Statement von Romani Rose,
Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma
Sehr geehrter Herr Direktor,
Exzellenzen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Im Namen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma begrüße ich Sie sehr herzlich zu dieser Veranstaltung. Ich danke Herrn Link für seine deutlichen Worte.
Der Antiziganismus ist ebenso wie der Antisemitismus seit Jahrhunderten in der europäischen Geschichte verwurzelt. Diese besondere Form des Rassismus ist heute gezielte und systematische Politik der Ausgrenzung und des Rassismus, wie sie von rechtsextremistischen Parteien insbesondere im Wahlkampf, aber auch von nationalistischen Regierungen einzelner Länder in Ost- wie in Westeuropa geübt wird. Sie schlägt sich insbesondere nieder in einer massiven und gewaltbereiten Hetze im Internet.
Das zugrunde liegende Muster ist bekannt: es wird immer die gesamte Minderheit haftbar gemacht für einzelne Themen, seien es Flüchtlinge vom Westbalkan – die ausgespielt werden gegen Flüchtlinge aus Syrien; seien es Migranten aus Rumänien oder Bulgarien, die als Roma allein wegen derSozialsysteme aus den dortigen Armutsghettos nach Deutschland kämen. Immer ist es die gesamte Minderheit, deutsche Sinti wie zugewanderte Roma, die über derlei Bilder pauschal diffamiert und ausgegrenzt werden.
Rechtsextremistische Parteien bauen ihren Wahlkampf oftmals allein auf diesem Rassismus gegen Roma auf, aber es sind die Mehrheitsparteien, die diesen Antiziganismus oft genug aufgreifen, legitimieren und damit gesellschaftlich akzeptabel machen.
In Deutschland wurde im Bundestagswahlkampf 2013 durch Plakate und Flugblätter der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) gezielt gegen unsere Minderheit rassistisch diskriminierende Hetze betrieben. Eine solche Form und ein solches Ausmaß der öffentlichen Ausgrenzung gegen die Minderheit hatte es seit 1945 nicht gegeben.
Durch die Boykottaufrufe der NPD mit dem Plakat „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ und mit den Flugblättern „Zigeunerflut stoppen!“ – mit der Abbildung von Pistole und Messer – wurden Sinti und Roma zu einer Gefahr für die Bevölkerung hochstilisiert. Diese Aufrufe der NPD schlossen analog an die Boykottaufrufe der Nazis an, die mit der Parole „Kauft nicht bei Juden“ in gleicher Weise eine Minderheit aus der Gesellschaft ausschloss.
Diese angstschürende Kampagne richtete sich gegen eine in Deutschland seit Jahrhunderten beheimatete Minderheit, die im Nationalsozialismus einem staatlich organisierten Völkermord ausgesetzt war, der mit den gleichen Methoden gegen Sinti und Roma und gegen Juden eingeleitet und gerechtfertigt worden war. Fast 70 Jahre nach dem Holocaust darf es für solch eine Aufstachelung zum Rassenhass keinen Platz mehr geben.
Die dahinter stehende Strategie ist leicht zu durchschauen: Die NPD versuchte, die Ängste der Bevölkerung um die Sicherheit der Renten zu instrumentalisieren, um Hass gegen die Minderheit zu schüren und auf diese Weise politisches Kapital daraus zu ziehen. Die rechtsextremistischen Parteien wissen, dass diese Strategien bei Teilen unserer Gesellschaft auf Sympathie stoßen – ähnlich wie das bei antisemitischen Parolen der Fall ist.
Bei unseren älteren Menschen, die den Holocaust überlebten und bei denen die Erfahrung des Nationalsozialismus stets präsent sind, wurden erneut massive Ängste wach. Die NPD-Kampagne belebt erneut propagandistische Muster und Ausgrenzungsmechanismen des NS-Staates.
Einige Kommunen in Deutschland intervenierten aufgrund des volksverhetzenden Charakters gegen die Plakatierung der NPD. Ihnen gebührt großer Respekt. Es ist beschämend und es ist ein Skandal für unsere demokratische Rechtsordnung, dass sie von den Verwaltungsgerichten gezwungen wurden, die Plakate wieder aufzuhängen. Diesen Entscheidungen fehlte offenbar nicht nur jede historische Sensibilität, sondern auch das Bewusstsein, dass durch internationale Abkommen derartige Hetze untersagt ist. Danach sind ausdrücklich (Zitat:) „Propagandatätigkeiten, welche die Rassendiskriminierung fördern oder dazu aufreizen, zu verbieten“. (Artikel 4 der UNO-Konvention zur Beseitigung von rassistischer Diskriminierung). Außerdem ist (Zitat:) „jede Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verboten“, so das „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“, das auch für die deutschen Sinti und Roma seit 1998 als Gesetz gilt. Diese gesetzlichen Verbote ziehen Grenzen für die Meinungsfreiheit, die im Geltungsbereich nicht nur Deutschlands, sondern der OSZE beachtet und durchgesetzt werden müssen.
Einer Initiative des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma folgend organisierte die Bundesregierung im Dezember 2014 in Berlin ein Symposium zu dieser Thematik unter dem Titel „Grenzen im politischen Meinungskampf – Zum Umgang mit rassistischen Vorurteilen und Diskriminierungsideologien“. Der Zentralrat hat es als außerordentlich wichtig empfunden, dass dort Innenminister Thomas de Maizière und Justizminister Heiko Maas in ihren Reden sehr deutliche Worte gefunden haben zur Ächtung und Verurteilung rassistischer Wahlkampfpraktiken gegen Sinti und Roma und gegen andere Minderheiten.
Wir wissen, dass in Ost- wie in Westeuropa politische Parteien wie Ataka, Jobbik, Lega Nord, Front Nationale usw. Wahlpropaganda oftmals fast ausschließlich gegen Roma betreiben. Die von den nachfolgenden Rednerinnen und Rednern benannten Beispiele zeigen uns auf, wie in Ungarn und Bulgarien rassistische und populistische Wahlkämpfe zu Lasten unserer Minderheit ausgetragen werden. Wir müssen unterstellen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den gewaltsamen Übergriffen auf Roma und Sinti in den einzelnen europäischen Ländern und der gezielt antiziganistischen und rassistischen Rhetorik von Teilen der politischen Elite gibt.
Aus diesem Grund fordert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma die OSZE jetzt auf
- Antiziganismus ebenso wie den Antisemitismus generell zu ächten. Antiziganismus ist nicht nur eine unmittelbare Bedrohung für Roma in der OSZE-Region, es ist eine Bedrohung für unsere Demokratie und unsere Wertegemeinschaft.
- Antiziganismus im Rahmen ihrer Wahlbeobachtungen zu dokumentieren und darauf mit ihren Institutionen zu reagieren.
- die Mitgliedsstaaten aufzufordern, den entsprechenden internationalen Abkommen wie dem Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten Geltung zu verschaffen, das jede Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verbietet.
Ich danke Ihnen.