaten des Westbalkan (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Kosovo, Albanien und Montenegro) wollen wir Möglichkeiten der legalen Migration aus dem Herkunftsland zur Arbeits­aufnahme in Deutschland schaffen. Wer einen Arbeits- oder Ausbildungs­vertrag mit tarifvertraglichen Bedingungen vorweisen kann, soll arbeiten oder eine Ausbildung aufnehmen dürfen.“

 

Fachveranstaltung am 05. Nov 2015

„Kein Ort zum Leben – Roma in und aus dem Kosovo“ – Eine Fachveranstaltung des Zentralrats in Kooperation mit der Gesellschaft für bedrohte Völker und dem Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma

Eröffnungsrede des Zentralratsvorsitzenden Romani Rose

Hintergründe und zentrale Fragestellungen der Fachveranstaltung

Programm der Veranstaltung

 

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