Themenseite: Solidarität und Hilfe für die Ukraine

 

Notfall-Hotline

Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma hat mit Unterstützung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland eine Hotline eingerichtet, die geflüchtete Roma in den Sprachen Romanes, Ukrainisch, Russisch und Ungarisch unterstützt und berät. 

 

Roma und der Krieg gegen die Ukraine

Stand: 31. Mai 2022

Inhaltsverzeichnis

Unterstützung und Spendenmöglichkeiten. 2

Derzeitige Situation in der Ukraine. 2

Roma in der Verteidigung der Ukraine. 2

Diskriminierung und Übergriffe auf Roma. 3

Intern Vertriebene Roma in der Ukraine. 3

Einschätzung und Überlegungen. 4

Situation der Geflohenen Roma. 5

Situation in Deutschland. 6

Situation in den Nachbarländern der Ukraine. 7

Aktivitäten der Zivilgesellschaft der Roma. 10

Einschätzung und Überlegungen. 11

Forderungen an die Deutsche Bundesregierung. 15

Allgemeine Hintergrundinformationen. 16

Antiziganismus in der Ukraine. 16

Gesellschaftlicher Ausschluss. 17

Berichte und Artikel zu Roma und Ukraine in Krieg. 18

 

Unterstützung und Spendenmöglichkeiten

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unterstützt Roma in und aus der Ukraine in vielfältiger Weise. In Zusammenarbeit mit Organisationen der Roma aus der Ukraine und aus anderen europäischen Staaten haben wir einen Aufruf und Spendenaktionen mitinitiiert bzw. unterstützen diese:

https://chuffed.org/project/support-roma-children-and-youth-in-ukraine

https://chuffed.org/project/ukraine-help-roma-access-humanitarian-aid

Hier kann für eine tägliche, warme Mahlzeit gespendet werden:

https://ergonetwork.org/buy-a-hot-lunch-for-ukraine/

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ist auch Teil eines Netzwerks zur Unterstützung von Überlebenden der NS-Verfolgung in der Ukraine. Hier können Sie Überlebenden helfen:

https://hilfsnetzwerk-nsverfolgte.de/

FOKUS UPDATE
Da die Situation der geflüchteten Roma aus der Westukraine mit doppelter Staatsbürgerschaft (ukrainisch-ungarisch) in den Aufnahmeländern immer prekärer wird und der Umgang der Politik damit, einem bekannten, gefährlichen Drehbuch folgt, gibt es dazu im update weitergehende Informationen.

Gerade in der Tschechischen Republik scheint die Flucht von einigen Roma mit ukrainischer und ungarischer Staatsbürgerschaft von Politikern missbraucht zu werden, in dem sie antiziganistische Einstellungen ausnutzen, um Stimmung gegen Roma und geflüchtete Roma und damit gegen Roma im Allgemeinen zu machen. Aber auch in Deutschland wurde die Doppelstaatsbürgerschaft unter einigen Roma schon zum Thema – und wie in Tschechischen Republik wird beim Thema Doppelstaatsbürgerschaft nur von Roma gesprochen, obwohl auch nicht-Roma Doppelstaatsbürger sind. Siehe weiter unten im Text mehr zu den möglichen Hintergründen und Konsequenzen.

 

Derzeitige Situation in der Ukraine

Vom russischen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die Roma in der Ukraine ebenso betroffen wie alle anderen Menschen. Ihre Vulnerabilität kann aber dazu führen, dass sie wie andere vulnerable Gruppen, stärker von den Auswirkungen des Krieges betroffen werden.

Roma in der Verteidigung der Ukraine

Viele Roma fühlen sich verpflichtet für ihr Heimatland Ukraine zu kämpfen. Nach Angaben von Roma Organisationen haben sich einige hundert Roma freiwillig gemeldet und insgesamt kämpfen wohl tausende Roma gegen die russischen Aggressoren. Auch aus dem Westen der Ukraine, in dem es bis jetzt noch nicht zu Kampfhandlungen gekommen ist, kämpfen viele Roma an der Front im Osten der Ukraine.

Auch wenn es in den letzten Jahren zu Überfällen durch Rechtsradikale gekommen ist und die Strafverfolgungsbehörden nicht immer angemessen reagiert haben, unterstützt die übergroße Mehrheit der Roma die Regierung und die Streitkräfte der Ukraine in ihrem Kampf gegen den Aggressor.

Auch sonst unterstützen Roma auf vielfältige Weise den Kampf gegen die Aggressoren. So verteilt die von Roma geleitete NGO „Chirikli“ humanitäre Hilfe, v.a. täglich warme Mahlzeiten an bedürftige Menschen – Roma und Nicht- Roma, z.B. in Charkiv, Odessa oder in anderen Städten. Diese Aktionen werden auch von Roma Organisationen in anderen Ländern (finanziell) unterstützt.

Diskriminierung und Übergriffe auf Roma

Leider kam es während des Krieges v.a. im Westen der Ukraine zu gewalttätigen Übergriffen auf Roma. Organisationen der Roma in der Ukraine haben die verantwortlichen Behörden aufgefordert, diese Gewalttaten zu untersuchen und Strafverfolgung einzuleiten. Auch wenn deren Hintergründe noch genauer recherchiert werden müssen, dürfen solche Gewalttaten auch in Kriegszeiten nicht ungestraft bleiben und müssen von den politisch Verantwortlichen verurteilt werden.

Aus der Region Transkarpatien wurde zudem berichtet, dass ein Polizeioffizier dazu aufgerufen hatte, Roma aus der Region zu vertreiben bzw. andere Länder zur Aufnahme zu finden. Der Vorfall wurde der Ombudsperson und der Menschenrechtsabteilung der Ukrainischen Polizei gemeldet.

Es ist nicht auszuschließen, dass es zu mehr Übergriffen gekommen ist, da nicht alle Übergriffe berichtet werden und nicht immer verifizierbare Aussagen zu möglichen Übergriffen gemacht werden.

Mit Bezug auf den Zugang zu humanitäre Hilfe gibt es sowohl Berichte, dass Roma in der Ukraine Zugang zu humanitären Hilfsleistungen haben als auch Berichte und Aussagen zu Diskriminierungen. So soll in der Region Chernihiv humanitäre Hilfe nur nach Vorlage eines Passes ausgegeben worden sein und Roma, die keine Dokumente vorweisen konnten, hätten keine Hilfe erhalten. Roma NGOs haben gegen diese Diskriminierungen bei den zuständigen Behörden protestiert.

Ein weiteres Problem ist die Flucht aus der Ukraine zu organisieren, da es an Transportmitteln fehlt. Zudem berichten Roma laut einer Befragung, die von UN WOMEN in der Ukraine in Auftrag gegeben worden war, dass Roma etwa bei Unterkünften abgelehnt würden, sie schlecht über Hilfsleistungen informiert würden und ihnen die notwendigen Papiere fehlten, um über die Grenze zu fliehen.

Über die Situation der Roma in den von russischen Einheiten besetzten Gebieten der Ukraine liegen wenig Informationen vor. In Izyum, in der Region Charkiv soll nach Angaben der Roma NGO „Cirikli“, am 3. April 2022 der Vertreter der örtlichen Roma Gemeinschaft von russischen Truppen ermordet worden sein, nachdem er sich geweigert hatte, diese zu unterstützen.

Für viele Roma, die in der Ukraine verblieben sind, wird der Zugang zu Lebensmitteln und anderen notwendigen Artikeln aber schwieriger. Die Verpflegung mit Lebensmitteln und das Verschicken von humanitärer Hilfe in die umkämpften Gebiete wird durch die russischen Angriffe erschwert; zudem ist davon auszugehen, dass die Preise für viele Produkte weiter steigen und damit gerade für ärmere Menschen es immer schwieriger wird, die Versorgung sicher zu stellen.

Intern Vertriebene Roma in der Ukraine

Einige zehntausend Roma mussten aufgrund der Kämpfe vor allem im Osten der Ukraine ihre Häuser verlassen und leben als Intern Vertriebene an anderen Orten in der Ukraine. Bereits während der russischen Aggression in 2014 wurden einige tausend Roma vertrieben, die seitdem als Intern Vertriebene in anderen Teilen der Ukraine leben.

Für die Intern Vertriebenen ist die Situation oft besonders schwierig, da sie auf ihrer Flucht nichts mit sich nehmen konnten. Viele der intern vertriebenen Roma sind in Notunterkünften untergebracht. Da die ukrainischen Behörden beabsichtigen, Notunterkünfte wie Schulen wieder ihrer eigentlichen Widmung zuzuführen, müssen auch für die Intern Vertriebenen neue Unterkünfte gebaut bzw. gefunden werden. Es wird sicherzustellen sein, dass auch den vertriebenen Roma neue Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden.

Intern vertriebene Roma sind auch oft vom Informationsfluss zu möglichen Hilfen für Intern Vertriebene abgeschnitten oder werden bewusst nicht informiert. Auch werden sie nach NGO Angaben bei humanitärer Hilfe nicht miteinbezogen bzw. diskriminiert.

Einschätzung und Überlegungen

Die oben erwähnten Übergriffe und Gewalttaten bzw. Diskriminierungen müssen verurteilt werden und von den Behörden einem Rechtsstaat entsprechend, verfolgt werden. Allerdings dürfen diese nicht dazu missbraucht werden, die Ukraine als „faschistisch“ darzustellen und damit indirekt oder unwillentlich die Propaganda für den Aggressionskrieg Russlands zu unterstützen.

Die Organisationen der Roma in der Ukraine brauchen hierbei aber auch die Unterstützung von ausländischen Regierungen und zwischenstaatlichen Organisationen, damit diese auch auf die Verantwortlichen in der Ukraine einwirken, dass sie solche Gewalttaten verurteilen.

Antiziganismus existiert wie in allen anderen Ländern, auch in der Ukraine, wie nicht zuletzt die Überfälle auf Roma v.a. in den Jahren 2018 und 2019 zeigen (mehr zu Antiziganismus und Diskriminierungen siehe „Allgemeine Hintergrundinformationen“). Eine Ausdrucksform des Antiziganismus ist, dass das Fehlverhalten einer kleinen Gruppe von Roma oder von wenigen Einzelpersonen dazu führt, dass alle Roma dafür verantwortlich gemacht werden. Diese Gefahr besteht auch in der Ukraine:  Zum einen, dass ukrainische Extremisten diejenigen wenigen Roma, die angeblich bei Plünderungen gefasst worden sind und dann an „den Pranger gestellt“ worden sind, dazu missbrauchen, alle Roma als Feinde der Ukraine darzustellen.

Zum anderen können Stellungnahmen, die die erwähnte Übergriffe auf Roma als ein Beispiel dafür missbrauchen, wie „faschistisch“ die Ukraine ist, ohne das Gesamtbild zu sehen, dazu führen, dass Roma als „anti-ukrainisch“ angesehen werden. Es besteht daher immer die Gefahr, dass in der Ukraine Vorurteile gegen Roma sich in Gewalt gegen Roma verwandeln kann.

Gerade daher ist es besonders wichtig, dass die politisch Verantwortlichen in der Ukraine – auf lokaler und nationaler Ebene – Übergriffe auf Roma verurteilen und Gerichte diese Übergriffe auch verfolgen.

Dass Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine, auch während Zeiten des Krieges noch funktioniert, zeigte ein Gerichtsurteil in zweiter Instanz Ende April 2022. Das Gericht verurteilte die Stadtverwaltung von Uzhgorod in der Westukraine wegen Segregation von Roma Kindern in Schulen. Eine Romni hatte dagegen geklagt, dass ihr Kind in eine segregierte Schule nur mit anderen Roma Kindern gehen sollte, die schlechter ausgestattet war und in der weniger Lehrstoff vermittelt worden ist. Die Mutter hat gegen die Segregation geklagt, da sie die bestmögliche Ausbildung für ihr Kind möchte. Das Gericht gab ihr jetzt in zweiter Instanz Recht.

 

Im Verlaufe des Krieges kann auch nicht ausgeschlossen werden, v.a. wenn die Versorgung noch schwieriger wird und die Sicherheitslage sich weiter zuspitzt, dass es zu stärkeren Diskriminierungen, z.B., wenn es um humanitäre Hilfe geht, kommen kann und auch zu vermehrten gewalttätigen Übergriffen auf Roma.

Erfahrungen aus anderen Kriegen, z.B. aus dem Kosovokrieg können Hinweise auf die weitere Entwicklung der Situation der Roma geben. So hat im Kosovo, die ausgesprochene Unterstützung einiger weniger Vertreter der Roma für das Milosevic Regime und die Teilnahme einiger weniger Roma an Kriegsverbrechen oder Plünderungen, nach dem Krieg als Vorwand dafür gedient bzw. hat nach dem Krieg als Begründung ausgereicht, dass über 100.000 Roma vertrieben worden sind bzw. das Land verlassen mussten und viele Roma ermordet worden sind.

Diese Gefahren sind auch für die Ukraine nicht auszuschließen und daher ist es umso wichtiger, zu versuchen, den gesellschaftlichen Narrativ in der Ukraine so zu beeinflussen, dass auch positive Erzählungen über Roma aufgenommen werden: dass Roma für die Unabhängigkeit der Ukraine stehen; dass Tausende Roma in der Ukrainischen Armee oder in der Territorialen Selbstverteidigung kämpfen;  dass Organisationen der Roma humanitäre Hilfe verteilen – an alle Menschen, die Bedarf haben und nicht nur an Roma und dass Roma in der Ukraine sich als Teil der Ukraine verstehen.

 

Situation der Geflohenen Roma

Die genaue Anzahl der geflüchteten Roma ist nicht bekannt, aber es ist davon auszugehen, dass inzwischen einige zehntausend Roma geflüchtet sind. Allerdings gibt es auch Berichte, dass Roma aufgrund der Diskriminierungen in Aufnahmeländern wieder in die Ukraine zurückgekehrt sind.

Da Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren die Ausreise aus der Ukraine nicht mehr erlaubt ist, fliehen auch unter Angehörigen der Roma vor allem Frauen und Kinder, deren besondere Schutzanforderungen gewährleistet werden müssen.

Nach Angaben von NGOs soll ein beträchtlicher Teil der Roma (10%-20% der ca. 400.000 Roma) keine Ausweispapiere oder Reisepässe haben oder nur „alte“ sowjetische oder gar russische Pässe und haben daher Schwierigkeiten bei der Ausreise aus der Ukraine bzw. bei der Einreise in die Nachbarländer, die der EU angehören.

Nach Information  des European Roma Right Center (ERRC) haben ukrainische Grenzbehörden Roma am Verlassen des Landes gehindert, da sie nicht über Dokumente verfügten. Inzwischen haben die ukrainischen Behörden festgelegt, dass in Praxis Personen aus den umkämpften Gebieten bzw. aus deren unmittelbarer Nähe, auch ohne Dokumente das Land verlassen dürfen. Personen aus anderen Teilen der Ukraine benötigen aber wohl gültige Dokumente, um die Ukraine verlassen zu können. Eine rechtliche Grundlage in Form einer Gesetzesänderung gibt es dafür aber wohl nicht.

Anfang März 2022, hat die Europäische Union die Direktive zur Vorläufigen Schutzgewährung (Temporary Protection Directive) aktiviert, die vorerst für ein Jahr gilt und u.a. Ansprüche auf Unterkunft und Zugang zum Arbeitsmarkt festlegt. Die Vorläufige Schutzgewährung sollte im Prinzip auch für Personen gelten, die aus der Ukraine stammen, aber nie über Dokumente verfügt haben. Zumindest schließt die Direktive diese Personen nicht explizit aus, bezieht sich aber auch nicht explizit auf sie.

Ein weiteres generelles Problem ist, dass viele Roma aus der Ukraine, v.a. aus Transkarpatien neben der ukrainischen, auch die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen. Die Ungarische Regierung hat in den letzten Jahren wohl ca. 1 Million Staatsbürgerschaften an Personen in der Ukraine, Rumänien, Serbien, Slowakei etc. vergeben, die heute in Gebieten wohnen, die einst zu Ungarn gehört haben bzw. deren Vorfahren einst die ungarische Staatsbürgerschaft hatten. Dadurch sind neben ethnischen  Ungarn oder Ukrainern aus der Region Transkarpatien auch viele Roma zu Doppelstaatsbürgern geworden.

Vor dem Krieg ermöglichte ihnen der ungarische Pass Reisefreiheit und Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der EU, die von vielen wahrgenommen wurden. Jetzt wurde ihnen die Doppelstaatsbürgerschaft zum Verhängnis, wie Beispiele aus Tschechien, Ungarn und auch aus Deutschland zeigen.

 

Situation in Deutschland

In Deutschland ist die Situation der Roma aus der Ukraine, die keine Ausweispapiere besitzen, nicht geklärt. Die vorliegenden Informationen des Innenministeriums, der Integrationsbeauftragten oder des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge  gehen zwar auf verschiedenste Szenarien und Personengruppen ein, aber nicht darauf, welchen Status Menschen aus der Ukraine, die nie Papiere besessen haben, in Deutschland erhalten können.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat sowohl das Innenministerium als auch die Integrationsbeauftragte kontaktiert, aber keine Antwort dazu erhalten, wie die deutschen Behörden in solchen Fällen reagieren werden und ob auch Personen aus der Ukraine, die nie Papiere besessen haben, unter die vorläufige Schutzgewährung fallen. Allerdings können wir noch nicht sagen, ob und wie viele Geflüchtete in Deutschland keinerlei Dokumente haben. Bis jetzt sind nur wenige Einzelfälle bekannt geworden.

Auch die Situation der Roma aus der Ukraine, die eine doppelte ungarisch-ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen, ist noch nicht endgültig geklärt. Als ukrainische Staatsbürger hätten sie Zugang zu den unterstützenden Maßnahmen im Rahmen der Vorläufigen Schutzgewährung; als ungarische Staatsbürger hingegen, hätten sie keinerlei Zugang zu unterstützenden Maßnahmen – weder im Rahmen der Vorläufigen Schutzgewährung noch im Rahmen von Asyl. Da Ungarn zudem das Europäische Fürsorgeabkommen nicht ratifiziert hat, haben sie als ungarische Staatsbürger auch keinen Anspruch auf anderweitige Unterstützungen, sondern hängen vom Wohlwollen der Kommunalverwaltungen ab, ob sie Unterkunft oder Zugang zu Gesundheitsdiensten erhalten.

Auch aus Deutschland gibt es auch Berichte, dass ukrainische Roma getrennt von anderen geflüchteten Ukrainer*innen untergebracht worden sind, dass es zu Diskriminierungen gekommen ist und auch zu Konflikten zwischen beiden Gruppen in gemeinsamen Unterkünften. Zudem gab es einseitige Berichte in Medien, die zwar über das Fehlverhalten einiger weniger Roma berichten, aber nicht über die Situation der überwältigenden Mehrheit der geflüchteten, ukrainischen Roma, mit denen es nicht zu Problemen gekommen ist. Auch hier sehen wir die Tendenz, das Fehlverhalten einiger weniger Personen  auf die gesamte Gruppe zu übertragen. 

Auch in Deutschland engagieren sich viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Einzelpersonen in der Unterstützung der Geflüchteten. Diese Unterstützung bezieht sich auf Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine. So konnten Überlebende evakuiert werden und dank des Hilfsnetzwerk für NS-Verfolgte konnten auch Überlebende in der Ukraine unterstützt werden. Das Engagement deutscher Ministerien, Behörden und Einrichtungen und vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen für Roma, die den Völkermord überlebt haben, ist ein gutes Beispiel in diesen schwierigen Zeiten.  

 

Situation in den Nachbarländern der Ukraine

Es gibt Berichte, dass Grenzbehörden der Nachbarländer Roma die Einreise verweigert haben, da sie keine Dokumente vorlegen konnten. Es ist allerdings schwer festzustellen, inwieweit dies ein systematisches Vorgehen darstellt bzw. inwieweit dies auf individuelle Entscheidungen von Grenzbeamten zurückzuführen ist.

Zudem gibt es Berichte über Diskriminierungen in den „EU-Aufnahmeländern“ wie Polen, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Rumänien oder Ungarn (siehe für einen Überblick „Berichte und Artikel zu Roma in Ukraine und Krieg“). Da die Hilfe in den ersten Wochen des Krieges überwiegend von Freiwilligen und nicht vom Staat organisiert worden ist, konnte (noch) nicht von systematischer, staatlicher Diskriminierung gesprochen werden; auch wenn Diskriminierungen und falsche Behauptungen auch von staatlichen Stellen bekannt geworden sind.

In letzter Zeit haben jedoch Behörden verstärkt das Management der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten übernommen, womit auch die Verantwortlichkeit des Staates für eventuelle Diskriminierungen mit einhergeht.

Aus den Nachbarländern wurde berichtet, dass Roma nicht die Hilfe zukommt, wie anderen Flüchtlingen aus der Ukraine, dass sie nicht in Busse bzw. Züge durften, dass ihnen keine Unterkünfte zur Verfügung gestellt wurden, dass sie weniger Essen erhielten als andere Flüchtlinge, dass sie in abgelegene, segregierte Unterkünfte ohne Unterstützung gebracht worden sind. In letzter Zeit konnte zunehmend beobachten werden, dass Roma abgesprochen wird, tatsächlich Geflohene zu sein.

Tschechische Republik

In Tschechien ist die Regierung zwar eine bessere Zusammenarbeit mit Roma Organisationen eingegangen, um eine gleichberechtigte Behandlung der Roma unter den geflüchteten ukrainischen Bürgern zu erreichen, aber trotzdem ist die Situation angespannt. Besonders ab Anfang/Mitte Mai hat sich die Situation weiter zugespitzt, nachdem schon vorher auch über Gewalt an geflüchteten Roma berichtet worden ist.

In Orten wie Prag oder Brno (Brünn) fehlen zum einen Unterbringungsmöglichkeiten für geflüchtete Roma und zum anderen versuchen die Behörden anscheinend, geflüchtete Roma aus der Ukraine, die neben der ukrainischen auch die ungarische Staatsbürgerschaft haben, nach Ungarn weiterzuschicken.

Aus Brno wurde berichtet, das geflohene Roma daran gehindert wurden, den Zug zu verlassen. In Prag leben viele geflüchtete Roma im und um den Hauptbahnhof, da Unterkünfte entweder nicht zur Verfügung stehen oder nicht angenommen werden. Es wurde eine Zeltstadt nur für geflüchtete Roma errichtet, in die nach Aussagen des Bürgermeisters von Prag v.a. Geflüchtete mit doppelter Staatsbürgerschaft untergebracht werden sollen. Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft, darunter die Staatsbürgerschaft eines EU Mitgliedstaates haben nach Aussagen der Behörden keinen Anspruch auf Unterstützung im Rahmen der Vorläufigen Schutzgewährung („temporary protection“).

Daher, so der tschechische Innenminister Vít Rakušan, werde dieser Personengruppe der kostenlose Weitertransport nach Ungarn mit dem Zug angeboten. Er hat auch mit seinen Kollegen in der Ukraine und in Ungarn gesprochen, um zu erreichen, dass die ukrainischen Grenzbehörden kontrollieren, dass keine Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft  das Land verlassen und nach Tschechien reisen. Mit  seinem ungarischen Kollegen hat er besprochen, dass die ungarischen Behörden den Prozess der Überprüfung beschleunigen, ob eine Person die doppelte Staatsbürgerschaft hat.

Insgesamt sind bis Mitte Mai 350.000 ukrainische Geflüchtete in der Tschechischen Republik angekommen, wovon über ein Drittel das Land aber wieder verlassen haben soll. Bis Mitte April waren aber gerade ca. 1200 Roma aus der Ukraine in der Tschechischen Republik angekommen und nur ein kleinerer Teil von ihnen hat wohl die doppelte Staatsbürgerschaft. So sollen der Flüchtlingsunterstützergruppe OPU zufolge, nur 20% der am Hauptbahnhof lebenden Geflüchteten Doppelstaatsbürger sein.

Und es scheint so zu sein, dass nur Personen, die als Roma gelesen werden, kontrolliert werden, ob sie die doppelte Staatsbürgerschaft haben.

Vorfälle von Hassrede von Politikern gab es mehrere, z.B. von Staatspräsidenten Milos Zeman, der schon in der Vergangenheit mit Aussagen aufgefallen ist, die ihm den Vorwurf des Rassismus eingebracht hatten. Er meinte, dass Roma keine Kriegsflüchtlinge sind, sondern „Wirtschaftsflüchtlinge“. Die stellvertretende Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Tschechiens Brno, Marketa Vankova hingegen, tätigte die Aussage, dass geflüchtete Roma aus de Ukraine in mehreren EU Ländern finanzielle Hilfe beantragen. Auf Nachfrage musste sie aber zugeben, dass sie dafür keinerlei Beweise habe.

Laut Guardian, behauptet der tschechische Innenminister Vít Rakušan, dass die Ankunft der Roma in Verbindung zur Organisierten Kriminalität steht und dass der „Sozialtourismus“ bekämpft werden muss.

Am 19. Mai 2022, hat die tschechische Regierung die Gesetzgebung für die Geflüchteten aus der Ukraine geändert und die Änderungen wie auch die öffentliche Diskussion über die geflüchteten Roma, erwecken den Eindruck, dass diese Änderungen sich gegen die geflüchteten Roma richten. So wurde mit Ende Mai die humanitäre Unterstützung für Geflüchtete am Bahnhof in Prag eingestellt – die Mehrheit der Geflüchteten dort sind Roma.

NGOs, die sich stark um Geflüchtete kümmern, wurden bei der Gesetzesänderung nicht konsultiert und beklagen einen Stimmungswandel gegen ukrainische Geflüchtete, die jetzt – auch von Verantwortlichen – immer häufiger als „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Sozialtouristen“ bezeichnet werden. Sie berichten auch von Fällen, in denen dass geflüchtete Roma nicht einmal einen Antrag auf Schutzgewährung einreichen konnten  oder in denen Behörden Roma den Zugang zur Vorläufigen Schutzgewährung verwehrt haben.

Der Antiziganismus der Verantwortlichen, der sich in der Diffamierung der geflüchteten Roma zeigt, scheint darauf abzuzielen, keine geflüchteten Roma oder so wenig geflüchtete Roma wie möglich in Tschechien aufzunehmen.

Aus allen Ländern, wie auch aus Tschechien wird daher berichtet, dass viele der Roma in andere Länder, v.a. nach Deutschland weiterreisen wollen. Oft wird die stärkere Diskriminierung und Antiziganismus in diesen Ländern als Grund für die Weiterfahrt nach Deutschland angegeben.

Ungarn

In Ungarn gibt es allgemein eine große Diskrepanz zwischen der Anzahl der in Ungarn angekommenen Geflüchteten und der Anzahl derjenigen, die tatsächlich in Ungarn bleiben und sich hier registriert haben, um Krankenversorgung oder materielle Unterstützung zu erhalten.

So sollen nach Angaben des Innenministeriums am 12.Mai 2022, 578.531 ukrainische Geflüchtete in Ungarn angekommen sein, während andere Angaben aus Regierungskreisen von 700.000 oder 1 Million Geflüchteten sprechen, die in Ungarn eingereist sind; die letzteren Zahlen beinhakten aber auch Geflüchtete aus der Ukraine, die über Rumänien nach Ungarn eingereist sind.

Aber bis zum 13. Mai 2022,haben nur 21.320 Geflüchtete Vorläufige Schutzgewährung beantragt und 11.467 Personen haben diesen Status auch tatsächlich erhalten. Im  Vergleich dazu haben in der Slowakei von 425.000 Geflüchteten, die in das Land eingereist sind, 75.000 Personen Vorläufige Schutzgewährung erhalten und in Polen ca. eine Million von 3.6. Millionen Geflüchteten.

Wir können davon ausgehen, dass der überwiegende Teil der Geflüchteten aus der Ukraine Ungarn wieder verlassen hat, während andere keinen Antrag auf Vorläufige Schutzgewährung gestellt haben.

Mit Bezug auf Geflüchtete mit doppelter Staatsbürgerschaft (Ukrainisch und Ungarisch) gibt es sich widersprechende Informationen.

Ungarn hat in den letzten Jahre geschätzt eine Million Staatsbürgerschaften Personen in den Nachbarländern (v.a. Rumänien, Serbien, Slowakei und Ukraine) vergeben, v.a. an ethnische Ungarn, aber auch Angehörige anderer Nationalität. Alleine zwischen 2011 und Anfang 2015, haben 94.000 Ukrainische Staatsbürger ungarische Reisepässe erhalten.

Allerdings scheint die rechtliche Situation der ukrainischen Geflüchteten mit doppelter Staatsbürgerschaft nicht vollends geklärt zu sein. Auf der Webseite der zuständigen Ausländerbehörde (Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság) heißt es, dass Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft die gleichen Rechte und Pflichten wie ungarische Bürger haben.

Dem Ungarischem Helsinki Komitee zufolge, können Flüchtlinge mit doppelter Staatsbürgerschaft zwar kein Asyl beantragen, aber sie genießen die Rechte, wie die anderen Geflüchteten aus der Ukraine, die unter Vorläufiger Schutzgewährung stehen, was auch den Zugang zu vorläufiger Unterkunft und zum Gesundheitswesen, aber auch zu finanzieller Unterstützung beinhaltet.

Aus Ungarn liegen auch Berichte über ungleiche Behandlung von geflüchteten Roma vor. In Ungarn waren es in den ersten Wochen vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen der Roma, Menschenrechtsorganisationen und Kirchengemeinden, die die Geflüchteten betreuten und unterstützten. Inzwischen hat der Staat zumindest das Management der „Erstaufnahmestelle“ in Budapest, einer ehemalige Turnhalle, übernommen.

 Nach Angaben von Roma NGOs in Ungarn sind einige zehntausend Roma aus der Ukraine nach Ungarn geflüchtet. Wie viele von ihnen derzeit noch in Ungarn sind, ist schwierig festzustellen, allerdings können wir von einigen tausend Roma ausgehen, die auch nicht alle bei den Behörden registriert sind.

In Budapest sind in den Unterkünften wohl v.a. ethnische Ungarn und Ungarisch sprechende Roma aus Transkarpatien untergebracht. Dabei ist zu beobachten, dass bei vielen Familien die Männer wohl schon länger in Ungarn gearbeitet haben und jetzt ihre Familien nachgeholt haben. Den Familienmitgliedern soll jetzt bei Arbeitsplatzsuche, medizinischer Versorgung und Einschulung geholfen werden.   

Auch aus Ungarn wird berichtet, dass Roma wieder in die Ukraine zurückgekehrt sind.

 

Slowakei

Die  slowakischen Verantwortlichen haben relativ früh auf Berichte reagiert und beschlossen, dass auch Roma die Situation der Grenze beobachten, um mögliche Diskriminierungen zu vermeiden.

Die Behörden der Slowakei haben zudem damit reagiert, dass sie an der Grenze darüber informieren, dass Personen ohne Dokumente ebenfalls von der Vorläufigen Schutzgewährung profitieren können („You will be granted temporary protection, even if you do not have any documents. In this case your application should be processed within 30 days. Accommodation, food, health care and hygienic packages will be provided straight away free of charge”).

Moldau

Auch Moldau hat viele Flüchtlinge, darunter auch Roma aufgenommen. Viele Personen, die keine Ausweise bei sich hatten, konnten in den ersten Kriegstagen die Grenze auch so passieren, während viele über die grüne Grenze geflüchtet sind.

Human Rights Watch wirft Moldau auch die Ungleichbehandlung von geflüchteten Roma vor. In Moldau, das nicht  Mitglied der EU ist, wurden zu Beginn des Krieges, einige hundert Roma, vor allem Frauen und Kinder von Angehörigen anderer Ethnien segregiert in einem Aufnahmelager untergebracht worden. Auch die humanitäre Versorgung in diesen Aufnahmelagern ist nicht immer im vollem Umfang sichergestellt. Inzwischen wird humanitäre Hilfe nur gegen Vorlage eines ukrainischen Ausweises ausgegeben, was für die Geflüchteten, die ohne Dokumente ins Land gekommen sind, von der Versorgung ausschließt.

Die meisten warten darauf, dass sie weiter in ein EU Land reisen können. Allerdings haben auch viele dieser Roma keine Dokumente, was die Weiterreise aber inzwischen unmöglich macht.

Nach Aussagen des Council of Equality in Moldau ist nur ein Teil der geflüchteten Roma in offiziellen Flüchtlingszentren untergekommen (ca. 10%), während die anderen in anderen, privaten Unterkünften untergebracht und ohne staatliche Unterstützung sind.  

Auch in Transnistrien leben geflüchtete Roma; sie sind damit aber nicht mehr im Einzugsbereich der Behörden Moldaus.  

Aktivitäten der Zivilgesellschaft der Roma

Es sind v.a. zivilgesellschaftliche Organisationen der Roma, die  geflüchteten Roma in Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Rumänien oder Moldau helfen. Sie vermitteln Transport von den Grenzen in Unterkünfte, oft haben sie letztere erst selbst organisieren müssen, sie organisieren Verpflegung oder Arztbesuche und helfen bei den Behördengängen. Zudem wird verstärkt ein Monitoring durchgeführt, dass eventuelle Diskriminierungen verhindern soll.

Zudem helfen zivilgesellschaftliche Organisationen Roma, die zwar vorläufig Aufnahme in Ländern wie der Tschechischen Republik oder Polen Aufnahme gefunden haben, aber dort Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren, bei der Weiterreise in andere europäischen Länder und bei der Suche nach Unterkunft in diesen Ländern.

Roma Organisationen auf europäischer Ebene haben fundraising Kampagnen gestartet, um vulnerable Roma und andere vulnerable Personen in der Ukraine, aber geflüchtete Roma in den Nachbarländern zu unterstützen.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma arbeitet daran, deutsche Hilfsorganisationen zu sensibilisieren, dass die Geflüchteten mehr Unterstützung benötigen. Informationen wie diesen Organisationen unterstützt werden können, können wir auf Anfrage bereitstellen. Zudem arbeiten wir im Hilfsnetzwerk NS-Verfolgte mit, von dem auch Überlebende des Völkermordes an den Sinti und Roma unterstützt werden.

Wir haben uns an Politiker und Ministerien in Deutschland sowie mit unseren Partnern an europäische Institutionen und internationale Organisationen gewandt, um sie auf die besondere Situation der Roma in und aus der Ukraine aufmerksam zu machen; wie wir allgemein versuchen die deutsche und internationale Öffentlichkeit zu informieren.

Zudem vermitteln wir Unterstützung deutscher Organisationen an zivilgesellschaftliche Organisationen der Roma in der Ukraine und in den Nachbarstaaten.

Des weiteren hat das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, mit Unterstützung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland eine hotline eingerichtet, die geflüchtete Roma in den Sprachen Romanes, Ukrainisch, Russisch und Ungarisch, unterstützt und hilft.

 

Einschätzung und Überlegungen

Die oben angeführten Beispiele zeigen die gegenwärtigen Probleme der geflüchteten Roma auf: Ihnen wird im Vergleich zu anderen Flüchtlingen die Aus- bzw. Einreise erschwert, die freiwillige Hilfe von Privatpersonen bezieht Roma oft nicht mit ein, kaum jemand möchte Roma privat bei sich aufnehmen. Politiker nutzten antiziganistische Einstellungen in der Bevölkerung aus, um Stimmung gegen Roma zu machen und die Öffentlichkeit interessiert sich v.a. dann für die Situation der Roma in der Ukraine und unter den Flüchtlingen, wenn es „Negatives“ zu berichten gibt.

 

Das momentane Vorgehen der Verantwortlichen in Tschechien gegen geflüchtete Roma und in abgeschwächter Form in anderen Ländern zeigt auf, wie Politiker antiziganistische Einstellungen ausnutzen. Sie folgen dabei einem Drehbuch, dass aus der Vergangenheit bekannt ist, als Roma oder verwandte Gruppen während und nach der Kriege in Bosnien und Herzegowina, Kosovo oder Syrien flüchten mussten:

Zum einen erhalten viele Roma Aufnahme und Unterstützung wie andere Geflüchtete auch, vor allem, wenn sie von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft nicht als Roma gelesen werden. Aber auch Geflüchtete, die als Roma gelesen werden, werden nicht per se von Aufnahme und Unterstützung ausgeschlossen. Tausende Roma aus der Ukraine haben Aufnahme und Unterstützung gefunden, waren aber oft auf die Unterstützung der Roma Zivilgesellschaft angewiesen.

Neben diesen Prozessen der regulären Unterstützung ohne Unterschiede, läuft aber ein paralleler Prozess, der aus rein antiziganistischer, also rassistischer Motivation heraus, Roma prinzipiell abspricht, Geflüchtete zu sein. In der Vorstellungswelt des Antiziganismus fliehen Roma nicht vor dem Krieg, sondern sie kommen in die Aufnahmeländer, um das dortige Sozialsystem auszunutzen. Diese antiziganistische Einstellung in weiten Teilen der Bevölkerung versuchen unverantwortliche, oft selbst antiziganistisch eingestellte Politiker zu missbrauchen, indem sie dieses Narrativ aufnehmen, damit sie in Konsequenz entweder generell die Aufnahme von Geflüchteten einschränken können bzw. gezielt verhindern wollen, dass in ihrem Land, geflüchtete Roma Schutz finden und bei einer Beruhigung der Lage im Herkunftsland die Abschiebung von Roma dorthin forcieren können, wohlwissend, dass die Mehrheit der abgeschobenen Roma dort keine Perspektive hat.

Dieses antiziganistische Narrativ und die darauf basierenden politischen Handlungen waren und sind in vielen Ländern zu beobachten, in denen geflüchtete Roma angekommen sind. Sei es Anfang der Neunziger Jahre als Roma, v.a. aus Rumänien und Bulgarien, Asyl in Deutschland beantragten oder als in den Jahren vor 2015 viele Roma aus den Westbalkanstaaten Asyl in Deutschland beantragten und gleichzeitig Deutschland Roma in diese Staaten deportierte, wissend, dass sie dort keine Perspektive haben. Sowohl Anfang der Neunziger Jahre (Grundgesetzänderung §16) als auch in den Jahren vor 2015 (Asylkompromiss) ging ihre Diffamierung als „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder „Sozialtouristen“ der jeweiligen Verschärfung der Asylgesetzgebung voraus.

Ähnliche Mechanismen konnten wir in den letzten Jahrzehnten auch in Frankreich oder Italien vorfinden, oder in der Türkei als es um geflüchtete Dom oder Abdal aus Syrien ging oder jetzt wieder in Tschechien oder Deutschland mit Bezug auf aus der Ukraine geflüchtete Roma.

Diese Diffamierung der Roma wird ergänzt durch das Hochspielen von Zwischenfällen, in denen als Roma gelesene Personen beteiligt waren oder spezifischen Situationen wie jetzt, dass Roma aus der Ukraine ukrainisch-ungarische Doppelstaatsbürger sind. Obwohl dies nur einen kleineren Teil der geflüchteten Roma betrifft, wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, dies beträfe viele und wird als Beleg für die Diffamierung genutzt, die Menschen kommen nur, um das Sozialsystem auszunutzen und dass die Roma, die Ungarisch sprechen, gar nicht aus der Ukraine stammen, sondern aus Ungarn.

Dass auch geflüchtete Nicht-Roma ukrainisch-ungarische Doppelstaatsbürger sind, ist kein Thema und es ist fraglich, ob auch Nicht-Roma darauf hin überprüft werden, ob sie neben der ukrainischen auch die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen oder nur Personen, die als Roma gelesen werden. Berichte von NGOs in Tschechien deuten zumindest darauf hin, dass nur bei Roma kontrolliert wird. Auch in Deutschland ist das Phänomen der doppelten Staatsbürgerschaft nur mit Bezug auf Roma ein Thema.

Ähnlich verhält es sich bei den in einigen Ländern gehörten Vorwürfen, dass Roma, die aus der Westukraine geflüchtet sind, keine wirklichen Kriegsflüchtlinge sein können, da in der Westukraine kein Krieg herrsche. Dass sich die Versorgungslage in der Westukraine verschlechtert, da die frontnahen Gebiete Vorrang bei der Versorgung haben, wird ausgeblendet, ebenso wie die Tatsache, dass auch viele Roma aus der Westukraine gegen den russischen Aggressor kämpfen und ihre Familien aber Unterstützung benötigen. Auch dieser Vorwurf, dass Geflüchtete aus der Westukraine keine „wirklichen Kriegsflüchtlinge“ sind, ist kaum gegenüber Nicht-Roma zu hören.

 

Politiker und Medien spielen bei der antiziganistisch motivierten Diffamierung der Roma die Hauptrollen. Neben den beiden erwähnten Phänomena zeigt sich dies in der einseitigen Berichterstattung, die sich mit ganz wenigen Ausnahmen auf die kleine Minderheit unter den geflüchteten Roma fokussiert, mit denen es Probleme gibt, aber die Vielfalt der geflüchteten Roma verschweigt oder ignoriert. Sie verliert kein Wort über die Studenten, Akademiker, Fachkräfte unter den Roma, die geflüchtet sind. Es fehlen auch die Berichte darüber, welche Herausforderung es darstellt, in ein Land flüchten zu müssen, in dem sie Diskriminierungen erfahren.

Bezeichnend für die antiziganistische Einstellung von Politikern und Medien in den Staaten der Europäischen Union ist, dass sie nicht wahrnehmen wollen, dass viele ungarisch sprechende Roma aus der Westukraine, die wahrscheinlich auch Doppelstaatsbürger sind, im Osten der Ukraine an der Front kämpfen und vielleicht ihr Leben für die Verteidigung der Ukraine lassen, während ihren Frauen und Kindern die Flüchtlingseigenschaft abgesprochen wird, sie keine Unterstützung erhalten und als „Sozialtouristen“ diffamiert werden. Auch über die Situation der Frauen, die mit ihren Kindern alleine in einem fremden Land sind, während Ehemann bzw. Vater an der Front kämpft für ein Land, in dem sie Diskriminierung erfahren haben, berichten die Medien nicht.

 

Zudem stellt sich die Frage, ob angesichts der Flexibilität, die die Staaten der Europäischen Union bei der Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine bis jetzt gezeigt haben, es tatsächlich angebracht ist, dass einige wenige Personen, angesichts der Millionen Geflüchteten aus der Ukraine, die ukrainisch-ungarische Doppelstaatsbürger sind, aber bis zur Flucht ihr ganzes Leben lang in der Ukraine gelebt haben, von jeglicher Unterstützung in Ländern wie Tschechien oder Deutschland ausgeschlossen werden.

Was soll mit diesen Menschen geschehen? Dass Ungarn sie mit offenen Armen aufnimmt, kann angesichts der politischen und gesellschaftlichen Situation in Ungarn ausgeschlossen werden. Dass sie in die Ukraine zurückkehren müssen, weil sie zwei Pässe haben, ihre Nachbarn aus dem selben Ort, aber nur mit einem ukrainischen Pass, aber Schutz in Deutschland oder Tschechien finden, kann vernünftig nicht erklärt werden. Ebenso wenig, wie die Frauen und Kinder in der Ukraine ihren Lebensunterhalt gestalten sollen, während der Ehemann und Vater an der Front ist.

All diese Phänomene sind Manifestationen von Antiziganismus oder des Missbrauchs der antiziganistischen Einstellungen in großen Teilen der Bevölkerung durch Politiker oder Medien. Es ist erschreckend, wieweit diese spezifische Form des Rassismus gesellschaftlich akzeptiert ist – und dies nicht nur in den gesellschaftlichen Gruppen, die sonst mit rassistischen Einstellungen in Verbindung gebracht werden.

Die bereits jetzt zu konstatierende Diskriminierung der Roma in den Aufnahmeländern, aber auch in der Ukraine, erfordern bereits jetzt, sich auf mögliche zukünftige Szenarien einzustellen und vorzubereiten.  Übergreifend können wir davon ausgehen, dass Diskriminierungen sowohl in der Ukraine als auch in Nachbarländern zunehmen werden und sich bei längerer Dauer des Krieges noch verschärfen könnten.

Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass trotz der antiziganistisch motivierten Versuche, geflüchtete Roma zum Verlassen von Aufnahmeländern zu bringen, einige zehntausend Roma, Zuflucht in Ländern der Europäischen Union und in Moldau gefunden haben.

Im größeren Rahmen, stehen zwei Szenarien vor uns. Zum einen, dass der Krieg noch lange dauern wird und geflüchtete Roma in die aufnehmenden Gesellschaften integriert werden müssen. Zum anderen, dass ein Waffenstillstand oder ein Friedensvertrag geschlossen wird und Geflüchtete in ihr Heimatland zurückkehren werden bzw. müssen.  

Eine Erfahrung aus den Kriegen in Bosnien und Herzegowina und Kosovo ist, dass Roma, die vorübergehend Schutz in Deutschland oder in einem anderen EU Mitgliedsstaat gefunden hatten, irgendwann nach Kriegsende zwangsweise abgeschoben wurden – z.T. nach zwanzig Jahren Aufenthalt im Gastland oder selbst wenn sie im Gastland geboren wurden und die Verkehrssprache im Herkunftsland ihrer Eltern oft nicht kannten, obwohl sie in ihren Herkunftsländern nicht willkommen waren und weder Unterkunft noch Zugang zum Arbeitsmarkt hatten und haben.

Eine weitere Erfahrung ist, dass intern vertriebene Roma oft die letzten waren, die nach dem Krieg – wenn überhaupt – in ihre Heimatorte zurückkehren konnten bzw. Gemeinschafts- oder Notunterkünfte für Intern Vertriebene verlassen konnten. Angehörige anderer Gruppen, insbesondere der Mehrheitsbevölkerung  wurden bevorzugt behandelt und oft hat es Widerstände von Teilen der Mehrheitsbevölkerung gegeben, wenn Roma in ihre Heimatorte zurückkehren sollten bzw. an einem anderen Ort angesiedelt werden sollten.  

Da für die aus den umkämpfen bzw. besetzten Gebieten in der Ostukraine geflohenen Roma nicht zu erwarten ist, dass sie (bald) zurückkehren können, müssen also Lösungen sowohl für die intern Vertriebenen in der Westukraine als auch für die aus den Aufnahmeländern zurückgekehrten Roma, die nicht in ihre Heimatorte zurückkehren können, vorbereitet werden. Dies bedeutet, dass Unterkünfte zur Verfügung stehen müssen, dass Zugang zu Arbeitsmarkt oder Teilnahme am Schulunterricht geklärt sind.

Bei einer möglichen Auflösung derzeitiger Massenunterkünfte in der Ukraine sollte die spezifische Situation der Roma mitgedacht werden. Dabei muss überlegt werden, wie bei einem Wohnungsbauprogramm für Intern Vertriebene, möglichen antiziganistischen Einstellungen begegnet werden kann und sichergestellt werden kann, dass auch intern vertriebene Roma von möglichen Bauvorhaben profitieren können.

Wenn entsprechende Unterstützungsmaßnahmen durchgeführt werden, muss aber auch an die Roma und andere vulnerable Gruppen gedacht werden, die nicht geflüchtet waren. In der Ukraine selbst müssen zudem die intern vertriebenen Roma berücksichtigt werden, die bereits in 2014 aus ihren Heimatorten vertrieben worden sind.

Entsprechende Maßnahmen werden nicht erst in der Zukunft geplant und umgesetzt. Bereits heute müssen Lösungen für Intern Vertriebene gefunden werden und das muss intern vertriebene Roma mit einschließen. Da diese Maßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit durch externe Geldgeber finanziert werden, müssen auch diese bereits jetzt sensibilisiert werden.

Das zweite Szenario wäre, dass die Geflüchteten für immer in ihren Gastländern bleiben, da eine Rückkehr nicht möglich ist. Dann müssen geflüchtete Roma in alle den Geflüchteten zur Verfügung stehende Maßnahmen einbezogen werden. Allerdings zeigen auch hier die Erfahrungen der letzten Jahre, dass Deutschland und alle EU Mitgliedsstaaten alle Anstrengungen unternommen haben, um Roma abzuschieben. Egal ob sie sich schon ein Leben im Aufnahmeland aufgebaut hatten oder ob ein Leben in ihrem Herkunftsland möglich war – sie wurden abgeschoben.

 

 

 

Forderungen an die Deutsche Bundesregierung

Deutschland muss, auch aus seiner historischen Verantwortung gegenüber den ukrainischen Roma heraus, eine umfassende Unterstützung leisten, die sowohl Roma, die in der Ukraine verblieben sind als auch diejenigen Roma, die aus der Ukraine flüchten mussten, miteinbezieht.

Internationale Ebene

Programme und Projekte, finanziert durch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ),  zur Unterstützung der Ukraine, z.B. für Intern Vertriebene oder humanitäre Projekte, aber auch für geflüchtete Personen aus der Ukraine in Moldau, müssen Roma miteinbeziehen.

Deutschland soll auf die ukrainischen Verantwortlichen einwirken, dass Übergriffe auf Roma verurteilt werden und dass Roma als ein integraler Bestandteil der ukrainischen Gesellschaft angesehen werden.

In der Ukraine leben noch Überlebende des Völkermordes an Sinti und Roma, sowie auch viele Nachkommen von Holocaust Überlebenden. Gerade gegenüber diesen Familien sollte es eine Verpflichtung für Deutschland sein, diese Familien zu unterstützen und wenn sie es wollen, sie in Deutschland aufzunehmen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen der Roma und pro-Roma Organisationen sollten dabei unterstützt werden,  die Situation der geflüchteten Roma an den Grenzübergängen von der Ukraine zu ihren Nachbarländern, aber auch an den Grenzen zu Deutschland sowie in den Aufnahmezentren regelmäßig und durchgehend zu überwachen (Monitoring). Das regelmäßige Monitoring soll nicht nur mögliche Diskriminierungen identifizieren, sondern auch die Bedarfe der geflüchteten Roma zu identifizieren.

Nationale Ebene

Deutschland sollte deutlich feststellen, dass auch Roma aus der Ukraine, die nie Papiere besessen haben, unter die Regelung der Vorläufigen Schutzgewährung fallen.

Es muss sichergestellt werden, dass Roma in allen Maßnahmen einbezogen sind, die in Deutschland zur Unterstützung der geflüchteten Personen aus der Ukraine durchgeführt werden.

Mit verantwortlichen Personen in der Aufnahme und Unterstützung von geflüchteten Personen aus der Ukraine sollen Workshops oder Trainingsprogramme zur Vermeidung von Antiziganismus angeboten werden.

Um ein besseres Verständnis zwischen geflüchteten Roma und den Behörden zu ermöglichen, sollte die Einbeziehung von „Sprachmittlern“ ein Betracht gezogen werden. Jahrhundertelanger Antiziganismus haben bei vielen Roma dazu geführt, dass sie wenig Vertrauen in Behörden haben. Die „Sprachmittler“ könnten helfen, diese Widerstände zu überwinden.   

   

 

 

 

Allgemeine Hintergrundinformationen

Roma leben seit dem 15. Jahrhundert auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Die genaue Zahl der Roma in der Ukraine ist nicht bekannt. Der Volkszählung von 2001 zufolge, haben 47.600 Personen sich als Roma bezeichnet. Nach Schätzungen sollen aber bis zu 400.000 Roma in der Ukraine leben.

Die größte Gruppe lebt wohl im Oblast Transkarpatien mit laut Volkszählung ca. 14.000 Personen; nach Angaben der NGO Chirikli sollen es bis zu 70.000 sein. Roma leben aber in nahezu allen Landesteilen. In den Oblasten Donezk und Odessa wird die Zahl auf jeweils 20.000 geschätzt, in Luhansk auf 11.630, in Charkiw auf 10.000), in Kiev auf 6.400, in Dnjepropetrowsk auf 6.200, in Tscherkassy auf 5.140 und in Poltawa auf 4.205.

Wie in den meisten Ländern sind die Roma in der Ukraine keine homogene Gruppe. Vielmehr gibt es beträchtliche Unterschiede was Sprache, Geschichte, Kultur, Tradition, Religion, Beruf der Vorfahren oder Zeit der Ansiedlung anbelangt. Dabei spielt die geschichtliche Zugehörigkeit der jeweiligen Gebiete, in denen sie leben, eine wichtige Rolle bis heute.

Die Situation der Roma der Region Transkarpathien kann als Beispiel dafür dienen. Die Region gehörte einst zu Ungarn und noch heute lebt eine größere ungarische Minderheit in der Region. Die Geschichte dieser Region bestimmt noch heute Sprache, Kultur und Leben der Roma. Viele sprechen kein Romani mehr, sondern sprechen als erste Sprache Ungarisch und ihre Kultur und Traditionen sind stark durch diese Geschichte geprägt. Gründe dafür reichen weit in die Geschichte Österreich-Ungarns zurück, als Roma zwangsangesiedelt und „zwangsmagyarisiert“ wurden, was soweit führte, dass Eltern ihre Kinder weggenommen wurden und diese zu ungarischen Bauern gebracht wurden.

Viele Roma zählen sich trotzdem auch als den Ungarn zugehörig und haben sich in der Volkszählung als Ungarn deklariert. Kinder besuchen ungarisch-sprachige Schulen und die Umgangssprache ist oft Ungarisch.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch einen starken Antiziganismus gegenüber Roma von Seiten der Ungarn (und Ukrainer) in dieser Region.  Auch haben viele der Roma, die in dieser Region leben, ungarische Pässe. Die Ungarische Regierung hat in den letzten Jahren wohl ca. 1 Million Staatsbürgerschaften an Personen in der Ukraine, Rumänien, Serbien, Slowakei etc vergeben, die selbst heute in Gebieten wohnen, die einst zu Ungarn gehörten bzw. deren Vorfahren einst die ungarische Staatsbürgerschaft hatten.

Antiziganismus in der Ukraine

Gewalt gegen Roma

Roma in der Ukraine stehen vor den selben Problemen wie alle Roma in Europa. Ein weit verbreiteter Antiziganismus, der in den letzten Jahren auch zu mehreren Gewalttaten gegenüber Roma geführt hat, in deren Verfolgung auch die Strafbehörden nicht immer mit gebotener Konsequenz handelten. Vor allem waren es Rechtsextreme oder gewaltbereite Gruppen, die ganze Familien oder gar Siedlungen angegriffen haben.

Vor allem im Westen der Ukraine kam es zu mehreren rassistischen Überfällen auf Roma, insbesondere in den Jahren 2018 und 2019 gab es mehrere Überfälle durch Rechtsradikale auf Roma.

Am 23. Juni 2018 stürmte eine Gruppe von Männern, die mit Messern bewaffnet waren, ein Zeltlager von Roma. Sie forderten die Roma auf, das Lager zu verlassen und zerstörten die Zelte und das Eigentum der Roma. Sie griffen auch die Menschen an und ermordeten David Popp, einen 24 Jahre alten Mann und verwundeten vier weitere Personen, darunter einen zehnjährigen Jungen.

In diesem Fall hat nach Angaben des ERRC die Polizei aber angemessen reagiert und acht Personen wurden festgenommen

 

Gesellschaftlicher Ausschluss

Darüber hinaus haben der jahrhundertelange Antiziganismus zu Diskriminierung und gesellschaftlichen Ausschluss geführt. Ein großer Teil der Roma ist arbeitslos, viele sind ohne Berufsausbildung, die Lebensumstände vieler sind sehr schlecht und Diskriminierung im Schulwesen oder Gesundheitswesen oder Arbeitsmarkt sind alltäglich.

Auf einem Forum im Mai 2021, fasste die Menschenrechtskommissarin des Ukrainischen Parlaments, Liudmyla Denisov, die Diskriminierung der Roma in der Ukraine wie folgt zusammen:

  • Unmöglichkeit Transfermaßnahmen zu erhalten, einschließlich Unterstützung für Personen mit geringem Einkommen (v.a. für Personen, die keine Dokumente besitzen)
  • Schlechteren Zugang zu Gesundheitsdiensten
  • Vernachlässigung der spezifischen Situation der Kinder im Schulwesen; v.a. da viele Kinder bei der Einschulung kein Ukrainisch bzw. das Ukrainische Alphabet nicht beherrschen (wenn ich noch hinzufügen kann: oder keine Dokumente
  • Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit
  • Ungenügende Information durch die Behörden über ihre Rechte als ukrainische Staatsbürger

Viele Roma leben in Stadtteilen oder Vierteln unter sich und nicht gemeinsam mit anderen Gruppen. Oft sind es Substandard Häuser oder sie sind nicht legalisiert, d.h. die Bewohner haben keinen Eigentumstitel und können jederzeit zwangsevakuiert werden.  

Viele Roma Kinder besuchen keine Schule, in vielen Fällen, da ihre Eltern keine Dokumente für sie haben oder sie wurden in Sonderschulen bzw. Sonderklassen für Kinder mit Behinderungen oder in segregierte Klassen nur für Roma geschickt, in denen in der Regel weniger Lehrstoff vermittelt wird.

In einem solchen Fall von Segregation wurde Ende April 2022 die Stadtverwaltung von Uzhgorod in der Westukraine durch ein Gericht in zweiter Instanz. Verurteilt. Eine Romni hatte dagegen geklagt, dass ihr Kind in eine segregierte Schule nur mit anderen Roma Kindern gehen sollte, die schlechter ausgestattet war und in der weniger Lehrstoff vermittelt worden ist. Die Mutter hat gegen die Segregation geklagt, da sie die bestmögliche Ausbildung für ihr Kind möchte. Das Gericht gab ihr jetzt in zweiter Instanz Recht.

Ein großes Problem ist auch, dass noch immer noch viele Roma nicht über alle notwendigen Dokumente verfügen (von Geburtsurkunde bis zum Reisepass). Letzteres bereitet nun vielen Menschen Probleme, da sie ohne Dokumente Schwierigkeiten haben können, die Ukraine zu verlassen bzw. in ein anderes Land einzureisen.

Auf der anderen Seite gibt es viele erfolgreiche Roma mit guter Ausbildung und guten Berufen, die ihre Identität auch nicht verstecken. Es gibt gewählte Stadtverordnete der Roma, Anwälte, Musiker, Handwerker etc.

 

 

 

Berichte und Artikel zu Roma und Ukraine in Krieg

Situation in der Ukraine

http://www.romea.cz/en/news/world/romani-activist-from-ukraine-the-rights-of-romani-people-are-neglected-and-they-are-persecuted-russia-takes-advantage-of

http://www.romea.cz/en/news/world/exclusive-to-romea-tv-interview-with-romani-soldiers-serving-in-the-army-of-ukraine-at-the-front

http://www.romea.cz/en/news/czech/romani-refugee-from-ukraine-my-husband-is-defending-the-nuclear-plant-in-zaporozhzhia?fbclid=IwAR35AeLp85OfEQv_neAcIKM9sVkOKlcqv-1BMYIkZ90Q1cxd5D5W6_tKMyc#.Yi3CqjecJm4.facebook

https://www.aljazeera.com/news/2022/4/26/ukraines-persecuted-roma-community-joins-war-effort?sf163923168=1

https://www.evangelisch.de/inhalte/200637/04-05-2022/un-women-krieg-fuer-frauen-und-minderheiten-ukraine-verheerend

http://www.errc.org/press-releases/ukrainian-court-rules-for-romani-family-against-school-segregation

https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/504481

https://www.osce.org/files/f/documents/c/c/124494.pdf

Situation in Nachbarländern

https://english.radio.cz/ngo-boss-only-roma-refugees-are-subjected-long-procedures-8751424  

https://www.deutschlandfunk.de/human-rights-watch-wirft-moldau-diskriminierung-von-roma-fluechtlingen-aus-der-ukraine-vor-104.html  

https://www.theguardian.com/global-development/2022/may/25/they-wont-accept-us-roma-refugees-forced-to-camp-at-prague-train-station

https://text.npr.org/1098489307

https://www.szabadeuropa.hu/a/uton-hova-vonatoznak-az-ukrajnai-roma-menekultek-/31854920.html

https://taz.de/Ukraine-Gefluechtete-in-Tschechien/!5852177/

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/tschechien-roma-fluechtlinge-101.html

https://euobserver.com/world/154968

https://nepszava.hu/3156985_szijjarto-peter-nato-orosz-ukran-haboru-finnorszag-svedorszag

https://telex.hu/belfold/2022/05/09/orosz-ukran-haboru-menekultek-menedekes-statusz-magyar-helsinki-bizottsag-budapest-migration-aid

https://index.hu/belfold/2022/04/08/a-romak-a-romakat-segitik-a-vilagnapjukon/

http://www.romea.cz/en/news/czech/prague-mayor-tells-czech-govt-that-if-refugees-are-not-redistributed-elsewhere-in-the-country-by-tuesday-he-will-close-the

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http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-police-seem-to-prevent-romani-refugees-from-disembarking-at-station-but-say-they-just-informed-them-there-is-no  

http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-president-calls-romani-refugees-from-ukraine-economic-migrants

http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-interior-minister-and-romani-ngos-agree-on-closer-collaboration-to-aid-romani-refugees-from-ukraine

http://www.romea.cz/en/news/czech/mayor-of-czech-republic-apos-s-second-city-alleges-romani-refugees-sleeping-in-the-train-station-can-access-benefits-in

http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-republic-apos-s-second-city-sees-romani-refugees-from-ukraine-sleeping-in-train-station-after-refusing-detention

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https://edition.cnn.com/videos/world/2022/04/14/russia-ukraine-roma-refugee-kyung-lah-pkg.cnn

https://www.euractiv.de/section/antidiskriminierung/news/diskriminierte-ukrainische-roma-fluechtlinge-kehren-zurueck-ins-kriegsgebiet/

https://www.aljazeera.com/news/2022/3/7/ukraines-roma-refugees-recount-discrimination-on-route-to-safety

https://www.medico.de/blog/romnja-erleben-rassismus-und-diskriminierung-18590

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/fluechtende-roma-aus-der-ukraine-beschimpft-und-beschaemt

http://www.romea.cz/en/news/czech/in-czech-republic-the-hungarian-passports-held-by-some-romani-refugees-from-ukraine-have-not-proved-to-be-an-advantage

http://www.romea.cz/en/news/czech/romani-ukrainian-refugees-refused-housing-and-registration-in-czech-republic-and-sent-to-germany

http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-regional-governors-accuse-romani-refugee-ukrainians-of-abusing-aid-in-the-czech-republic  

http://www.romea.cz/en/news/czech/romani-refugees-segregated-in-a-czech-center-and-discriminated-against-regional-governor-accuses-them-of-theft-police-say

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http://www.romea.cz/en/news/czech/romani-refugees-from-ukraine-pass-through-czech-republic-on-their-way-to-germany-tell-those-aiding-them-that-putin-is  

http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-bus-drivers-for-refugees-from-ukraine-refuse-to-rescue-romani-refugee-mothers-and-children-stuck-on-the-slovak-border

http://www.romea.cz/en/news/world/council-of-europe-commissioner-for-human-rights-roma-fleeing-ukraine-frequently-face-discrimination-and-prejudice

http://www.errc.org/news/ukrainian-roma-face-segregation-poor-conditions-and—without-documentation—nowhere-to-go

https://ungarnheute.hu/news/ukrainische-staatsbuerger-mit-ungarischem-pass-koennen-in-der-tschechischen-republik-keine-hilfe-erwarten-42983/   

http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-and-romani-activists-aid-hundreds-of-romani-refugee-ukrainians-with-traveling-on-to-countries-that-are-less#.Yl-0cvUDaYM.facebook

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https://www.facebook.com/photo.php?fbid=2824633004348950&set=a.326718040807138&type=3

https://fra.europa.eu/en/publication/2022/eu-ukrainian-border-check-points-first-field-observations#publication-tab-1

https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/ukraine-fluechtlinge-diskriminierung

Situation in Deutschland

https://www.bild.de/bild-plus/regional/muenchen/muenchen-aktuell/muenchen-polizeiangehoerige-packt-aus-grossfamilien-randalieren-im-fluechtlingsh-79607276.bild.html

https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/stadtviertel/bericht-aus-der-fluechtlingsunterkunft-in-riem-es-gibt-zwei-stockwerke-unten-ist-die-hoelle-los-art-811940

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bahn-mannheim-zentralrat-diskriminierung-von-roma-aus-ukraine-bei-bahn-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220330-99-733702

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/ukrainische-roma-kriegsfluechtlinge-suchen-zuflucht-in-freiburg-110.html

Hintergrund

https://www.ua.undp.org/content/ukraine/en/home/presscenter/stories/2022/undp-supports-free-legal-aid-to-roma-community-in-kharkiv-oblast.html

https://www.osce.org/files/f/documents/8/5/387182.pdf

https://ukraine.un.org/en/106824-about-30000-roma-ukraine-have-no-documents-story-roma-activist

https://www.coe.int/en/web/kyiv/national-minorities/-/asset_publisher/i6ydYw6ljGNc/content/discussion-of-the-future-roma-strategy-in-ukraine?inheritRedirect=false

https://rm.coe.int/almanac-engl-09-09-21-a4/1680a3c848

https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2019/05/MRG_Rep_Ukraine_EN_Apr19.pdf

https://www.csce.gov/international-impact/events/attacks-roma-ukraine

http://womenua.today/UWC-library/unwomen/26-ROMA_eng.pdf

https://www.cambridge.org/core/journals/nationalities-papers/article/babi-yar-and-the-nazi-genocide-of-roma-memory-narratives-and-memory-practices-in-ukraine/DF98FCF821384B0FDCE6A437D70F2ACA

https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/09beb886-en.pdf?expires=1653889046&id=id&accname=guest&checksum=9CE6D0E4DF5ABBCC3A9674033062162E

 

 

 

Webseite „Support Roma in Ukraine“ zur Sammlung aller Informationen

Das internationale Roma Jugendnetzwerk ternYpe hat eine Webseite erstellt, auf der alle wichtigen Informationen zur Situation der Roma in der Ukraine gesammelt werden. Sie finden  dort u.a. Informationen darüber, wie Sie spenden können, welche solidarischen Initiativen es gibt und wie sich die Situation besonders derjenigen Menschen darstellt, die ohne Papiere sind, wovon in der Ukraine besonders Roma betroffen sind. Die Website (Padlet) ist eine Pinnwand, auf der jede/r neue Informationen veröffentlichen kann:

https://padlet.com/ternype/support_roma_ukraine

Notfallfonds für Roma in der Ukraine

Ukrainische Roma-Organisationen haben sich mit anderen europäischen Roma-Netzwerken zusammengeschlossen, um einen „Notfallfonds für Roma in der Ukraine“ einzurichten. Ziel dieses Fonds ist es, den Roma den gleichen Zugang zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen wie dem Rest der Bevölkerung, insbesondere durch die Bereitstellung von finanzieller Soforthilfe für Evakuierung, Notunterkünfte und grundlegende humanitäre Hilfe.

Bislang beteiligte Partner: Chiricli, ARCA, ERGO, ERRC, ERIAC, ternYpe, Phiren Amenca, Zentralrat/Dokuzentrum. ARCA und Chiricli sind bereits dabei, die Hilfe so weit wie möglich in der Ukraine zu verteilen. Wenn Sie von Menschen in Not wissen, wenden Sie sich bitte an ARCA und Chiricli:

ARCA: Vova Yakovenko:  yngo.arca@gmail.com

https://www.facebook.com/YNGO.ARCA

Chiricli: Ana Rozanova (ERGO Network): a.rozanova@ergonetwork.org 

Fundraising-Kampagnen:

Ziel dieser Kampagne ist es, Mittel zu sammeln, um sicherzustellen, dass Roma-Kinder und -Jugendliche den gleichen Zugang zu humanitärer Hilfe erhalten wie die übrige Bevölkerung.

Weitere Möglichkeiten zu spenden:

ERGO: 
https://chuffed.org/project/ukraine-help-roma-access-humanitarian-aid

ERGO und ternype/Phiren Amenca und das Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma  haben bereits jeweils 10.000 € für den „Notfallfonds“ (siehe oben) gesammelt. Das scheint viel zu sein, aber es ist wahrscheinlich nur sehr wenig Geld, um Hunderte oder Tausende von Menschen in den kommenden Wochen und Monaten zu unterstützen. Bitte unterstützen Sie die Kampagnen und machen Sie so viel Werbung wie möglich.

Das European Roma Grassroots Organisations Network (ERGO) hat eine gemeinsame politische Erklärung verfasst, die Sie hier online finden können: 
https://ergonetwork.org/2022/03/joint-statement-end-the-war-against-ukraine/

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