„Wir Überlebenden sind nicht mehr die Menschen, die wir einmal waren“, schrieb Reinhard Florian über sein Leben, „Wir versuchen uns der heutigen Zeit anzupassen, aber die grausame Vergangenheit lebt in uns weiter. Man kann sie nicht ablegen wie ein schmutziges Hemd. Es gibt Erlebnisse und Erinnerungen an jene Zeit, die man nie wieder loswird. Sie verfolgen uns bis in unsere nächtlichen Träume. Durch das Leid, das wir ertragen mußten, sind wir zu Gefangenen unserer Erinnerung geworden. Noch immer sind wir darüber beschämt, ein Mensch zu sein.“
Mit Reinhard Florian verliert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma einen Menschen, der nach der Erfahrung des Holocaust über Jahrzehnte hinweg Zeugnis von seinem Leidensweg abgelegt hat und öffentlich an die Nazi-Barbarei erinnerte. Reinhard Florian hat auch im Namen des Zentralrates seine Stimme erhoben, wann immer es ihm nötig erschien. Er lebte beispielhaft vor, daß Erinnerung an die Verbrechen der Nazis auch Verpflichtung für die Gegenwart bedeutet. „Reinhard Florian bezeugt, wie sich die Erfahrung des Lagers gleichsam als ein Schatten über das Leben der Menschen auch nach ihrer Befreiung durch die alliierten Armeen gelegt hat. Ich kenne kaum einen anderen Überlebenden, der mit solcher Intensität von der Last des Erinnerns zu erzählen weiß wie Reinhard Florian. Als ‚Gefangene der Erinnerung‘ hat er sich und die anderen Überlebenden einmal bezeichnet“, sagte heute Romani Rose in Würdigung von Reinhard Florian.
Der Ostpreuße Reinhard Florian wurde am 21. Februar 1923 in Insterburg geboren, wo er die Schule besuchte. Eine Berufsausbildung war ihm bereits durch die „Nürnberger Gesetze“ verwehrt worden. 1942 wurde seine Familie, Eltern und Geschwister, in das Ghetto von Bialystok und von dort in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort wurden seine Mutter und sieben Geschwister ermordet, nur sein Vater und ein Bruder überlebten.
Reinhard Florian wurde in das Konzentrationslager Mauthausen verschleppt. „Alle Lagerinsassen waren zur Vernichtung bestimmt. Wir sollten uns zu Tode arbeiten und zu Tode hungern. Die tägliche Grausamkeit in den Konzentrationslagern kann kein Dokument und keine Statistik wiedergeben. Was ein Mensch hier innerlich durchmachen mußte, davon weiß kein Historiker. Nur wir, die Überlebenden dieser Menschenvernichtung, wissen, was all die Opfer bis zu ihrem Tod erdulden mußten“, berichtete Reinhard Florian über seine Zeit im Lager Mauthausen. 1943 wurde er nach Auschwitz-Birkenau transportiert und mußte in Monowitz Zwangsarbeit für die IG-Farben leisten. Anfang 1945 wurde er wieder in mehrere Nebenlager von Mauthausen deportiert.
Reinhard Florian schrieb seine Lebensgeschichte in dem Buch „Ich wollte nach Hause, nach Ostpreußen! Das Überleben eines deutschen Sinto“ nieder, das zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in der Schriftenreihe der ‚Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas‘ erschien.
Im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel machte Reinhard Florian bei der Einweihung des Denkmals deutlich, wie wichtig dieses Mahnmal für die Anerkennung der Verfolgungsgeschichte von Sinti und Roma und damit für die Überlebenden und für die gesamte Minderheit sei.
„Mit Reinhard Florian verliert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma einen Menschen, der unserer Arbeit über lange Jahre verbunden war. Ohne seine Unterstützung und ohne den Rückhalt und die moralische Autorität der Überlebenden des Holocaust hätte der Zentralrat seine Arbeit nicht leisten können“, so Rose.