Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma dankt allen im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien dafür, der Bitte des Zentralrats zu entsprechen, einen gemeinsamen Entschließungsantrag über den Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus in den Deutschen Bundestag einzubringen und zu verabschieden. Damit drücken die Parteien ihre Anerkennung der historischen Verantwortung für die sechshundertjährige deutsche Geschichte der Minderheit und den Holocaust aus, die auch in den Reden deutlich wurde.
„Wir sehen in dieser Debatte die Chance für den demokratischen Rechtsstaat, die Versäumnisse der historischen Aufarbeitung und Bewusstseinsbildung nach 1945 politisch anzuerkennen und den Willen auszudrücken, dem tiefsitzenden Antiziganismus durch Aufklärung entgegenzuwirken,“ so der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose.
Durch den umfangreichen, 800-seitigen Bericht der Unabhängigen Kommission wurden erstmals die Ursachen für den auch nach 1945 fortwährenden Antiziganismus in Politik, Gesellschaft und staatlichen Institutionen anerkannt und verurteilt.
Dieser weiter tradierte Antiziganismus wurde als „zweite Verfolgung“ auch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit folgenden Worten ausgedrückt: „Behörden, Polizei und Justiz diskriminierten, stigmatisierten oder kriminalisierten Angehörige der Minderheit; in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verschwiegen, verleugnet oder verdrängt; Ansprüche auf Entschädigung wurden lange, viel zu lange nicht anerkannt.“
Der Zentralrat würdigt, dass das Bundeskriminalamt sich dieser Kritik stellte und am 27. Januar 2023 die Arbeitsdefinition Antiziganismus der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA) unterzeichnet hat und dadurch auch das Vertrauen der Minderheit in unseren Rechtsstaat weiter stärkt.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erwartet, dass der Deutsche Bundestag mit dem Entschließungsantrag wegweisende Handlungsempfehlungen ausspricht und Maßnahmen ergreift, damit die zentralen Empfehlungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus umgesetzt werden.
Rose fordert: „Bundestag und Bundesregierung müssen hier die Voraussetzungen schaffen für die gleichberechtige Teilhabe unserer Minderheit in allen Bereichen der Gesellschaft und dafür Sorge tragen, dass auch der Antiziganismus, der die Grundlage für den Holocaust an den 500.000 Sinti und Roma im NS-besetzten Europa war, genauso geächtet wird wie der Antisemitismus.“
Der Zentralrat dankt den Sprecher*innen für ihre engagierten Reden und die Unterstützung für die Minderheit und dokumentiert einige zentrale Aussagen.
Simona Koß, SPD: „Erstmals fasst der Deutsche Bundestag heute einen so umfangreichen gemeinsam Beschluss zum Leben von Sinti und Roma in Deutschland. […] Das ist ein Meilenstein in der Aufarbeitung und Bekämpfung des Antiziganismus und ein wichtiges Signal an alle Sinti und Roma in Deutschland.“
Christoh de Vries, CDU/CSU: „Mit diesem Antrag werden zentrale Forderungen des Berichts aufgegriffen. Das ist vor allem die Wiedergutmachung für die Opfer des nationalsozialistischen Unrechts. […] Die Entschädigung der wenigen heute noch lebenden Sinti und Roma, die den nationalsozialistischen Völkermord überlebt haben, muss rasch erfolgen und für die durchweg hochbetagten Betroffenen Unbürokratisch gestaltet werden. Notwendig ist zudem eine systematische Aufarbeitung des Unrechts in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik und auch in der DDR.“
Filiz Polat, BÜNDNIS 90/ Die Grünen: „Der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus markiert einen Meilenstein in der Aufarbeitung unserer Geschichte. Sinti und Roma haben während des Holocausts und während der nach dem Zweiten Weltkrieg fortgeführten rassistischen Sondererfassung – ihrer zweiten Verfolgung – unermessliches Leid erfahren müssen. […] Die Diskriminierung von Sinti und Roma in nahezu allen Lebensbereichen und eine selbstkritische umfassende Aufarbeitung deutscher Politik und unserer Gesellschaft messen wir mit unserem interfraktionellen Antrag endlich die Bedeutung zu, die notwendig ist. Dafür möchte ich in erster Linie den Vertreter*innen der Sinti und Roma danken und den Mitgliedern der Kommission für ihre Expertise.“
Sandra Bubendorfer-Licht, FDP: „‚Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.‘ – Mit diesen Worten des Bundesgerichtshofes, wurde 1956 den Sinti und Roma die Schuld an der NS-Verfolgung selbst zugeschrieben. Dies erfüllt mich mit größter Scham und Fassungslosigkeit. Alles, was wir nun hier und heute tun können, ist, unser heutiges Handeln daran auszurichten, es im Bewusstsein dieser Schande nun besser zu machen. Es hat mich sehr gefreut, dass bei diesem wichtigen Antrag alle demokratischen Fraktionen zusammengewirkt haben.“
Natalie Pawlik, SPD: „Die Bundesrepublik Deutschland trägt eine besondere historische Verantwortung für den Schutz von Sinti und Roma. Diskriminierung und antiziganistische Ressentiments haben in Deutschland eine jahrhundertelange Tradition. Um dem herrschenden Antiziganismus wirksam entgegenzutreten und einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen, braucht es die konsequente Umsetzung der Handlungsempfehlungen der Kommission. Die Bekämpfung von Antiziganismus darf nicht nur punktuell erfolgen; sie muss fester und dauerhafter Bestandteil der gesellschaftlichen und politischen Agenda sein.“
Michael Brand, CDU/CSU: „Umso mehr werden wir Diskriminierung gegen deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Sinti und Roma sind, konkret bekämpfen und zurückdrängen. Das sind wir nicht nur allen schuldig, die Opfer oder Nachkommen von Opfern dieses nationalsozialistischen Horrors sind; wir sind es auch uns selbst schuldig. Statt Diskriminierung wollen wir die wertvollen Beiträge von Sinti und Roma für unsere Gesellschaft so gewürdigt und respektiert sehen, wie sie es verdient haben: unter uns Landsleuten als Mitmenschen und Bürger.“
Gökay Akbulut, LINKE: „Es ist überfällig, dass wir den Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus abschließend beraten. Wir müssen die Perspektive der Opfer von Antiziganismus in den Mittelpunkt stellen, denn ihre Stimmen werden viel zu selten gehört.“
Stefan Seidler, SSW: „Als Abgeordneter einer nationalen Minderheit freut es mich besonders, dass dieser Entschließungsantrag so viel Rückenwind bekommen hat. Allerdings ist dies nur der erste Schritt in die richtige Richtung. Darauf dürfen wir uns nicht ausruhen.
Auch in den kommenden Jahren müssen wir die Forderungen des UKA-Berichts in Erinnerung rufen. Das gilt für die jährlichen Haushaltsverhandlungen und für alle anstehenden Gesetzesvorhaben. Nur so können wir langfristig verpflichtende Maßnahmen sichern.“Alexander Hoffmann, CDU/CSU: „Sinti und Roma sind in Deutschland und in Europa die größte Minderheit. Die Frage, wie wir mit dieser Minderheit umgehen – wie mit allen Minderheiten –, ist immer auch eine Frage des Charakters unseres Landes und eine Frage des Charakters unserer Demokratie. (…) Die Geschichte der Sinti und Roma ist aus deutscher Sicht geprägt von zwei schmerzhaften Zäsuren: Das ist die Zeit des Zweiten Weltkriegs, die geprägt ist von Deportation und Massenmord, und es ist tragischerweise auch die Zeit nach 1945, die geprägt ist von Diskriminierung und staatlicher Willkür. Wir setzen heute mit unserer Entschließung ein Zeichen kritischer eigener Verantwortung. (…) Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass wir schon ein erfolgreiches Stück gemeinsamen Wegs gegangen sind. Ich würde schon sagen, dass in den letzten Jahren in Sachen Kampf gegen Antiziganismus Historisches geleistet worden ist, und zwar von uns gemeinsam, aber eben auch in deutschen Behörden, in deutschen Polizeibehörden.“