Stellungnahme des Zentralrats zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens

Justiz

Anlässlich der heutigen öffentlichen Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens übermittelte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma seine Stellungnahme dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sowie dem Auschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

An die Mitglieder des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mit großer Sorge verfolgt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma die aktuelle Debatte um die Modernisierung des Strafverfahrens und den Gesetzesentwurf, in dem auch erweiterte DNA-Analysen zur Bestimmung von Haut-, Haar- und Augenfarbe zugelassen werden sollen. Die zahlreichen offenen Fragen hinsichtlich der rechtlichen, ethischen und sozialen Folgen in der Anwendung dieser Technologie müssen diskutiert und Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern, dass Minderheiten diskriminiert werden. Denn, wie sich gezeigt hat, ist die erweiterte DNA-Analyse nur dann im Rahmen der Strafverfolgung und der Polizeiarbeit zweckmäßig einzusetzen, wenn die Analyse Minderheitenmerkmale hervorhebt. Denn deutet die Analyse auf Merkmale der Mehrheitsgesellschaft, wird der Ermittlungsansatz hinfällig. Das führt nicht nur zu einer Verzerrung in der kriminologischen Statistik, da Tatverdächtige aus der Mehrheitsgesellschaft nicht mehr auftauchen, sondern bringt auch Minderheiten mit einer scheinbar höheren Kriminalität in Verbindung.

Durch das neue Gesetz werden die Strafverfolgungsbehörden mit massiven Eingriffsrechten ausgestattet. Ungeachtet der Kritik aus Wissenschaftskreisen und von der Zivilgesellschaft sollen nun ohne öffentliche Diskussion und im Eilverfahren erweiterte DNA-Analysen zugelassen werden.

Die mit der Gesetzesnovelle beabsichtigte „erweiterte DNA-Spuren-Erhebung“ kann (offen oder verdeckt) dazu benutzt werden, aufgrund der gesammelten Datensätze auf Basis von DNA-Spurenmaterial „Typen“-Dateien zu erstellen, wie es sie früher schon in diskriminierenden KP-Formularen gab (z.B. „asiatisch“, „afrikanisch“, „südländischer Typ“, „Zigeunertyp“). Diese letztlich auf die Abstammung abzielende Erfassung befördert pauschale, diskriminierende Verdächtigungen und verstößt gegen fundamentale Prinzipien des Europäischen Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten“ (Art. 1 bis 3) und  Art. 2 Abs. 1 des „Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 (ICERD),  Quelle: Bundesgesetzblatt (BGBL) 1969 II Seite 96.

Seit Jahren warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen vor dem Einsatz dieser Technologie und legten in zahlreichen Stellungnahmen, die diesem Schreiben beifügt sind, ihre Kritik zur Zulassung von erweiterten DNA-Analysen in der Forensik dar. Erweiterte DNA-Analysen wie sie jetzt geplant sind bedeuten einen Dammbruch des Zugriffs auf den codierenden Teil der DANN, mit Perspektive der Ausweitung auf weitere genetische Merkmale. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb bei der Anhörung von Sachverständigen im Rechtsausschuss des Bundestages am 11. November 2019 diese kritischen Stimmen nicht vertreten waren.

Untersuchungen von DNA-Material auf äußere Merkmale von Spurenmaterial, das an einem Tatort sichergestellt wird, können keine validen Rückschlüsse für die Identifizierung von Tatverdächtigen geben, rücken aber Minderheiten mit bestimmten Merkmalen in den Fokus von Ermittlungen. DNA-Phänotypsierung, wie sie nun gesetzlich verankert werden soll, diskriminiert Minderheiten in einem besonderen Maße. Denn nur bei Minderheitenangehörigen bestehe eine höhere – ausschließlich statistische – Wahrscheinlichkeit für die Identifikation eines besonderen genetischen Merkmals, während genetische Merkmale der Mehrheitsbevölkerung naturgemäß fast allen Angehörigen der Mehrheit eigen sind.

Welches Diskriminierungspotential erweitere DNA-Analysen entfalten können, haben die Ermittlungen im Mordfall der Polizistin Michele Kiesewetter gezeigt. Über zwei Jahre jagten die Behörden das sogenannte Heilbronn Phantom und richteten völlig unbegründet ihren Fokus auf Sinti und Roma infolge einer am Tatort aufgefundenen DNA-Spur. Sinti und Roma wurden nicht nur von den Ermittlungsbehörden sondern auch von den Medien kollektiv verdächtigt und kriminalisiert. Der Fall zeigt, dass DNA-Analysen extrem fehleranfällig sind und für die Aufklärung von Strafverfahren keinesfalls ein geeignetes Instrument sein können.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht sich in großer Sorge um die Rechtssicherheit für Minderheiten in Deutschland. Gerade genetische Daten sind wegen ihrer genuinen Unveränderlichkeit besonders schutzbedürftig, die nach Art. 10 der JI-Datenschutzrichtlinie nur verarbeitet werden dürfen, „wenn unbedingt erforderlich und vorbehaltlich geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten von Betroffenen“. Deshalb fordert der Zentralrat die Bundesregierung und den Rechtsausschuss auf, nachhaltige Kontrollinstanzen und Beschränkungen für die Anwendung zwingend einzusetzen, um eine rechtskonforme Praxis zu gewährleisten. 

Werte Mitglieder des Rechtsausschuss, der Zentralrat spricht sich entschieden gegen die uneingeschränkte Legalisierung der polizeipräventiven erweiterten DNA-Analyse aus. Die von der Bundesregierung angestrebte erweiterte DNA-Analyse birgt ein hohes Diskriminierungspotential. Eine DNA-Phänotypisierung ohne klare rechtsstaatliche Regelung, etwa was die Umgehung der richterlichen Genehmigung durch einfachen „Gefahr im Verzug“ oder was die nachhaltige Kontrolle des Datenschutzes angeht, ist nicht akzeptabel.  Lassen Sie mich abschließend festhalten, dass selbstverständlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Verfahren bei der Strafverfolgung genutzt werden müssen. Dies darf aber nicht zu einer Aushöhlung des Rechtsstaates und zur potentiellen Diskriminierung von Minderheiten führen.