Unmenschlichkeit beenden – Keine Abschiebung von nach Deutschland geflüchteten Roma in ihre Herkunftsstaaten

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma forderte den Innenminister Niedersachsens, Boris Pistorius, in einem Brief dazu auf, ein in Celle geborenes, schwerbehindertes sechsjähriges Kind, das im Juli 2021 mit seiner alleinstehenden Mutter nach Serbien abgeschoben worden ist, nach Deutschland zurückzuholen. In Serbien wird das Kind kaum die benötigte Betreuung und Behandlung erhalten können. Generell fordert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma einen Abschiebestopp für Roma aus den Westbalkanstaaten. Gleichzeitig muss es ein verstärktes Engagement Deutschlands bei der Bekämpfung des Antiziganismus in den Staaten des Westbalkans geben. 

Das 2015 in Celle geborene Mädchen leidet unter einer schweren Hörminderung mit verbundener Spracherwerbsstörung, einer Mikrozephalie und einer Hüftdysplasie. Das Landessozialamt hatte deswegen bei ihm einen Grad der Behinderung von 90 Prozent festgestellt. Darüber hinaus war das Celler Jugendamt für das Mädchen seit mehren Jahren zur Unterstützung der Mutter als Ergänzungspflegerin für den Bereich der Gesundheitsfürsorge eingesetzt.  Die Mutter war in psychiatrischer Behandlung und ist Analphabetin und war daher auf Unterstützung angewiesen. Nach ihrer Abschiebung nach Serbien, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass das Kind in Serbien die benötigte Betreuung und Behandlung erhalten wird, die es in Deutschland bekommen hat.

Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose hat daher in einem Brief an den Innenminister des Landes Niedersachsen, Boris Pistorius, die sofortige Rückholung des Kindes und seiner Mutter nach Deutschland gefordert und dabei noch einmal betont, dass es unabhängig von der tatsächlichen rechtlichen Situation unmenschlich ist, wenn ein 2015 in Celle geborenes und schwer behindertes Kind nach Serbien abgeschoben wird.

Diese inhumane Abschiebung steht in einer Reihe von weiteren anderen. Im Juni wurde ebenfalls aus Niedersachsen ein Ehepaar, das eigentlich aus dem Kosovo stammt und seit 30 Jahren in Deutschland gelebt hat, nach Serbien abgeschoben. Sie wurden in ein Land abgeschoben, das sie nicht kennen und zu dem keine Verbindungen bestehen.

Im März 2021, starb ein 62-jähriger Mann im Kosovo, nachdem er im Oktober mit seiner Ehefrau  trotz schwerer Erkrankungen und trotz Warnungen, dass eine Gesundheitsversorgung nicht gewährleistet werden kann, von deutschen Behörden aus Baden-Württemberg in den Kosovo abgeschoben. Seine sechs Kinder, 17 Enkel und ein Urenkel leben in Deutschland. Er lebte 29 Jahre hier. Er verstarb, weil er im Kosovo eine adäquate medizinische Versorgung nicht erhalten konnte.

Dies sind drei von vielen Fällen, in den es in unverständlicher und unmenschlicher Weise zu Abschiebungen von Roma in Staaten des Westlichen Balkans gekommen ist. Um Exempel zu statuieren, werden Menschenleben riskiert bzw. sogar der Verlust von Menschenleben in Kauf genommen.

2019 hatte der Deutsche Bundestag die Unabhängige Kommission Antiziganismus (UKA) eingesetzt, die ihren Bericht mit umfassenden Empfehlungen im Juni 2021 im Bundestag vorgestellt hatte. Die Bundesregierung wird im Bericht der UKA u.a. dazu gefordert, die Einstufung der Westbalkanstaaten als sogenannte sichere Herkunftsstaaten zu beenden und einen Abschiebestopp für Roma aus dem Westbalkan einzuführen.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert die Deutsche Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer dazu auf, Abschiebungen von Roma in ihre Herkunftsstaaten wie auch die Einstufung der Westbalkanstaaten als sogenannte sichere Herkunftsstaaten zu beenden. Stattdessen muss die Integration der Roma-Flüchtlinge in Deutschland vorangebracht werden. Parallel dazu muss sich Deutschland verstärkt für eine Verbesserung der Lage der Roma in ihren Herkunftsstaaten einsetzen.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma engagiert sich gemeinsam mit Partnerorganisationen der Roma in den Ländern des Westlichen Balkans dafür, dass der Antiziganismus ernsthaft und konsequent bekämpft wird.  Neben der Bekämpfung des Antiziganismus ist es jedoch ebenso wichtig, Roma einen gleichberechtigten Zugang zu qualifizierten Arbeitsmöglichkeiten und qualifizierter Ausbildung  zu ermöglichen. Bekämpfung des Antiziganismus und sozio-ökonomische Inklusionsmaßnahmen müssen immer Hand in Hand gehen, um erfolgreich und nachhaltig zu sein.

Deutschland muss dabei größere Verantwortung übernehmen. Arbeitsplätze und qualifizierte Berufsausbildung muss in den Ländern des Westbalkans ebenso möglich sein wie in Deutschland. Die sog. „Westbalkan Regelung“, die Staatsangehörigen der Staaten im Westbalkan einen leichteren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht, wird viel zu wenig dazu benutzt, um Roma aus dem Westbalkan einen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt in Deutschland zu ermöglichen.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert daher, dass sich Deutschland in allen genannten Bereichen stärker engagiert, um die Situation der Roma in ihren Herkunftsländern im Westbalkan nachhaltig zu verbessern – ohne dass dies zum Vorwand genommen wird, Roma in ihre Herkunftsländer abschieben zu können. Die Bundesregierung muss die Existenz von Antiziganismus und kumulativer Diskriminierung auch in diesen Staaten anerkennen, aus denen Roma nach Deutschland geflüchtet sind und ihren Beitrag dazu leisten, dass der Antiziganismus auch in den Ländern im Westbalkan bekämpft wird