Gemeinsames Symposium mit dem BGH, Eingangsstatement Romani Rose

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Ansprache von Romani Rose beim gemeinsamen Symposium des BGH und des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma am 17. Februar 2016 in Karlsruhe

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,

bevor wir im Anschluss diskutieren, gestatten sie mir als Repräsentant der deutschen Sinti und Roma und als Mitorganisator dieser Tagung einige grundsätzliche Vorbemerkungen.

Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die heutige Veranstaltung und das 4. Rosenburg-Symposium im Oktober 2014 für unsere Minderheit eine historische Bedeutung haben. Das „Rosenburg-Projekt“ zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit innerhalb der Justiz und diese Konferenz im Bundesgerichtshof – exakt 60 Jahre nach dem fatalen Urteil gegen die Sinti und Roma aus dem Jahre 1956 – machen deutlich, dass unser demokratischer Rechtsstaat seine Verantwortung wahrnehmen will und jeder Form von Diskriminierung eine Absage erteilt. Damit wird – nach dem Beispiel des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke – ein weiteres, wichtiges Zeichen gesetzt, auch die von fatalen Kontinuitäten geprägte bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte aufzuarbeiten. Dafür gebührt Ihnen, Frau Staatssekretärin, und Ihnen, Frau Präsidentin Limperg, unser großer Dank.

Es hat uns sehr beeindruckt, dass Sie, Frau Präsidentin, im März letzten Jahres unser Haus in Heidelberg besuchten, und dass Sie sich danach nochmals mit klaren Worten öffentlich von dem schlimmen Urteil aus dem Jahre 1956 distanzierten. Sie sagten, dass man sich dafür nur schämen könne und dass es eine unvertretbare Rechtsprechung darstelle, die man nicht schönreden dürfe.

Es gehört zu den Stärken der Demokratie und ihrer Institutionen, dass sie Fehlentwicklungen und falsche Entscheidungen zu korrigieren vermag, so mühsam und langwierig solche Lernprozesse auch sein mögen. Insofern hat die Erklärung von Präsidentin Limperg große Bedeutung – nicht nur für unsere Minderheit, sondern für das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit insgesamt.

Ebenso hat es uns sehr gefreut, dass Herr Prof. Dr. Mosbacher als Richter des Bundesgerichtshofs zum Jahrestag des Urteils in der Januar-Ausgabe der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ für 2016 einen bemerkenswerten und engagierten Artikel mit dem Titel „Eine späte Entschuldigung“ veröffentlichte.  Er kritisierte die damalige Rechtsprechung unter anderem als „abstoßende Beleidigung“. Auch diese unmissverständliche Stellungnahme wissen wir zu würdigen.   

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom  Januar 1956, in dem die Minderheit mit stigmatisierendem NS-Jargon als „artfremd“ und „primitive Urmenschen“ charakterisiert wurde, prägte über viele Jahre nicht nur das gesamte Entschädigungsrecht für unsere Überlebenden. Diese Ideologie der Ausgrenzung gegenüber unserer Minderheit bestimmte auch das Denken und das Bild anderer Behörden und staatlicher Organe. Das Urteil von 1956 war insbesondere richtungsweisend für das Verhalten der Justiz bezüglich der Verfolgung der Täter und Organisatoren des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma.

Besonders skandalös war der Fall Paul Werner, der als SS-Oberführer seinerzeit zur Spitze des Reichssicherheitshauptamtes gehörte und maßgeblich für die Organisation der Völkermordverbrechen mitverantwortlich war. Ihm unterstand einige Jahre lang auch das Landeskriminalamt in Karlsruhe, von dessen sogenannter „Zigeunerleitstelle“ die Deportationen von Sinti-Familien in die Konzentrationslager durchgeführt wurden. Nach 1949 war Paul Werner bis zu seiner Pensionierung als Ministerialrat im Baden-Württembergischen Innenministerium beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellte im Jahre 1960 das Verfahren gegen Paul Werner, dem konkrete Beteiligung an den Deportationen vorgeworfen wurde, ohne weitergehende Ermittlungen ein.

Zur Begründung berief sich die Staatsanwaltschaft darauf, dass „diese NS-Maßnahmen gegen die Zigeuner“ nach der „ständigen Rechtsprechung des BGH nicht aus rassischen Gründen“ erfolgt seien.   Dabei verwies man ausdrücklich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1956, das dazu diente, einen der großen Nazi-Verbrecher von seiner Schuld freizusprechen. Ähnlich verhielten sich die Strafverfolgungsbehörden zum Beispiel gegenüber dem SS-Arzt aus dem Konzentrationslager Natzweiler, Dr. Helmut Rühl, der viele Sinti mit Senfgasversuchen in der speziell dafür eingerichteten Gaskammer ermordet hatte.   Er konnte bis zu seiner Pension als Amtsarzt in Bonn tätig sein.

Ein weiterer exemplarischer Fall ist der von Dr. Werner Hansen, der als Richter in Auschwitz fungierte. In Holland wurde er wegen Mordes per Haftbefehl gesucht, weil er dort streikende Arbeiter, die gegen die Deportation der Juden protestiert hatten, standgerichtlich zum Tode verurteilt hatte und für deren Hinrichtung verantwortlich war. Bis zu seiner Pensionierung war er Notar in Hessen und konnte unbehelligt als Zeuge der Verteidigung für einen damaligen SS-Blockführer auftreten, dem vielfache Morde an Sinti und Roma im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vorgeworfen wurden.

Nachdem meine Familie viele Angehörige in den Konzentrationslagern der Nazis verloren hatte, unternahmen mein Vater Oskar Rose und mein Onkel Vincenz Rose schon direkt nach Kriegsende und nach der Befreiung eine Initiative gegenüber der Justiz, um die Verantwortlichen für die Planung und Durchführung der Völkermordmaßnahmen gegen unsere Minderheit strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Sie mussten damals feststellen, dass viele der NS-Beamten, die unmittelbar an den Deportationen der Sinti- und Roma-Familien beteiligt gewesen waren, nach dem Krieg wieder in ihren alten Ämtern beschäftigt waren. Mein Vater und Vincenz Rose gründeten deshalb im Jahre 1948 die Organisation „Verband und Interessengemeinschaft rassisch Verfolgter nicht-jüdischen Glaubens deutscher Staatsbürger e.V.“ und erstatteten bereits im Juli 1948 Strafanzeige gegen Dr. Robert Ritter, den vormaligen Leiter der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“, und gegen weitere Organisatoren des Holocaust.

Sie schrieben damals an die Staatsanwaltschaft:  

„Sie werden verstehen, dass wir ein großes Interesse daran haben, diesen Mann unschädlich zu wissen, denn er war ja die Triebfeder, aufgrund derer viele ungezählte Menschen den Tod fanden, darunter aus meiner Familie allein dreizehn Personen.“

Weder Robert Ritter noch eine seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden jemals für ihre Taten belangt. Die Nachkriegsgeschichte und das Verhalten der Justiz, aber auch der Polizei und anderer Behörden in den Jahrzehnten nach 1945 haben gezeigt, wie tief das NS-Gedankengut in die Gesellschaft eingedrungen war.  Die Identität der Überlebenden unserer Minderheit und vor allem auch der Nachkriegsgeneration wurde durch diese personellen wie ideologischen Kontinuitäten schwer belastet.

Ich habe das als kurz nach dem Krieg Geborener selbst erfahren müssen.   Meine Sprache war deutsch, Deutschland war seit vielen Generationen die Heimat meiner Familie. Doch wie sollte ich eine nationale Identität entwickeln in einem Land, dessen Staatsapparat von alten Nazis durchsetzt war, dessen Behörden unsere Überlebenden kriminalisierten?

Um nicht ins gesellschaftliche Abseits gedrängt zu werden, sahen die meisten Sinti und Roma als einzigen Ausweg die Anonymität, das heißt die Zugehörigkeit zur Minderheit grundsätzlich zu verleugnen.   Die Folgen sind bis heute spürbar.

Eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung erfolgte erst durch die Bürgerrechtsarbeit und die Selbstorganisation der Minderheit, die mit dem historischen Hungerstreik von Überlebenden und von jungen Sinti an Ostern 1980 in der KZ-Gedenkstätte Dachau ihren Anfang nahm.   In der damals weltweit beachteten Aktion forderten sie erstmals öffentlich die Anerkennung und Aufarbeitung des NS-Völkermords an unserer Minderheit und die mit der Verfassung auch für uns garantierte, gleichberechtigte Behandlung als deutsche Bürger, die seit über 600 Jahren hier als nationale Minderheit beheimatet sind.   Sie verlangten das Ende aller diskriminierenden Behördenpraktiken.

Erst die Bürgerrechtsarbeit und der von ihr vorangetriebene Bewusstseinswandel in Staat und Gesellschaft hat auch innerhalb der Minderheit ein Bewusstsein für den Wert unserer Verfassung und der darin verbrieften demokratischen Rechte geschaffen.   Mit dem Grundgesetz konnten wir uns identifizieren, auf die in unserer Verfassung verankerten Grundrechte konnten wir uns in der politischen Auseinandersetzung berufen.

Gerade wir als Minderheit sind darauf angewiesen, dass diese Rechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern im Alltag auch eingelöst werden, dass sie mit Leben erfüllt werden. Dafür brauchen wir nicht zuletzt eine starke Zivilgesellschaft.

Mit Besorgnis beobachten wir wieder Akteure in öffentlichen Debatten, die zur negativen Stimmungsmache aufrufen und dabei Kriminalität Einzelner erneut zu einem Abstammungsmerkmal einer Volksgruppe machen wollen. Kriminalität, so verwerflich sie auch ist, hat nichts mit der Abstammung zu tun. Im Streben nach einer diskriminierungsfreien Gesellschaft ist es wichtig, die Errungenschaften unseres demokratischen Rechtsstaates hoch zu halten und unermüdlich deren Einhaltung anzumahnen. Auch heute geht es wieder darum, unsere freiheitliche, vielfältige Gesellschaft und die demokratischen Werte gegen alle verfassungsfeindlichen Bestrebungen entschlossen zu verteidigen.

Dieses gemeinsame Ziel teilen wir auch mit der Justiz, die einer der entscheidenden Träger der Demokratie ist, und  so verstehe ich auch die heutige Veranstaltung.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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