„Dann wieder der Beamte: Es gibt keine Nazis in der Stadt“
Ein schweres Buch. Ein Buch, dem man anfühlt, wie schwer die Recherche, das Schreiben gewesen sein muß. Denn die Nachkriegszeit in Deutschland, jene Zeit, in der die Opfer der NS-Verfolgungen, wenn sie Kommunisten waren oder Sinti oder Roma, selbst wenn sie Juden waren, immer wieder aufs Neue ausgegrenzt wurden. Ursula Krechels drittes Buch über Nationalsozialismus und Nachkriegsgeschichte in Deutschland bringt die Geschichte unterschiedlicher Menschen, unterschiedlicher Familien in Trier zusammen, eine davon, die Hauptprotagonisten, ist die Familie Dorn. Andere sind Kommunisten, wieder andere sind auf der Seite der Täter, Mitläufer, aber auch Polizisten, die die Anordnungen zur Deportation der Familie Dorn mit der gleichen Sorgfalt befolgen wie sie Dienst nach dem Krieg tun.
Die Familie Dorn, Trierer Sinti, erwirtschaftet als Schausteller ein gutes Einkommen – bis mit den Nazis sich die Welt radikal verändert. Ursula Krechel erzählt ihre Beobachtungen in einer Sprache, die jedes Detail berichtet und mit dieser Berichtssprache gibt sie gleichzeitig der stummen Verzweiflung der Opfer Ausdruck. Alfons Dorn und seinen Schwager verschleppen die Nazis in Berlin in das Zwangslager Marzahn, nachdem sie auf der Schausteller-Messe keine der neuen „Autoscooter“ kaufen konnten. „“Ich verkaufe nicht, sagte der Mann noch einmal, nicht an Zigeuner“.
Aus dem Zwangslager fliehen beide zurück nach Trier. Dann aber können die beiden, die zuvor immer zusammengearbeitet hatten, immer gemeinsam Ideen entwickelten, nicht mehr miteinander reden. „Doch sie mieden sich, sie hatten sich in der Erniedrigung gesehen.“
Es folgen die Mai-Deportation von 1940, die Familie wird in den Kölner Messehallen zusammengepfercht, schließlich Auschwitz-Birkenau.
Und dann die Nachkriegszeit. Eindringlich geschildert werden die Traumatisierungen der Elterngeneration, der älteren Geschwister. Entschädigung, die verweigert wird, und unausgesetzt der Generalverdacht gegen die gesamte Minderheit. Dann kommt das Wirtschaftswunder, aber die Verwundungen der Opfer bleiben.
Alles wird vom Ich-Erzähler, Bernhard Blank, berichtet. Er ist Lehrer und Sohn der Figur MEIN VATER, die an allen Verfolgungen von Sinti wie von Kommunisten beteiligt ist, als Schutzpolizist bei der Erfassung, Zwangsterilisation und Deportation bis hin zu den Einsatzgruppen im Osten und den Vernichtungslagern in Lublin und Belzec. In der Grundschulklasse sitzen die Kinder der Opfer wie der Täter wieder zusammen.
Eines der im Konzentrationslager geborenen Kinder kauft den stillgelegten Bahnhof in Trier und eröffnet ein Restaurant, das von Neonazis demoliert wird. Nachdem er herausfindet, wer die Täter sind und er die Namen der Täter bei der Polizei nennt, kommt die Antwort : „Es gibt keine Nazis in der Stadt“.
Ursula Krechel hat ein schweres, ein beklemmendes Buch über die die deutsche Gesellschaft geschrieben, und endlich einmal stehen Sinti im Zentrum eines solchen Erzählung, und zwar in all der Normalität, die vor 1933 bestand, die während der zwölf Jahre der Nazi-Herrschaft für Sinti vollständig zerstört wurde, und die nicht wieder hergestellt werden kann.
Ursula Krechel: Geisterbahn. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2018. 643 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783990272190