Zentralrat trauert um Rigoletto Weiss (19.04.1929 – 15.05.2019)

Nachruf des Landesvereins der Sinti in Hamburg e.V.
Rigoletto Weiss (links) © Landesverein der Sinti in Hamburg e.V.

Am Vorabend des Gedenkens an die Deportationen vom 16. Mai 1940 vom Hannoverschen Bahnhof in Hamburg nach Belzec starb einer der letzten Überlebenden. Rigoletto Weiß wurde  90 Jahre alt. Er war gerade 11 Jahre alt, als er zusammen mit allen anderen Sinti-Kindern am 16. Mai 1940 aus der Schule abgeholt und in den Fruchtschuppen C des Hamburger Hafens gebracht wurde, wo die Erwachsenen schon eingesperrt waren. Nach vier Tagen ohne Nahrung und Wasser, unter  menschenunwürdigen Bedingungen wurde er mit nahezu 1.000 Sinti aus Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein in Viehwaggons verladen. Über den Transport und die Ankunft in Belzec berichtete er später:

Der Transport war grauenhaft. Nach einer unendlichen Zeit sind wir angekommen. Beim Verlassen der Wagons unter scharfer militärischer Aufsicht kamen auch die ersten Gedanken, dass das nie unsere neue Heimat werden kann, so wie sie es uns versprochen hatten. Das Gelände war einsam und leblos. Es stand eine große Sammelbaracke darauf  und in diese Baracke wurden wir alle reingetrieben. Es war nicht einmal Platz für die Hälfte von uns. Zum Schlafen mussten wir uns übereinander stapeln um unterzukommen. Unsere Älteren haben die ganze  Nacht gestanden. Am nächsten Morgen war Appell. Wir mussten alle antreten und wurden von der SS danach sortiert zu welchen Arbeiten wir fähig sind. Überwiegend wurden wir eingesetzt um einen Elektrozaun um das ganze Gelände zu bauen. Damit verschwand auch  die letzte Illusion von der neuen Heimat, und es wurde jedem bewusst, dass hier ein Gefangenenlager entstehen sollte, was sich auch an jedem Tag in Belzec mehr bestätigte.

Von Belzec wurde ich in verschiedene KZ und Ghettos bis hin nach Warschau deportiert, wo mir viel Leid und Elend  widerfahren ist. Meine Mutter ist in einem dieser Lager unter schwersten Arbeitsbedingungen aufgrund von Unterernährung  und mangels ärztlicher Versorgung elendig zu Tode gekommen. Ich habe sie noch ein paar Tage verstecken können, aber als die SS sie gefunden hat mussten wir sie in ein Massengrab bringen mussten. Ab diesen Moment war ich allein. Mein Vater ist in dieser Zeit nach Auschwitz deportiert  worden. Nach seiner Befreiung hatte er sich im Bayrischen in einem kleinen Dorf aufgehalten, um nicht als „Zigeuner“ erkannt zu werden. Erst in den 1950er Jahren wurde ich gewahr, dass mein Vater noch lebt. Die Freude war riesig.

Rigoletto Weiß ist am 11. April 1945, wenige Tage vor seinem 16. Geburtstag, aus dem KZ Mittelbau Dora in Nordhausen befreit worden, wo er in den unterirdischen Stollen der Rüstungsindustrie schwerste Arbeit verrichten musste. Wie alle anderen Sinti musste er erleben, dass Ausgrenzung und Stigmatisierung auch in der Bundesrepublik Deutschland weitergingen. Immer wieder mussten sie umziehen, weil sie dort, wo ihnen ein Platz zugewiesen worden war, störten. Ständige Polizeikontrollen, das Urteil des Bundesgerichtshofs, sie seien aus „kriminalpräventiven“ Gründen deportiert und umgebracht worden, während die Täterinnen und Täter schnell wieder in Amt und Würden waren. Als ihn sein Sohn Robert  als Vorsitzender des Landesvereins der Sinti in Hamburg  bat, für eine Veranstaltung aus seinem Leben zu erzählen, zog Rigoletto Weiß ein  ernüchterndes Fazit:

Allerdings sind wir Sinti sind nie wirklich befreit worden, sondern wir sind bis heute nur Freigänger in dieser Gesellschaft. Ich bin bis zum heutigen Tag wie meine Kinder, Enkel und Urenkel immer an die Grenze des nicht Dazugehörens gestoßen. Mein Wunsch ist das zu ändern, und das heißt, gegenseitiger Respekt muss die Grundlage für die Zukunft sein.“

Wir werden ihn nicht vergessen und unsere Arbeit in diesem Sinne fortsetzen.

Arnold Weiss, für den Vorstand des Landesvereins der Sinti in Hamburg e.V.