„Meine Sprache kommt aus dem Herzen und aus dem Bauch, sie ist expliziert“, schreibt Gianni Jovanovic. „Meine Beschreibungen können irritieren, verstören und wehtun.“ Und tatsächlich sind die Worte in seiner Autobiographie „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“ mitunter derb, die Darstellung seiner sexuellen Selbstfindung ist bisweilen übertrieben drastisch oder gar vulgär. Das hätte es gar nicht gebraucht, um zu zeigen, wie gewaltig der Kraftakt weg von den strengen patriarchalen Strukturen seiner Familie hin zu einem selbstbestimmten Leben war.
Als Teil einer Roma-Familie, die aus Serbien stammt, ist Gianni Jovanovic in Deutschland aufgewachsen. Schon als kleiner Junge erlebt er mörderische rassistische Gewalt, als ein Molotowcocktail in ihr Wohnhaus in Darmstadt fliegt und er auf der Flucht vor den Flammen durch einen Pflasterstein verletzt wird.
Als Jugendlicher besucht er eine Förderschule, bis eine Lehrerin seine Fähigkeiten erkennt und ihn zum Schulwechsel ermuntert. Mit 14 Jahren hat er geheiratet, drei Jahre später wird er zum zweiten Mal Vater, mit Anfang 20 outet er sich als homosexuell. Inzwischen ist er seit fast zwei Jahrzehnten mit seinem Ehemann zusammen, ist dreifacher Großvater und leitet sein eigenes kleines Unternehmen in Köln. Obendrein kämpft er als Aktivist gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma.
Sein zerrissenes Leben zwischen Tradition und Aufbruch hat die Schriftstellerin Katja Behrens 2017 in dem Roman „Nachts, wenn Schatten aus dunklen Ecken kommen“ nachgezeichnet. Nun hat Gianni Jovanovic mit Unterstützung der Journalistin Oyindamola Alashe seine
Geschichte selbst in einem Sachbuch erzählt.
Die einzelnen Kapitel folgen keiner starren Chronologie, sondern sind vor allem thematisch strukturiert. Zu den spannendsten Passagen des flott und pointiert verfassten Buches zählen dabei die eindringlichen Schilderungen des alltäglichen Rassismus in Deutschland, die Gewalt, die ein unsicherer Aufenthaltsstatus auf die Menschen ausübt, sowie die Einblicke in den Alltag und den Zusammenhalt einer Familie angesichts der permanenten Bedrohung von außen.
Etwas mehr Tiefgang wäre allerdings insbesondere in dem Kapitel „Bäääm! Vom Bettler zum Bachelor“ wünschenswert gewesen. Zwar widmet sich Jovanovic ausführlich der schwierigen Zeit in der Förderschule und der Rückkehr als erfolgreicher Mann. Studium und
wissenschaftlichen Abschluss handelt er hingegen in einem sehr kurzen Abschnitt ab. Dabei ist er doch gerade auch mit seinem Bildungsweg ein Vorbild und hätte anderen Angehörigen der „kleinen Mehrheit“ berichten können, welche Hürden er von der Einschreibung bis zum Bachelor gemeistert hat.
Gianni Jovanovic mit Oyindamola Alashe, Aufbau Verlag 2022