Leipziger „Autoritarismus-Studie“ zeigt den dringenden Handlungsbedarf, um Antiziganismus und andere Formen von Menschenfeindlichkeit zu ächten

Vorstellung der Leipziger Autoritarismus-Studie am 7.11.2018, Bundespressekonferenz Berlin

Die Universität Leipzig veröffentlichte am 7. November 2018 in Berlin die aktuellen Studienergebnisse zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. Dabei kommt die Leipziger Universität zu dem Resultat, dass sowohl rassistische wie auch sozialchauvinistische Tendenzen in der deutschen Gesellschaft weiter zugenommen haben.

Die bundesdeutsche Bevölkerung, so die Studie, ist von rechtsextremen Einstellungen durchzogen. Besonders stark trifft das auf die Bevölkerung im Osten zu. Außerdem zeigt sich eine hohe Bereitschaft, andere abzuwerten und die gleichberechtigte Position aller Menschen in der Gesellschaft teilweise in Frage zu stellen. Erschreckend ist zudem, dass weite Teile der Gesellschaft für rechtsextreme Ziele mobilisierbar sind. In Ost- wie Westdeutschland sind Ressentiments gegenüber Gruppen, die als fremd oder anders wahrgenommen werden, manifest oder mindestens latent vorhanden.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, hebt hervor, dass die Leipziger Autoritarismus-Studie den dringenden Handlungsbedarf von Staat und Gesellschaft unterstreicht, um Antiziganismus und andere Formen von Menschenfeindlichkeit zu ächten. „Die Studie bestätigt, worauf der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma seit Jahren hinweist, dass nämlich die jahrhundertealten Klischees des Antiziganismus virulent in der Mitte der Gesellschaft präsent sind und das antiziganistische Bild von der Minderheit prägen und tradieren. Es bedarf großer Anstrengungen des Rechtsstaats und seiner Bildungseinrichtungen diesen gefährlichen Einstellungen entgegenzuwirken, die schon in vielen Ländern Europas und in Deutschland durch antiziganistische Hetze zu zunehmender Gewalt gegen die Minderheit geführt haben.

Der Zentralrat sieht deshalb in dem Beschluss der Regierungskoalition, in der gegenwärtigen Legislaturperiode eine Expertenkommission Antiziganismus einzusetzen, die Anfang 2019 ihre Arbeit aufnehmen soll, einen wegweisenden Schritt. Wichtig und notwendig ist es jetzt vor dem Hintergrund der aktuellen Leipziger Studie, dass der Deutsche Bundestag die Berufung der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus politisch flankiert und einen entsprechenden gemeinsamen Entschließungsantrag der demokratischen Fraktionen verabschiedet.“

Das Leipziger Forschungsteam kommt zu dem Schluss, dass der massive Antiziganismus oft aus dem Blick gerät: 60 Prozent der Deutschen stimmen der Aussage zu, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigten. Im Osten glauben dies sogar 70 Prozent der Bevölkerung. Neben asylsuchenden Menschen ziehen Sinti und Roma die meisten Aggressionen auf sich. Demnach hätten 56 Prozent der Befragten Probleme mit Sinti und Roma in ihrer Nachbarschaft und 49,2 Prozent wollen sie aus den Innenstädten verbannen. Antiziganismus, so halten die Leipziger Forschenden fest, ist in den neuen Bundesländern verbreiteter als in den alten, wo der Sockel bereits sehr hoch ist. In den neuen Bundesländern leben nur sehr wenige Sinti oder Roma; ähnlich wie es dort einen Antisemitismus ohne Juden gebe, so gebe es dort einen Antiziganismus ohne Sinti oder Roma, so Rose.

Der Zentralratsvorsitzende Rose erklärte weiter:  „In der Gesellschaft werden die individuellen Erfahrungen der Betroffenen und die Auswirkungen von Rassismus kaum wahrgenommen. Vor allem Sinti und Roma erleben Antiziganismus im täglichen Leben, bei der Wohnungssuche wie am Arbeitsplatz. Viele Leistungsträger der Gesellschaft, die der Minderheit angehören, wählen deshalb die Anonymität aus Angst vor Diskriminierung. Dadurch werden sie nicht nur der Minderheit sondern vor allem auch der Wahrnehmung der Minderheit durch die Mehrheit der Gesellschaft entzogen. Es ist die Verantwortung des Staates insbesondere im Bildungsbereich, die rassistischen Denkmuster zu thematisieren und die 600-jährige Geschichte der Zugehörigkeit der Minderheit zu diesem Land, wie auch die kulturellen Leistungen von Sinti und Roma zu würdigen und die Bedeutung des Minderheitenschutzes angemessen zu vermitteln.“

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt es sehr, dass die Kultusministerkonferenz aktuell eine Empfehlung zur Vermittlung von Kenntnissen über Sinti und Roma in der Schule vorbereitet, die 2019-2020 beschlossen werden soll.

 

Link zur Studie: 
Leipziger Autoritarismus-Studie 2018. Flucht ins Autoritäre – Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft

Die Leipziger Studien zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland werden seit 2002 alle zwei Jahre von einer Arbeitsgruppe um Oliver Decker und Elmar Brähler der Universität Leipzig durchgeführt. Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 basiert auf einer repräsentativen Erhebung mit 2.500 Personen. Rechtsextreme Einstellungen werden entlang von sechs Dimensionen erfasst: Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.

https://www.boell.de/leipziger-autoritarismus-studie

Verwandte Themen und Beiträge:

Verwandte Veranstaltungen:

Donnerstag 16 Mrz 2017
Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände: Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016
Karlsruhe, Tollhaus
Alter Schlachthof 35, 76131 Karlsruhe