Romani Rose: Empfehlungen der Kommission Antiziganismus müssen von Politik und Gesllschaft aufgenommen und umgesetzt werden

Grußwort zur Online-Tagung der UKA "Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation" am 4. und 5. Juni 2021

Rede von Romani Rose im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

sehr geehrte Professorin Jonuz,

sehr geehrte Mitglieder der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus,

meine sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für die Gelegenheit am heutigen Fachtag einige Worte an Sie richten zu können. Mit der Einsetzung der Unabhängigen Kommission Antiziganismus durch die Bundesregierung im Jahr 2019, über deren Abschlussbericht wir heute sprechen werden, wurde eine langjährige Forderung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma umgesetzt. Dass sich die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag mit dem Thema Antiziganismus befasst haben, ist ein wichtiger Schritt für die Minderheit und ebenso für die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft.

Politisch wurde in Deutschland in Bezug auf die Situation der Sinti und Roma bis heute viel erreicht: der Holocaust an 500.000 Sinti und Roma wurde von Bundeskanzler Helmut Schmidt 1982 erstmals für die Bundesrepublik offiziell anerkannt, Sinti und Roma sind seit 1995 neben den Friesen, Dänen und Sorben als nationale Minderheit anerkannt, die den besonderen Schutz der Bundesregierung genießt.
2012 wurde das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in unmittelbarer Nähe zum Bundestag in Anwesenheit des Bundespräsidenten Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel und weiteren hochrangingen Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland der deutschen und internationalen Öffentlichkeit übergeben, um nur einige wichtige Meilensteine zu nennen.

Studien des Bundes oder wie zuletzt Umfragen der Universität Leipzig zeigen jedoch, dass die Ablehnung von Sinti und Roma trotz dieser politischen Erfolge in der Bevölkerung extrem hoch ist. Es gibt in Deutschland und in Europa einen zunehmend gewaltbereiten Antiziganismus, der sich vordergründig gegen die Minderheit richtet, der aber im Kern auf unserem demokratischen Werte zielt.

Es ist die Aufgabe insbesondere der Politik, für den notwendigen Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft gerade auch durch den Schutz und die gesellschaftliche Gleichstellung von Minderheiten zu sorgen.

Die Einrichtung der Unabhängigen Expertenkommission und ihren Bericht mit Handlungsempfehlungen betrachten wir daher als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir begrüßen ausdrücklich die in dem nun vorliegenden Abschlussbericht formulierten Forderungen, die den Forderungen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma in wesentlichen Punkten folgen. Die Ergebnisse des Berichts der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus bestätigen weitestgehend die Ergebnisse, die der Zentralrat in seinen Monitoringberichten zur Umsetzung des „EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma“ in Deutschland bereits vorgelegt hat. Wir sind nun sehr gespannt auf die Veröffentlichung der der externen Gutachten, die die Kommission in Auftrag gegeben hat, wie zum Beispiel für den Bereich des Alltagsrassismus.

Es gibt insgesamt viele positive Erkenntnisse, die wir dem Bericht entnehmen können. Beispielsweise, dass die Erscheinungsformen des Antiziganismus hier erstmalig ausdifferenziert wurden. Dies stellt einen wichtigen Beitrag für die Theoriebildung des Antiziganismus dar und ist ein hilfreiches Instrument zur wissenschaftlichen Einordnung antiziganistischer Phänomenbereiche.

Ich möchte an dieser Stelle auch zu den konkreten Forderungen des Berichts Stellung beziehen, denen wir uns als Zentralrat anschließen und die wir zum Teil noch erweitern möchten.

Die Forderung der Kommission nach Berufung eines Beauftragten gegen Antiziganismus, der als Teil der Exekutive Maßnahmen zur Überwindung des Antiziganismus und Prävention ressortübergreifend koordinieren soll, ist aus unserer Sicht existentiell. Ergänzend möchte ich noch hinzufügen, dass dem Beauftragten gegen Antiziganismus ein Arbeitsstab zur Seite gestellt werden muss, dessen Mitglieder ebenfalls eine große Expertise in den Bereichen der Antiziganismusprävention mitbringen.

Auch die Forderungen nach einer Anerkennung des Grundsatzes der kollektiven Verfolgung aus rassischen Gründen von 1933-1945, der Einrichtung eines Sonderfonds für niederschwellige, einmalige Anerkennungsleistungen für NS-Verfolgte Sinti und Roma und der Einrichtung einer Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts nach 1945 werden vom Zentralrat ausdrücklich unterstützt. Ebenso die Anerkennung geflüchteter Roma als besonders schutzwürdige Gruppe sowie die Forderung nach verbesserten Partizipationsstrukturen für Sinti und Roma, insbesondere durch die Entsendung von Minderheitenangehörigen in alle staatlichen Gremien, wie die Rundfunkräte und Landesmedienanstalten.

An die nächste Unabhängige Expertenkommission Antiziganismus, die der kommenden Bundesregierung berichten wird, appellieren wir, die Bereiche Entschädigung und Polizei stärker in den Blick zu nehmen, hier besteht aus unserer Sicht weiterer Forschungsbedarf. So muss untersucht werden, inwieweit der polizeiliche Begriff „Clankriminalität“ als ein Schlupfloch für eine verfassungswidrige Minderheitenkennzeichnung genutzt wird. Auch die Staaten des Westbalkans und ihre europäische Dimension müssen genauer untersucht werden, da auch der dort existierende Antiziganismus direkt die Verhältnisse in den Staaten der Europäischen Union und somit auch in Deutschland beeinflussen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn wir uns auf einem guten Weg befinden, so macht der Bericht doch ebenso deutlich, wo wir als Gesellschaft besser werden müssen. Eine exemplarische Aussage wie „Wenn jemand zum Volk der Roma gehört, kann er nicht deutscher Abstammung sein“, die laut dem Bericht 2016 in einem Schreiben des Bundesverwaltungsamts Referat Spätaussiedler getätigt wurde, zeigt, dass gerade in den Institutionen und Behörden der Antiziganismus noch weit verbreitet zu sein scheint. Das ist besonders fatal, weil dort Entscheidungen getroffen werden, die das Leben von Menschen massiv beeinflussen können, positiv wie negativ.

Lassen Sie mich Ihnen zum Ende meines Grußwortes noch eines mitgeben: Wir Sinti und Roma sind seit vielen Jahrhunderten in diesem Land beheimatet und werden seit je her angefeindet, ausgegrenzt, verfolgt und zu Sündenböcken gemacht. Der Grund ist der über Generationen tradierte Antiziganismus. Die Einrichtung der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus durch eine deutsche Bundesregierung, 75 Jahre nach dem Holocaust an 500 000 Sinti und Roma, empfinden wir als einen Wendepunkt auf dem Weg zur vollständigen gleichberechtigten Teilhabe von Sinti und Roma in diesem Land und ich bin stolz, dass uns dies gemeinsam gelungen ist.

Es ist jetzt an der Zeit, den begonnenen Weg fortzusetzen und die Empfehlungen und Forderungen der Kommission an die Bundesregierung umzusetzen; nicht nur um Minderheitenrechte zu stärken, sondern um unsere gesamte demokratische Gesellschaft voranzubringen.

Ich danke Ihnen.

Hier geht es zum Bericht der der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (Bundestagsdrucksache 19/30310):

https://dserver.bundestag.de/btd/19/303/1930310.pdf

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