RomArchive ist als internationales digitales Archiv für Kunst der Sinti und Roma konzipiert – als stetig wachsende Sammlung von Kunst aller Gattungen, erweitert um historische Dokumente und wissenschaftliche Texte.
Anders als in „hegemonialen“ Archiven, in denen Sinti und Roma meist ausschließlich stereotyp dargestellt werden, steht bei RomArchive ihre Selbstrepräsentation im Mittelpunkt.
Es entstehen Erzählungen, die gerade auch die Heterogenität ihrer unterschiedlichen nationalen und kulturellen Identitäten widerspiegeln. Der Reichtum einer jahrhundertealten und bis in die Gegenwart überaus lebendigen wie vielseitigen künstlerischen und kulturellen Produktion, die eng mit der europäischen verwoben ist, wird öffentlich sichtbar und zugänglich.
Auf diese Weise will das Projekt auch den hartnäckig bestehenden Vorurteilen und Fremdbildern entgegentreten. Somit richtet sich RomArchive nicht nur an Europas größte Minderheit, sondern auch an Europas Mehrheitsgesellschaften.
Sinti und Roma gestalten das Archiv in allen entscheidenden Positionen: als KuratorInnen, als KünstlerInnen, als WissenschaftlerInnen sowie im projektbegleitenden Beirat.
Inhaltlich definieren die KuratorInnen das Archiv und wählen exemplarisch Kunst der Gattungen Film, Bildende Kunst, Fotografie, Theater, Tanz, Musik und Literatur.
Eine intelligente Kontextualisierung liefert Hintergrundinformationen, hilft dem Verständnis komplexer Zusammenhänge und gewährleistet so eine differenzierte Lesart der gezeigten Werke. Eine magazinhaft und sinnlich aufbereitete Archiv-Website, die über Bilder und Geschichten stets einen lebendigen Einstieg schafft, regt zur tiefgehenden Auseinandersetzung mit den angebotenen Themen an.
RomArchive geht 2018 online. Davor kann die Arbeit der KuratorInnen sowie die gesamte Projektentwicklung auf diesem Blog und auf Facebook, Twitter oder (in der analogen Welt) auf begleitenden Kulturveranstaltungen in verschiedenen europäischen Städten verfolgt werden.
Der Blog ist bis zum Launch des RomArchive zentrales Kommunikationselement. Hier werden fundierte multimediale Inhalte wie Reportagen, Interviews, kontroverse Diskussionen, Essays und Features veröffentlicht.
IDEE
Die Idee für RomArchive basiert auf einer intensiven Recherche und zahlreichen Interviews, die die Projektinitiatorinnen Franziska Sauerbrey und Isabel Raabe mit KünstlerInnen, KuratorInnen, AktivistenInnen und WissenschaftlerInnen der Sinti und Roma europaweit geführt haben.
In diesen wurde deutlich der Bedarf formuliert, einen international zugänglichen Ort zu schaffen, der die Kulturen und Geschichten der Sinti und der Roma sichtbar macht, um auf diese Weise den beständigen Fremdbeschreibungen und Stereotypen mit einer von Sinti und Roma selbst erzählten Gegengeschichte zu begegnen.
RomArchive reflektiert sowohl die Praxis der Archivierung als auch die Grenzen und Machtverhältnisse der Kanonisierung kritisch. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versteht sich als stetig wachsende Plattform, die exemplarische Sammlungen präsentiert.
Mit seinen kuratierten Inhalten, modernem Storytelling und intelligenter Kontextualisierung unterscheidet sich RomArchive in seiner Ästhetik und Methodik von statischen Datenbanken.
ARCHIVBEREICHE I KURATORENTEAM
Ein internationales Kuratorenteam ist für die Konzeption und Inhalte der einzelnen Archivbereiche verantwortlich.
Den Bereich Film kuratiert Katalin Bársony, die mit dem HBO Adria Award ausgezeichnete Filmemacherin und Direktorin der ungarischen Roma-NGO Romedia Foundation.
Für die Bildende Kunst ist Tímea Junghaus verantwortlich, Kunsthistorikerin und Kuratorin des internationalen Roma-Pavillons „Paradise Lost“ auf der 52. Biennale di Venezia.
Die Bilderpolitik kuratiert André Raatzsch, ein mit dem Barcsay-Preis geehrter Künstler und Kurator.
Den Bereich Theater und Drama kuratiert Miguel Ángel Vargas Rubio, studierter Kunsthistoriker, Theaterregisseur, Schauspieler, Flamencosänger und –gitarrist gemeinsam mit dem Ko-Kurator Dragan Ristić, Sänger der Rock-Band Kal. Er studierte Theaterwissenschaften und veröffentlichte zur Geschichte des Roma-Theaters.
Kuratorin für Literatur ist die österreichische Literaturwissenschaftlerin Beate Eder-Jordan; für Musik die in den USA lebende tschechische Musikethnologin, Musikerin und Roma-Aktivistin Petra Gelbart.
Den Tanz kuratiert kuratiert der Tänzer, Choreograph und Direktor der Romani Cultural & Arts Company, Großbritannien, Isaac Blake.
Ein weiterer Archivbereich, zur europäischen Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma, liegt in der Verantwortung der Wissenschaftler Thomas Acton, Angéla Kóczé, Anna Mirga und Jan Selling.
Im Archivbereich zum Holocaust werden frühe Selbstzeugnisse von Sinti und Roma zur NS-Verfolgung gezeigt, die die Historikerin Karola Fings im Rahmen ihres Projekts „Voices of the Victims“ zusammengetragen hat.
Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts zum Thema Antiziganismus übernimmt Markus End.
BEIRAT
Ein internationaler Beirat unterstützt und berät die KuratorInnen und bestimmt die strategischen Richtlinien des Projekts. Er besteht aus KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen:
Gerhard Baumgartner, Historiker, Österreich
Nicoleta Bitu (Vorsitzende), Romano ButiQ, Rumänien
Klaus-Michael Bogdal (stellvertretender Vorsitzender), Literaturwissenschaftler, Deutschland
Ethel Brooks, Soziologin, USA
Pedro Aguilera Cortés, Politikwissenschaftler, Spanien
Ágnes Daróczi, Aktivistin, Ungarn
Merfin Demir, Amaro Drom – Interkulturelle Jugendselbstorganisation von Roma und Nicht-Roma, Deutschland
Jana Horváthová, Museum für Roma-Kultur, Tschechien
Zeljko Jovanovic, Roma Initiatives Office, Ungarn
Moritz Pankok, Galerie Kai Dikhas, Deutschland
Oswald Marschall, Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Deutschland
Romani Rose, Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Deutschland
Riccardo M Sahiti, Dirigent, Serbien/Deutschland
Anna Szász, European Roma Cultural Foundation, Ungarn
Herbert Heuss (Zentralrat Deutscher Sinti und Roma) ist ständiger Gast des Beirats
FÖRDERUNG UND NACHHALTIGKEIT
Die Kulturstiftung des Bundes unterstützt RomArchive mit 3,75 Millionen Euro. Damit setzt sie ein klares Zeichen: Eine der größten öffentlichen Stiftungen Europas widmet sich der größten Minderheit Europas, erkennt den Reichtum ihrer jahrhundertealten Kultur an und macht diese besser bekannt. Dass sich eine deutsche Bundeseinrichtung dieses Themas annimmt, ist vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Völkermords an 500.000 Sinti und Roma von besonderer Bedeutung.
Vom Planungsbeginn an standen dem Projekt die European Roma Cultural Foundation und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma beratend zur Seite.
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung beteiligt sich an der Förderung von RomArchive.
Das Goethe-Institut beteiligt sich u.a. mit den Instituten Budapest, Bratislava, Bukarest und Prag am Projekt mit Programmen in den entsprechenden Ländern.
Die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen ist Kooperationspartner für die technische Umsetzung.
Um RomArchive international zugänglich zu machen, wird es mehrsprachig aufgebaut. Neben Deutsch und Englisch verwendet das Archiv von Beginn an Romanes. Übersetzungen in weitere Sprachen sind vorgesehen, je nach Finanzierung durch die Länder, in denen sie vornehmlich gesprochen werden.
Projektträgerin für den Aufbau von RomArchive innerhalb von fünf Jahren ist diesauerbrey | raabe gUG.
Im Anschluss an diese fünfjährige Projektdauer übergeben die beiden Projektinitiatorinnen Isabel Raabe und Franziska Sauerbrey RomArchive an eine europäische Roma-Organisation. Um diesen Übergang zu erleichtern, hat die Bundeszentrale für politische Bildung bereits zugesagt, ab 2020 die redaktionelle Betreuung des Archivs für weitere fünf Jahre finanziell zu unterstützen.