Zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und des 78. Jahrestages der Befreiung des NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau haben der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch und der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose heute die Vereinbarung „Gemeinsam gegen Antiziganismus – Erklärung des Bundeskriminalamts und des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zur künftigen Zusammenarbeit“ unterzeichnet.
Grundlage bildet die Arbeitsdefinition von Antiziganismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die das BKA aus diesem Anlass anerkennt. Sie ist ein wichtiges Werkzeug, um das Phänomen des Antiziganismus, dieser speziellen Form des Rassismus, der sich gegen Sinti und Roma richtet, zu identifizieren und ihm entschieden entgegenzutreten.
Die Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung erfolgte während einer Feierstunde im BKA Berlin, an der unter anderem die Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser, der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland, Dr. Mehmet Daimagüler, der Sonderbeauftragte im Auswärtigen Amt für die Beziehungen zu jüdischen Organisationen, Antisemitismusfragen, Holocaust-Erinnerung und Internationale Angelegenheiten der Sinti und Roma, Dr. Robert Klinke, der ehemalige BKA-Präsident Jörg Ziercke sowie der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, und BKA-Präsident Holger Münch teilnahmen.
Jörg Ziercke, von 2004 bis 2014 Präsident des BKA, sagte: „Die NS-Polizei hat bei der Judenvernichtung und bei der Vernichtung der Sinti und Roma eine aktive Rolle eingenommen. Zum Kernprojekt der NS-Kriminalpolizei entwickelte sich jedoch die Ausgrenzung, Deportation und Ermordung der Sinti und Roma.“ Zur Gründungsgeschichte des BKA sagt er: „Gut geknüpfte Netzwerke der Ehemaligen und eine auf Amnestie und Amnesie setzende Vergangenheitsbewältigung sorgten für das Bild einer vom Nationalsozialismus distanzierten Kriminalpolizei, das über Jahrzehnte aufrechterhalten blieb.“
Auf Initiative des damaligen BKA-Präsidenten begann das BKA ab 2007, die Geschichte des Amtes kritisch zu reflektieren und intensiv aufzuarbeiten, insbesondere im Hinblick auf seine Gründungsphase sowie strukturelle und personelle Kontinuitäten und Brüche in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des BKA wird seitdem in der Aus- und Fortbildung aktiv gefördert, seit jüngerer Zeit auch durch die Angebote des Wertebeauftragten im BKA.
BKA-Präsident Holger Münch: „Diese Aufarbeitung hat eine wachsende Beziehung mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ermöglicht. Im Gedenken an die Opfer des Holocaust und in dem Bewusstsein für die Verantwortung unseres eigenen Handelns heute formulieren wir in der neuen Kooperationsvereinbarung das klare Ziel, jegliche Form von Rassismus und Diskriminierung in- und außerhalb der polizeilichen Arbeit entgegenzuwirken.“
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma: „Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn ich den heutigen Tag als ‚historisch‘ bezeichne. Dass das Bundeskriminalamt und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma heute eine gemeinsame Vereinbarung über die zukünftige Zusammenarbeit gegen Antiziganismus unterzeichnen, muss als ‚Umbruch‘ im Umgang der Polizeibehörden mit unserer Minderheit nach 1945 bewertet werden. Dafür danke ich dem BKA und allen am Zustandekommen dieser Kooperationsvereinbarung beteiligten Personen.“
Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser: „Die deutschen Polizeibehörden registrieren jedes Jahr mehr als 100 antiziganistische Straftaten. Und leider müssen wir davon ausgehen, dass es ein erhebliches Dunkelfeld gibt. Wir müssen alles daransetzen, diese Straftaten ebenso wie auch Angriffe unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu verhindern. Die Polizei muss Antiziganismus erkennen, erfassen und entschlossen bekämpfen. Die Aufnahme der IHRA-Definition für Antiziganismus in den Themenfeldkatalog des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen politisch motivierter Kriminalität ist dafür ein wichtiger Baustein. Denn sie steht beispielhaft für das Bestreben, ein stärkeres Bewusstsein für Rassismus zu schaffen und die Polizei im Kampf gegen Antiziganismus weiter zu sensibilisieren.“
Mehmet Daimagüler, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland:
„Die Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition durch das BKA ist ein wichtiger Schritt, dem weitere folgen müssen. Auch der Gesetzgeber ist gefordert. Sinti und Roma werden regelmäßig zu Unrecht kriminalisiert und ebenso regelmäßig als Opfer von Hasskriminalität übersehen. Der Gesetzgeber sollte in § 46 StGB neben Antisemitismus auch Antiziganismus bei der Strafzumessung explizit benennen. Eine unterschiedliche Behandlung beim strafrechtlichen Schutz der Minderheiten ist weder juristisch noch politisch gerechtfertigt.“
Der Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amts zu internationalen Angelegenheiten von Sinti und Roma, Botschafter Dr. Robert Klinke, sagte:
„Die Übernahme der IHRA-Arbeitsdefinition durch das Bundeskriminalamt an diesem bedeutsamen Gedenktag ist ein wichtiges Zeichen für die Rechte von Sinti und Roma nicht nur in unserem Land. Mit ihr erweitern das BKA und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre arbeitsbezogenen Werte um ein Instrument, das dabei hilft, weit verbreitete antiziganistische Stereotypen zu erkennen, zu analysieren und zu dokumentieren. Möge dieser Schritt auch Ermutigung für andere sein, ebenfalls ein Zeichen zu setzen gegen nach wie vor bestehende Stigmatisierung und Ungleichbehandlung der größten Minderheit in Europa. Denn Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile gegenüber Sinti und Roma dürfen keinen Platz haben, weder bei uns noch in der europäischen und internationalen Zusammenarbeit.“