Schwere Kritik übt der Bayerische Flüchtlingsrat seit langem an den Zuständen in den „Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen“ in Manching und Bamberg, die im Zusammenhang mit den Änderungen des Asylrechts seit dem vergangenen Jahr stehen. Schnelle und rechtlich dennoch angemessene Asylverfahren von Antragstellern aus „sicheren Herkunftsstaaten“ des Westbalkans sollen dort gewährleistet werden, lautet die Vorgabe eigentlich.
Auf einer Presseveranstaltung zur konkreten Lage in Bamberg wandten sich nun ehrenamtliche Helfer und Beobachter in Form einer „Zwischenbilanz“ an die Presse und erhoben zahlreiche Vorwürfe. Bayerisches Innenministerium und Sozialministerium stritten diese noch am selben Tag ab. Aber auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma meldet auf Nachfrage des Interkulturellen Magazins zur Situation einzelner recherchierter Fälle in Bamberg erhebliche Bedenken gegen die „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung“.
Was war bislang Gegenstand der Kritik? Zu den Vorwürfen des Flüchtlingsrats und Helfern vor Ort in Bamberg lässt sich jedenfalls eines sicher sagen: sie sind umfangreich. Sie gehen von einer zweifelhaften Überbelegung der Wohnungen trotz verfügbaren Wohnraums, über mangelnde Beschulung der Kinder, eine nicht existierende Asylsozialberatung der Betroffenen, nicht abschließbare Türen auch bei alleinstehenden Frauen und Müttern, mangelnde medizinische Versorgung schwer traumatisierter Menschen, bis hin zu zweifelhaften Abschiebungsandrohungen trotz vorliegender psychosomatischer Erkrankungen. Auch die geplante Belegung des Geländes für 4.500 Personen wurde beanstandet: die aktuelle Ausbaustufe von 1500 Personen sei „zu keinem Zeitpunkt voll belegt“ gewesen.
Das Sozialministerium wie auch das Innenministerium wiesen einzelne der Vorwürfe noch am selben Tag zurück. Für Innenminister Herrmann sei die Unterbringung „angemessen“. Asylverfahren würden „in nur wenigen Wochen durchgeführt“. Jeder Asylbewerber könne sich auf „ein rechtsstaatliches Asylverfahren“ verlassen. Herrmannn verwies darauf, dass „nahezu 100 Prozent der Fälle keine Chance auf Anerkennung“ hätten. „Falsche Anschuldigungen und Stimmungsmache“ nannte Sozialministerin Müller die Kritik. Bei den Menschen aus „sicheren“ Herkunftsstaaten werde, so Müller, „qua Bundesrecht vermutet, dass in Deutschland kein Recht auf politisches Asyl besteht.“ Das rechtsstaatliche Verfahren sei sichergestellt, die medizinische Versorgung gewährleistet. Das „enorme Engagement“ aller Beteiligten gelte auch für die vielen ehrenamtlichen Helfer.
Es waren am vergangenen Freitag aber Vertreter der ehrenamtlichen Bamberger Helferinitiative „Freund statt fremd“, die sich auf Initiative des Bayerischen Flüchtlingsrats der Presse stellten, unter ihnen langjährig praktizierende Mediziner. Sie haben nach eigenen Aussagen die Lage seit längerer Zeit beobachtet und stehen mit den Betroffenen in Kontakt. Ob und in welchem Umfang ihre geäußerten Vorwürfe begründet und durch Fakten belegt oder entkräftet werden können, wird sich jetzt zeigen. Ohnehin ist in der „ARE“ vieles noch unklar, auch über die Zukunft des Geländes scheint noch nichts endgültig entschieden. Inzwischen hat die zuständige Ausländerbehörde der Regierung von Oberfranken mit Sitz in Bayreuth bestätigt, dass es seit Bestehen der „ARE“ in Bamberg in dieser bislang keine Asylsozialberatung durch gelernte Fachkräfte gibt, und zwar auch nicht für Fragen rechtlicher bzw. anwaltlicher Art.
„Verstoß gegen UN-Konvention, die in Deutschland Gesetzeskraft hat.“
Zwischenzeitlich hat nun aber auch der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma deutliche Kritik an der Unterbringung erhoben. Eine Anfrage des Interkulturellen Magazins bezog sich auf Einzelfälle von Kindern und fast volljährigen Erwachsenen, die mit ihren Eltern in der ARE untergebracht sind. Recherchen hatten ergeben, dass jedenfalls einzelne Familien sich bereits über Monate in der „ARE“ aufhalten. Einer Roma-Familie in der „ARE“, die mit Hilfe eines ehrenamtlich aktiven Studenten über eine Münchner Anwältin Rechtsmittel einreichte, würde bei negativem Ausgang ihres Eilantrags die Abschiebung in den Kosovo bevorstehen. Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte die Familie neben einem Ablehnungsbescheid den üblichen Hinweis erhalten, dass alternativ zur polizeilichen Abschiebung auch die Möglichkeit einer „freiwilligen Rückkehr“ in die „Heimat“ möglich sei. Die Töchter befanden sich aber vor der Unterbringung in der „ARE“ noch nie im Kosovo. Allein die älteste Tochter war neun Monate alt, als die Eltern im Jahr 1999 als Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo erstmals nach Deutschland gekommen waren. Die Töchter besuchten die Schule bzw. waren mitten in der Berufsvorbereitung, die durch den Aufenthalt in der ehemaligen Militärskaserne in Bamberg seit Ende Januar 2016 unfreiwillig unterbrochen werden musste. Der Sohn kam da gerade erst zur Welt.
Der Wissenschaftliche Leiter des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, Herbert Heuß, kritisiert gegenwärtige Konsequenzen des eng mit dem Konzept der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ verwobenen Abschiebelagers gerade auch bei Kindern, deren Eltern sich schon in den 1990er Jahren, aufgrund des Krieges in Ex-Jugoslawien, in Deutschland aufhielten. Die „massive Abschiebung von Familien nach Kosovo oder in die anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien stellt nach Einschätzung des Zentralrates wie nahezu aller anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen einen Skandal dar“, so Heuß. Der Hintergrund: Da der Bundestag die betroffenen Länder als „sichere Herkunftsstaaten“ einstufte, wird die herkunftsbedingte Verfolgung der Betroffenen aus diesen Ländern erst einmal pauschal angezweifelt und eine „geringe Bleibewahrscheinlichkeit“ unterstellt.
Für Heuß sei dies nicht hinnehmbar. Es sei der „Bundesregierung und den Länderregierungen bekannt, dass Roma in diesen Ländern über keinerlei Perspektive verfügen, dass ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt nahezu vollständig verschlossen ist, dass der Zugang zu Schule und Gesundheitsversorgung ebenfalls verschlossen ist.“ Zudem seien die Staaten des Westbalkans nicht „von vorne herein“ für Roma als „sicher“ einzustufen. Heuß verweist auf eine „kumulative Diskriminierung“ von Roma in Staaten eben wie Serbien oder dem Kosovo, die auch nach Einschätzung von Menschenrechtsordganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch die Rahmenbedingungen herkunftsbedingter Verfolgung erfüllt. Sie sei für Heuß sowohl asylrelevant und sie müsse ebenfalls als Fluchtursache für Schutzsuchende in Deutschland anerkannt werden.
Befragt nach den Fällen von Familien, die in der Bamberger „Einrichtung“ nach BR-Recherchen vorliegen, verweist der Politikwissenschaftler auf die UN-Kinderrechtskonvention. Diese wurde „von der Bundesrepublik Deutschland immerhin doch 2010 vollständig angenommen“, womit Heuß auf Artikel 3 über Richtlinien zur Rücksicht aufs Kindeswohl abzielt. Seit sechs Jahren sind die UN-Bestimmungen für die BRD verbindlich. Seither, betont Heuß, verpflichten sich auch „alle staatlichen Behörden, bei ihren Maßnahmen das Kindeswohl in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungen zu stellen.“ Die Abschiebung von Familien, deren Kinder bereits eine Ausbildung in Deutschland begonnen haben und die sich zudem schon seit langer Zeit in Deutschland aufhalten, sei für Heuß „ein Verstoß gegen die UN-Konvention, die in Deutschland Gesetzeskraft hat.“
Selbst unabhängig von NS-Verbrechen: Zustände „menschenunwürdig“
Erst im Jahr 1982, unter Kanzler Helmut Schmidt, erkannte die Bundesrepublik Deutschland offiziell den gezielten Völkermord an den Sinti und Roma durch das Naziregime an. Mit den sechs Millionen jüdischen Ermordeten wurden nach Schätzungen 500.000 europäische Sinti und Roma auch in Auschwitz und weiteren NS-Vernichtungslagern des Ostens ermordet.
Auch ganz unabhängig vom Hintergrund der NS-Geschichte befindet Heuß, dass für die Betroffenen die derzeitigen örtlichen Rahmenbedingungen der Bamberger Unterbringung eines ehemaligen Militärsgeländes, das von Mauern, Zäunen und Stacheldraht umgeben ist, als „menschenunwürdig“ aufzufassen seien. „Wenn dann noch in Betracht gezogen wird, dass mit Sicherheit ein Teil der betroffenen Familien durch die Erfahrung der Vertreibung und des Krieges im ehemaligen Jugoslawien traumatisiert sind, dann widerspricht diese Form der Unterbringung jedem christlichen Verhalten.“
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