Wortlaut des Statements
Liebe Sinti und Roma, liebe Freunde und Unterstützer
Ich will Sie und Euch alle heute über den Stand der Planungen über den Bau der S-Bahn-Linie S21 in Berlin informieren, und wie weit dabei unser Denkmal betroffen ist. Ich weiß, daß es hier im Internet viel falsche Information und Unwahrheiten gibt, und ich will daher jetzt die Detailplanung bei der Deutschen Bahn hier vorstellen.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat bekanntlich erst im März 2020 überhaupt von den Planungen der Bahn erfahren.
Ich habe dann mich frühzeitig mit Dani Karavan, dem Künstler, der das Denkmal für uns entworfen hat, verständigt, und unserer beider Position war eindeutig : Daß nämlich der Schutz und die Bewahrung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas für uns oberste Priorität hat.
Wir erklärten gemeinsam nach einem ausführlichen Gespräch im Juli des letzten Jahres : „Wir haben hier unsere Verbundenheit aus unserer gemeinsamen Geschichte, unser gemeinsames Schicksal von Juden, Sinti und Roma zusammengebracht, als Künstler der eine, und als Bürgerrechtler und Politiker der andere.“
Mit anderen Worten, das Denkmal, für das ich mich fast 20 Jahre eingesetzt und gekämpft habe, hat für uns alle höchsten moralischen und politischen Stellenwert.
Gleichzeitig aber, und auch das habe ich von Beginn an unterstrichen, müssen wir die Entscheidung des Berliner Senats für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin anerkennen. Mit der Variante 12h für die neue S-Bahn-Linie hat die Bahn nach den vielen Gesprächen mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine sehr gute Grundlage für eine Einigung geliefert.
Der Zentralrat kennt die Notwendigkeit des Baus der neuen S-Bahnlinie S21; diese Linie ist notwendig für Berlin und für die Menschen in Berlin. Die deutschen Sinti und Roma sind selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft und deshalb muß hier gemeinsam mit Bahn, Senat und dem Deutschen Bundestag eine sichere Trassenführung gefunden werden.
Ich will an dieser Stelle auch nochmals eines deutlich sagen : Dies ist das Denkmal der Bundesrepublik Deutschland, hier erinnern Staat und Gesellschaft an die Verbrechen der Nationalsozialisten, und hier gedenken wir an die 500.000 Sinti und Roma, die während des NS-Holocaust ermordet wurden.
Dieses Denkmal ist für uns keine Stelle, die die Gräber für die vielen tausend von Menschen ersetzen könnte die keine Gräber haben, die in den Vernichtungslagern oder hinter der Ostfront von den Einsatzgruppen erschossen wurden. Dieses Denkmal steht direkt neben dem Deutschen Parlament und es drückt hier an dieser Stelle die Verantwortung von Staat und Gesellschaft gegenüber unserer Minderheit aus, aber auch unsere gemeinsame Verantwortung für unseren Rechtsstaat heute und in der Zukunft.
Ich danke deshalb ausdrücklich den vielen Menschen und Institutionen, die sich öffentlich und gegenüber Politik und Bahn für den Schutz des Denkmals eingesetzt haben. Das zeigt uns nämlich, daß das Denkmal und der Holocaust an den 500.000 Sinti und Roma in Europa als wichtiger Teil unserer gemeinsamen deutschen Geschichte wahrgenommen werden.
Wir sind fester Teil unserer Gesellschaft. Wir müssen deshalb ebenso Verantwortung in unserem Land übernehmen. Berlin braucht die neue S-Bahn und ich bin sehr froh, dass die Deutsche Bahn mit der jetzt vorgelegten Variante 12h und einer detaillierten Planung zum Schutz des Denkmals eine Perspektive aufzeigt, die gleichermaßen den maximalen Schutz des Denkmals mit einer realisierbaren Trassenführung verbindet.
Während am Anfang der umfangreichen Gespräche, die zunächst ohne den Zentralrat nur mit der Stiftung Denkmal geführt wurden, noch eine offene Baugrube durch das Gelände des Denkmals vorgesehen war, ist jetzt der Stand, über den mich Herr Kaczmarek als Vertreter der Deutschen Bahn am 27. April informierte, daß das Denkmalsgelände untertunnelt wird. Das bedeutet, daß der Zugang zum Denkmal und das Gedenken dort auf alle Fälle jederzeit möglich sein werden. Ebenso hat die Bahn erklärt, daß die Funktion des Denkmals, also die Versorgung mit Strom und Wasser, ohne Unterbrechung und uneingeschränkt gewährleitet wird.
Für den jetzigen Versorgungstunnel, der zu dem Technikraum unter dem Schwarzen Becken führt, und der den geplanten Tunnel der S21 kreuzt, soll nach den Plänen der Bahn zuerst ein neuer Zugang zu dem bestehenden Versorgungstunnel gebaut werden, um anschließend einen Teil des alten Tunnels abreißen zu können. Damit wird nach Auskunft der Bahn die technische Versorgung des Wasserbeckens ohne Unterbrechung gewährleistet.
In gleicher Weise werden die Bäume am Denkmalsgelände soweit wie möglich erhalten; nur dort, wo der neue Zugang zum Versorgungstunnel gebaut wird. Im weiteren Verlauf des Baus Richtung Brandenburger Tor werden Bäume gefällt werden müssen. Hierzu wird der Berliner Senat direkt mit Dani Karavan verhandeln, um den größtmöglichen Schutz für die gesamte Anlage sicherzustellen. Hier wird nach der Fertigstellung des S-Bahn-Baus das Gelände neu gestaltet werden müssen, also wieder mit Bäumen bepflanzt werden.
Ich weiß, daß es Stimmen gibt, die meinen, nichts dürfe am Denkmal und am Gelände angetastet werden, und die deshalb in einer totalen Ablehnung des S-Bahn-Baus verharren. Es muß aber doch uns allen klar sein, daß der öffentliche Nahverkehr in Berlin dringend ausgebaut werden muß – und daß es uns vorgehalten werden würde, wenn wir hier als Sinti und Roma gegen die Interessen der gesamten Berliner Bevölkerung stehen wollten. Eine solche Haltung, wie sie immer noch von einzelnen Personen und Verbänden eingenommen wird, ist unverantwortlich und schadet uns Sinti und Roma in jedem Fall.
Es gibt an diesem Ort zwei gegeneinander stehende Interessen, und wir müssen gerade als Minderheit unseren Beitrag leisten für eine vernünftige Verständigung. Auf der einen Seite steht das klare Einstehen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma dafür, daß unser Denkmal den maximalen Schutz erhält und daß für uns das Gedenken an diesem Ort immer gewährleistet ist. Auf der anderen Seite gibt es den dringenden Bedarf für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs für die Menschen in Berlin, den der Senat und die Deutsche Bahn vertreten müssen.
Ich habe mit vielen älteren Menschen gesprochen, von denen einige den Holocaust überlebt haben und für die unser Denkmal die Anerkennung ihres Leidens ist, und des Leidens unserer aller Angehörigen.
Diese alten Menschen haben mir gesagt, daß sie so viel erlitten hätten, diese wenigen Monate einer Baustelle sei für sie nichts, worüber gestritten werden solle. Wichtig sei es für sie aber, daß das Denkmal an dem bestehenden Ort bleibt, und daß es für immer dort an das Schicksal unserer Menschen erinnert. Dem bin ich und dem ist der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma verpflichtet.