Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt das neue Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) in Berlin

Das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) ist aus Sicht des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma ein Meilenstein im Bemühen für Gleichberechtigung. Das überfällige Gesetz anerkennt die Existenz von Rassismus und Diskriminierung in Amtsstuben und stärkt Betroffenen den Rücken. 

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt den Beschluss des neuen Landes-Antidiskriminierungsgesetzes durch das Berliner Abgeordnetenhaus vom 4. Juni 2020. Mit dem Gesetz ist ein großer Schritt zur Herstellung und Durchsetzung von Chancengerechtigkeit getan.

Romani Rose, Vorsitzende des Zentralrats: „Das Landes-Antidiskriminierungsgesetz zeigt, dass dem Land Berlin ernst damit ist, Angehörige von Minderheiten vor jeder Form von Diskriminierung und Rassismus zu schützen und den Weg zu einem gleichberechtigten Kontakt mit Ämtern und Behörden zu öffnen. Gerade mit Blick auf die derzeitigen Ereignisse und Proteste in den Vereinigten Staaten ist es besonders wichtig, auch auf Deutschland zu schauen und anzuerkennen, dass Rassismus und Diskriminierung auch hier für viele Menschen zum Alltag gehören.“

„Wenn reflexhaft Rassismus, beispielsweise im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen, bestritten wird, obwohl regelmäßig über zum Teil erschütternde Fälle von rassistisch begründeter Polizeigewalt berichtet wird, werden nüchterne Bestandsaufnahmen und Analysen der Situation und das Entwickeln von Lösungswegen erschwert“, so Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler, Fachanwalt für Strafrecht.

Der Zentralrat appelliert an alle demokratischen Parteien in Bund und Ländern, die Augen nicht vor den Problemen zu verschließen, mit denen viele Menschen in Deutschland jeden Tag kämpfen müssen. Die bundesdeutsche Verfassungsordnung und seine postulierten Grund- und Menschenrechte genießt zu recht in aller Welt ein hohes Ansehen. Richtig ist aber auch, dass nicht alle Menschen in Deutschland gleichermaßen in den Genuss dieser Verfassungsordnung kommen. 

 

Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz ist eindeutig: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Die Realität wird dem verfassungsrechtlichen Postulat leider nicht gerecht. Rassismus und Diskriminierung sind für viele betroffene Menschen in Deutschland tagtäglich präsent. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit dem 18. August 2006 wirksam ist, erkannte diese Realität ausdrücklich an und gab Betroffenen die Möglichkeit, gegen Ausgrenzungs- und Schlechterbehandlungserfahrungen zivilrechtlich vorzugehen. Ein erster wichtiger Schritt war damit getan. Allerdings ist das AGG auf privatrechtliche Verhältnisse zwischen Bürgern begrenzt. Für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat gilt das AGG ausdrücklich nicht. Offensichtlich wurde aus politischen Gründen eine Regelungslücke im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung in Kauf genommen. Das Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) ist eine überfällige Maßnahme, um diese Lücke zumindest auf Landesebene zu schließen. Dies ist umso angebrachter, weil das Verhältnis zwischen Staat und Bürger de facto ein Über- und Unterordnungsverhältnis ist. Der Bürger ist dabei in besonderer Weise darauf angewiesen, dass der Staat verfassungs- und europarechtliche Bestimmungen unvoreingenommen und gerecht gegenüber Jedermann anwendet. 

Das AGG erfüllte europarechtliche Vorgaben, deren gesetzgeberische Umsetzung für jedes Mitgliedsland verpflichtend ist. Zu nennen sind hier etwa EU-Richtlinien, deren Ziel es ist, Diskriminierungen „aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft“ (RL 2000/43/EG), „wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ (RL 2000/78/EG) und des Geschlechts (RL 76/207/EWG i. d. F. der RL 2002/73/EG inzwischen aufgegangen in RL 2006/54/EG, RL 2004/113/EG) zu bekämpfen. 

Die Richtlinien enthalten ein umfängliches Instrumentarium zur Durchsetzung der Diskriminierungsverbote und gelten gleichermaßen im öffentlichen wie im privaten Sektor. Die oben genannten EU-Vorgaben wurden bislang in europarechtswidriger Weise weder auf Bundes- noch auf Länderebene für den öffentlichen Bereich umfassend umgesetzt. Mit Blick auf die Bundesebene ist festzuhalten, dass dem Bund teilweise die verfassungsrechtliche Gesetzgebungskompetenz für die Umsetzung der Richtlinien fehlt, beispielsweise im Schul- und Hochschulbereich. 

Bei rechtlicher Würdigung des LADG ist somit festzuhalten, dass das Land Berlin als einziges Bundesland bislang zwingende europarechtliche Vorgaben umgesetzt hat. Das Umsetzungsversäumnis betrifft auch den Bund, sofern er in den relevanten Bereichen die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Das Land Berlin hat damit einen überfälligen Schritt getan.

Auch bei einer politischen Würdigung kommt man zum gleichen Ergebnis. Kein politischer Entscheidungsträger -mit Ausnahme von Rechtsradikalen und Rechtsextremen- wird bestreiten, dass (institutioneller) Rassismus und Diskriminierung Teil unserer Behördenrealität ist. Phänomene wie Racial Profiling sind für die betroffenen Menschen bitter erlebter Alltag und sind kriminologisch und soziologisch gut belegt. 

Mit Neuregelungen wie Beweiserleichterung, einer mit Kompetenzen ausgestatteten Ombudsstelle und der Möglichkeit, eines Verbandsklagerechts sollen Opfern von Diskriminierung der Rücken gestärkt werden. 

Wenn Politiker*innen aus den Reihen demokratischer Parteien das Berliner Gesetz in Gänze ablehnen, stellt sich die Fragen, ob sie die Existenz von Rassismus im Staatsapparat bestreiten oder welche Maßnahmen sie bei Anerkenntnis der Problemlage für notwendig halten, das Problem zu lösen. Die Kritik an einem Gesetz bei gleichzeitigem Fehlen eigener Lösungsvorschläge überzeugt nicht.  Wenn nun vor einer „Klagewelle“ und „Missbrauch“ gewarnt wird, sei daran erinnert, dass ebensolche Warnungen auch vor dem Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 geäußert wurden. Erfüllt haben sich diese Warnungen indes nicht. Auch findet keine, wie von Kritikern behauptet, keine „Beweislastumkehr“ statt, sondern lediglich eine Erleichterung für den betroffenen Bürger, Gehör zu finden. Es obliegt letztlich Richter*innen darüber zu entscheiden, wem die Beweislast trifft.

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