Zeichen setzen in Zeiten eines wachsenden Antiziganismus – Bundesarchiv und Zentralrat Deutscher Sinti und Roma schließen Kooperationsvereinbarung

Das Bundesarchiv und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma haben eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. Am 1. September unterzeichneten Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, und Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs, die Vereinbarung in Heidelberg. Damit soll in Zeiten eines wachsenden Antiziganismus in der Gesellschaft ein Zeichen gesetzt und gleichzeitig die Aufklärung über die nationalsozialistische „Rassenforschung“ weiter verbessert werden. In Erinnerung an die im nationalsozialistisch besetzten Europa ermordeten rund 500.000 Sinti und Roma wurde zuletzt am 2. August der „Europäische Tag des Gedenkens an den Genozid an Sinti und Roma“ begangen.

Die Unterzeichnung fand 44 Jahre nach der Besetzung des Universitätsarchivs Tübingen statt, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg NS-Akten der „Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ (RHF) lagen, die in der NS-Zeit als Planungsgrundlage für den Holocaust an Sinti und Roma dienten und die in der Nachkriegszeit für rassistische Forschungen missbraucht wurden. Am 1. September 1981 hatten 18 Sinti das Universitätsarchiv besetzt, darunter auch Holocaustüberlebende und Romani Rose, und die Überführung der entsprechenden NS-Akten in das Bundesarchiv gefordert. Die Unterlagen werden seitdem im Bestand R 165 im Bundesarchiv verwahrt.

Ein besonders bekanntes Beispiel für rassistische Forschungen in Tübingen war Sophie Ehrhardt, die bis 1968 als Anthropologin der Universität Tübingen tätig war und unbehelligt die NS-Rasseakten für ihre antiziganistischen Forschungen über Sinti und Roma nutzte. Ehrhardt war während der NS-Zeit dem nationalsozialistischen Rassentheoretiker Robert Ritter unterstellt. Dieser war Leiter der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ und bestimmte auf Anweisung von Reichsführer-SS Heinrich Himmler „wissenschaftlich“ die „Rassenzugehörigkeit“ von Sinti und Roma, wodurch deren systematische Erfassung, die Deportation und Ermordung in Konzentrationslagern ermöglicht wurde.

Aus dem Bestand R 165 im Bundesarchiv werden der Forschung auch zukünftig Quellen zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen „Rassenforschung” an Sinti und Roma nach Bundesarchivgesetz bereitgestellt. Gleichzeitig wird es gemäß der Kooperationsvereinbarung für einen Teil des insgesamt etwa 400 Verzeichniseinheiten umfassenden Bestands, der sensible Unterlagen und Fotos enthält, Auflagen für deren Weiterverbreitung und Reproduktion geben können. Damit soll einem erneuten Missbrauch der NS-Dokumente wie in der Tübinger Zeit entgegengewirkt und die Wahrung der Würde der erfassten und ermordeten Personen sichergestellt werden. Dies geschieht nach Paragraf 13 im Bundesarchivgesetz, wenn „Grund zu der Annahme besteht, dass der Nutzung schutzwürdige Interessen Betroffener oder ihrer Angehörigen entgegenstehen“.

Thomas Tews

Wissenschaftlicher Leiter

Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

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