Die historische Verantwortung der katholischen Kirche in Bezug auf Sinti und Roma soll aufgearbeitet werden

Romani Rose und Kardinal Reinhard Marx treffen sich in Heidelberg im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma
Besuch von Kardinal Marx im Dokumentationszentrum, auf dem Bild: Manfred Lautenschläger, Dotschy Reinhardt, Kardinal Marx, Erich Schneeberger, Romani Rose © Johannes Hoffmann

Kardinal Marx besuchte auf Einladung von Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, am 7. Februar 2023 das Dokumentations-und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Nach einem Gang durch die ständige Ausstellung des Zentrums über den Holocaust an 500.000 ermordeten Sinti und Roma im NS-besetzten Europa waren sich Kardinal Marx und Romani Rose über die Dringlichkeit der Aufarbeitung der Rolle der Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus einig.

Anlass des Besuchs von Kardinal Marx war die Frage einer Würdigung der Intervention von Oskar Wilhelm Rose am 5. April 1943, der unter Lebensgefahr und falschem Namen bei Kardinal Faulhaber in dessen Münchner Residenz vorsprechen und die katholische Kirche um Hilfe bitten wollte.

Am 16. Dezember 1942 hatte der Reichsführer SS Heinrich Himmler mit dem Auschwitz-Erlass angeordnet, alle noch im Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma in das Konzentrations-und Vernichtungslager Auschwitz zu deportieren. Kardinal Faulhaber war nicht bereit, Oskar Rose zu empfangen, hielt jedoch dessen Besuch im Erzbischöflichen Palais in seinem jetzt zugänglichen Tagebuch fest: „Bei Sekretär ein Zigeuner, namens Adler, katholisch – Die 14.000 Zigeuner im Reichsgebiet sollen in ein Lager gesammelt und sterilisiert werden, die Kirche soll einschreiten. Will durchaus zu mir. – Nein, kann keine Hilfe in Aussicht stellen.“

Zentralratsvorsitzender Rose: „Der Satz in Faulhabers Tagebuch beweist die mutige Initiative meines Vaters und erscheint mir daher wie ein Sinnbild für das moralische Versagen der damaligen Kirchenführung, von der sich die mehrheitlich katholischen Sinti-Familien angesichts der drohenden Vernichtung vergeblich Schutz und Beistand erhofften. Wie wir heute wissen, hatten die katholischen Bischöfe zu dieser Zeit genaue Kenntnis von der Dimension der Vernichtung unserer Minderheit. Die Erinnerung an die Initiative von Oskar Rose durch das Anbringen einer Gedenktafel am Erzbischöflichen Palais wäre ein wichtiges Bekenntnis von Seitens der Kirche, um verloren gegangenes Vertrauen wiederaufzubauen.“

     

Kardinal Marx bei der Eintragung ins Besucherbuch des Dokmentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma © Johannes Hoffmann

 „Es ist wichtig, an diese Form des Widerstands zu erinnern und ich stehe einer Gedenktafel offen gegenüber. Der mutige Versuch von Oskar Rose und die Nichtwahrnehmung und Sprachlosigkeit der Kirche können Ausgangspunkt sein für eine umfassende historische Untersuchung des Verhältnisses der Katholischen Kirche zu Sinti und Roma. Für mich ist das Ziel die Aufarbeitung der Geschichte, aber auch die daraus erwachsene Verantwortung und ein öffentliches Schuldbekenntnis der Kirche. Als Kirche haben wir hier einen Auftrag, den wir bisher nicht eingelöst haben. Da sehe ich mich als Nachfolger von Kardinal Faulhaber in einer besonderen Verantwortung“, so Kardinal Marx.

„Ich freue mich über die Bereitschaft und Offenheit des Kardinals, das Gespräch mit dem Zentralrat zu suchen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Antiziganismus, wie sie weltweit erstmalig an der Universität Heidelberg durch eine eigene historische Forschungsstelle institutionell verankert wurde, halte ich für das Bewusstsein in Kirche und Gesellschaft für außerordentlich wichtig. Das angestrebte Forschungsprojekt kann hier einen wichtigen Meilenstein darstellen.“, so Dr. h. c. Manfred Lautenschläger, der Vorsitzende des Kuratoriums des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma.

Der Vorsitzende des Zentralrats im Gespräch mit Kardinal Reinhard Marx und Manfred Lautenschläger © Johannes Hoffmann

Kardinal Marx und der Zentralrat treten für einen strukturierten Dialog auch mit der Deutschen Bischofskonferenz ein und setzen sich dafür ein, ein unabhängiges Forschungsprojekt auf den Weg zu bringen, das sich mit der Frage der Schuld und dem Versagen der Kirche gegenüber Sinti und Roma auseinandersetzt.

An dem Gespräch mit Kardinal Marx nahmen außerdem Erich Schneeberger, der Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Bayern, und Dotschy Reinhardt von Seiten des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma teil.

Weitere Fotos des Besuchs finden sich hier.  

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