Menschenrechtsabkommen wie die Anti-Rassismus-Konvention der Vereinten Nationen sollen Menschen vor rassistischer Diskriminierung schützen – auch im politischen Wahlkampf. Mit Parolen wie „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ warb die NPD vor der letzten Bundestagswahl auf Wahlplakaten um Stimmen und platzierte zur Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011 ihren Plakat-Slogan „Gas geben“ auch vor dem Jüdischen Museum. Die Bundestagswahl 2017 findet in einer weiter zugespitzten politischen Situation statt: In Deutschland und in anderen europäischen Ländern sind Parteien erstarkt, die offen rassistisch auftreten.
Die „Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ hat in einer „Erklärung zur Nutzung rassistischer Elemente im politischen Diskurs“ bereits im Jahr 2005 vor der Trivialisierung und Legitimierung rassistischer Positionen gewarnt und die politischen Parteien dazu aufgerufen, sich klar gegen rassistische Stimmungsmache zu positionieren. Wie aber können Politik und Zivilgesellschaft angemessen auf antiziganistische, antisemitische, antimuslimische und andere menschenverachtende Parolen reagieren? Wann und wie muss der Staat aktiv werden, um die Bevölkerung vor rassistischer Hetze zu schützen, ohne die Meinungsfreiheit unzulässig einzuschränken? Diese Fragen diskutierten Vertreter_innen aus Politik, Wissenschaft und Verbänden auf Einladung des Deutschen Instituts für Menschenrechte, des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma am 27. Juni 2017 im Deutschen Bundestag.
Wie umgehen mit rassistischer Hetze auf Bundesebene?
„Die Hemmschwellen des Sagbaren sind in den letzten Jahren immer niedriger geworden“, konstatierte Cemile Giousouf, Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Wir müssen parteiübergreifend jede rassistische Tat ernst nehmen und Farbe bekennen.“ Die Politikerin wies darauf hin, dass sich die Parteien mit zwei Fragen auseinandersetzten: „Wie enttarnen wir die autoritären Ziele der AfD und zeigen ihre wahren Absichten? Gleichzeitig muss man sich auch überlegen, wie die eigene Politik besser kommuniziert wird.“ Wichtig sei, dass man als Politiker nie das Podium mit AfD-Politikern meide, sondern sich mit ihnen auseinandersetze und zu rassistischen Äußerungen Stellung beziehe.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby verwies auf die zahlreichen internationalen Abkommen zum Menschenrechtsschutz, denen Deutschland beigetreten ist. Der Kampf gegen rassistische Stimmungsmache im Wahlkampf gehe alle an. „Politikerinnen und Politiker müssen sich öffentlich von Antidemokraten abgrenzen, eine klare Haltung zu rassistischen Hassreden und körperlichen Übergriffen beziehen und auch demokratiefeindliche Äußerungen von eigenen Parteimitgliedern zum Thema machen“, positionierte sich Diaby. Ebenso wichtig sei die Förderung der Demokratie mit staatlichen Mitteln, zum Beispiel durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“.
Meinungsfreiheit versus Schutz vor Diskriminierung
Im Bundestagswahlkampf 2013 hatten mehrere Städte, darunter die Stadt Gießen, die antiziganistischen, also gegen Sinti und Roma gerichteten, Wahlplakate der NPD als volksverhetzend eingeschätzt und entfernen lassen. Doch die Verwaltungsgerichte sahen den Straftatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt und verpflichteten die Städte, die Plakate wieder aufzuhängen.
Herbert Heuß, wissenschaftlicher Leiter beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zitierte in diesem Zusammenhang den Zentralratsvorsitzenden Romani Rose: „Beim Anblick solcher Wahlplakate haben wir das Gefühl, vom Staat, auf dessen Schutz wir nach über 60 Jahren Demokratie glaubten vertrauen zu können, erneut im Stich gelassen zu werden.“ In der Diskussion forderte Heuß die Bundesregierung dazu auf, antiziganistische Äußerungen und Handlungen stärker zu sanktionieren. Ebenso forderte er die auf Bundesebene „längst überfällige“ Einrichtung einer Expertenkommission zum Thema Antiziganismus.
Die Rechtsprofessorin Stefanie Schmahl von der Universität Würzburg referierte in ihrem Vortrag über das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz vor rassistischer Diskriminierung. Sie hob hervor, dass in pluralistischen Gesellschaften der Einzelne verbale Kränkungen durch andere aushalten müsse. Wenn aber Menschen auf systematisch und flächendeckend verbreiteten Wahlplakaten rassistisch herabgesetzt würden, sei dies ein Angriff auf die Menschenwürde und rechtlich nicht hinnehmbar. Bei den NPD-Plakaten hatten die Richter_innen 2013 allein auf Grundlage des deutschen Strafrechts entschieden. Allerdings hätten sie, so die Einschätzung von Stefanie Schmahl, menschenrechtliche Vereinbarungen, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Anti-Rassismus-Konvention der Vereinten Nationen, bei der Urteilsfindung berücksichtigen müssen.
Gegenstrategien gegen Hassrede im Wahlkampf
Wie Kommunen mit antiziganistischen, antisemitischen, antimuslimischen und anderen menschenverachtenden Wahlplakaten umgehen können, hat unter anderem die Stadt Gießen 2013 mit ihrem Protest gegen die sinti- und romafeindlichen Wahlplakate der NPD gezeigt: Ein überparteiliches Bündnis aus Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung hatte ein Gegenplakat entworfen und aufhängen lassen. „Gegen Rassismus und Populismus müssen wir immer, besonders aber in Wahlkampfzeiten, parteiübergreifend zusammenstehen und die Zivilgesellschaft mobilisieren“, sagte die Gießener Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz bei der Podiumsdiskussion.
Marina Chernivsky von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland plädierte dafür, Themen wie dem Antiziganismus oder Antisemitismus eine hohe Relevanz beizumessen und sie als gegenwärtige Phänomene mit weitreichenden Konsequenzen zu betrachten. „Es bleibt leider nicht mehr auf der Ebene der Haltungen, sondern geht längst ins Handeln über.“ Sie unterstrich die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Aufklärungs- und Bildungsarbeit in der deutschen Justiz, in Verwaltungsbehörden, Polizeistellen und Schulen. „In Sachen Rassismus und Antisemitismus gibt es eine Menge Nachholbedarf“, sagte Chernivsky. „Wir alle haben rassistische Bilder im Kopf.“ Deshalb sei es wichtig, sich auch in der Mitte der Gesellschaft kritisch mit Rassismus auseinanderzusetzen.
Damit die Justiz Rassismus als solchen erkennen könne, sei eine Sensibilisierung und Qualifizierung deutscher Gerichte unabdingbar, empfahlen neben Marina Chernivsky auch Herbert Heuß und Stefanie Schmahl zum Abschluss der Debatte. Vor allem in der Justiz müsse mehr Aufklärungsarbeit dazu geleistet werden.
Durch die Debatte führte Petra Follmar-Otto, Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft der Bundestagsabgeordneten Cemile Giousouf und Karamba Diaby.
(G. Zečić-Fehren)
–> Audio-Mitschnitt der Podiumsdiskussion
–> Foto-Gallerie der Veranstaltung
–> Audiomitschnitt des Vortrags von Frau Prof. Dr. Stephanie Schmahl
–> Vortrag von Frau Prof. Dr. Stephanie Schmahl: „Zum Umgang mit rassistischen Wahlkampfplakaten“
–> Impulsreferat des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma: „Rassistische Hetze im Wahlkampf“
Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte
Verwandte Veranstaltungen:
Unter den Linden 71, Raum 123, 10117 Berlin