Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, hat auf der heutigen Pressekonferenz des Bayerischen Landeskriminalamts in München die historische Arbeit von Kriminalhauptkommissarin Eveline Diener kritisch beleuchtet, die dort der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Geschichte und personellen Kontinuitäten der beim BLKA angesiedelten „Landfahrerstelle“ bis zu deren Auflösung im Jahr 1965. Rose fordert weiterführende Untersuchungen der Kontinuität auch über 1965 hinaus durch unabhängige Historiker.
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, lobte auf der Pressekonferenz, an der neben der Autorin auch der Präsident des Bayerischen LKA Harald Pickert teilnahm, die Forschungsarbeit von Eveline Diener und das BLKA dafür, dass es sich nun diesem Teil seiner Geschichte stellt: „Eveline Diener hat in ihrer Arbeit eine Vielzahl an Quellen, die der Forschung bisher in weiten Teilen unzugänglich waren, erschlossen, durchgearbeitet und analysiert. Sie kann damit den bisher äußerst lückenhaften Kenntnisstand zur frühen Bayerischen ‚Landfahrerstelle‘ enorm erweitern und empirisch unterfüttern. Beispielsweise war 1963 mit 11.092 Familienakten mit ca. 55.000 erfassten Personen bei der ‚Landfahrerstelle‘ ein enormer Datenbestand angelegt. Das BLKA hat mit dieser nun vorgelegten Forschungsarbeit die Forderung des Zentralrats an die Polizeibehörden der Länder umgesetzt und begonnen, ihre Geschichte in den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland aufzuarbeiten. Da mit der Auflösung der „Landfahrerstelle“ im Jahr 1965 die rassistische Sondererfassung von Sinti und Roma auch nicht im BLKA geendet hat, kann die heute vorgestellte Arbeit nur ein Anfang sein. Aus unserer Sicht muss es nun auch eine weiterführende Untersuchung der Kontinuität nach 1965 durch unabhängige Historiker folgen.“
Romani Rose forderte vor dem Hintergrund dieser Geschichte, dass die führende Rolle der Kriminalpolizei beim NS-Völkermord, sowie die personellen und ideologischen Kontinuitäten nach 1945 integraler Bestandteil der Fort- und Ausbildung von Polizeibediensteten werden sollte und empfahl dem BLKA hierzu ausdrücklich die Kooperation mit dem Bayerischen Landesverband. Eine solche Aufarbeitung diene nicht nur der besseren Wissensvermittlung für die jungen Auszubildenden, sondern ist auch geeignet, diskriminierenden und klischeegeprägten Einstellungen entgegenzuwirken, wodurch das Bewusstsein der Beamtinnen und Beamten für Demokratie und Rechtsstaat und eine vorurteilsfreie Begegnung mit den Angehörigen von Minderheiten gefördert wird. Aus diesem Grund sollte nicht nur die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma Teil der Ausbildungsinhalte sein, sondern auch die in den vergangenen Jahrzehnten erzielten Erfolge der Bürgerrechtsbewegung, wie beispielsweise die Anerkennung der deutschen Sinti und Roma als eine der vier nationalen Minderheiten neben Sorben, Dänen und Friesen.
Historisch nahm Bayern und München seit dem Kaiserreich eine Vorreiterrolle in der Verfolgung der Sinti und Roma ein: bereits im Jahr 1899 wurde bei der Polizeidirektion München ein eigener Nachrichtendienst für „Zigeuner“ eingerichtet. Mit modernen kriminologischen Methoden wie erkennungsdienstlichen Fotografien und einer Fingerabdrucksammlung sollte die Grundlage für eine lückenlose Überwachung und Erfassung aller „Zigeuner“ geschaffen werden. Die Nationalsozialisten konnten später auf diese gesammelten polizeilichen Daten zurückgreifen und so die Ausgrenzung, Verfolgung, Deportation und schließlich Ermordung der Sinti und Roma im Holocaust entschieden vorantreiben. Bis zu ihrer Verlegung nach Berlin im Oktober 1938 hatte die Münchner „Zigeunerpolizeistelle“ Akten zu mehr als 33 000 Menschen angelegt, die als „Zigeuner, Mischlinge oder nach Zigeunerart Umherziehende“ erfasst worden waren.
Die „Landfahrerzentrale“ des Bayerischen LKA, die noch bis 1951 den von den Nationalsozialisten genutzten Namen „Zigeunerpolizeistelle“ trug, hatte laut LKA-Anweisung die Aufgabe, alle Fingerbadrücke, Fotos, und „Zigeunernamen“ zentral zu sammeln und griff dabei auch auf das von den Nationalsozialisten gesammelte Material zurück, wie Romani Rose auf der Pressekonferenz anmerkte: „Die Schamlosigkeit der Beamten ging so weit, dass sie die in den Konzentrationslagern eintätowierten Nummern erfassten.“
Auch nach der offiziellen Auflösung der „Landfahrerzentrale“ 1965 wurde die Sondererfassung der Sinti und Roma weiter fortgesetzt. So wurden beispielsweise weiterhin Namenslisten mit Kürzeln wie ZN für „Zigeunername“ oder MEM für „Mobile ethnische Minderheit“ verwendet, um Minderheitenangehörige nur aufgrund ihrer Abstammung kriminalpräventiv zu erfassen. Noch 2019 kam es zu politischen und juristischen Auseinandersetzungen mit der Bayerischen Polizei wegen der Sondererfassung, so hatte die Bayerische Datenschutzbeauftragte die Verbände der Bayerischen Polizei anlässlich mehrerer bei einer Stichprobe aufgefallener Verwendungen von Minderheitszugehörigkeiten „an einen sensiblen Umgang mit den Eintragungen in polizeilichen personenbezogenen Sammlungen“ erinnern müssen.
Gegen diese Praxis richtete sich auch der Hungerstreik in der Gedenkstätte Dachau 1980, an dem auch mehrere Überlebenden des Holocaust teilnahmen. Eine Forderung der Streikenden war es, dass die Akten des Reichssicherheitshauptamtes herausgegeben und diese auch für die Entschädigungsarbeit zur Verfügung gestellt werden. Die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma forderte darüber hinaus die Anerkennung des Völkermords und die Einstellung der fortgesetzten Kriminalisierung durch die Polizeibehörden, die gerade in Bayern besonders stark ausgeprägt war.