Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt den am 7. Oktober 2020 von der Europäischen Kommission vorgelegten neuen ‚Strategischen EU-Rahmen für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation von Sinti und Roma‘ für die Zeit von 2020 bis 2030. Bis September 2021 sind alle EU Mitgliedsstaaten aufgefordert einen „Nationalen Strategischen Rahmenplan für Sinti und Roma“ zu entwickeln. Die deutsche und portugiesische EU-Ratspräsidentschaft (2. Halbjahr 2020 / 1. Halbjahr 2021) übernehmen die wichtige Führungsverantwortung, dass sich alle EU-Mitgliedsländer und die Beitrittsländer aus dem Westbalkan mit einem starken und verbindlichen politischen Bekenntnis zur Umsetzung dieser Strategie verpflichten (Entwurf Ratsempfehlung).
I. Die Position des Zentralrats zur Umsetzung des post-2020 EU Rahmens in Deutschland
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erwartet an, dass die deutsche Bundesregierung noch vor Ende der Legislaturperiode einen „Bundesweiten Rahmen, bzw. Aktionsplan für die Bekämpfung von Antiziganismus und die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma“ entwickelt und beschließt. Die von der Bundesregierung im Frühjahr 2019 eingesetzte Unabhängige Kommission Antiziganismus wird voraussichtlich Anfang 2021 der Bundesregierung und dem Bundestag ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegen; der Zentralrat erwartet, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode mit der Umsetzung der Empfehlungen beginnt. Der vom Zentralrat angeregte Aktionsplan soll sowohl das Follow-Up der Unabhängigen Kommission Antiziganismus gewährleisten, als auch den zukünftigen post-2020 ‚EU Rahmen für Gleichbehandlung, Partizipation und Inklusion von Sinti und Roma‘ in Deutschland umsetzen.
Der Zentralrat fordert die Bundesregierung auf einen Dialog- und Konsultationsprozess mit Ländern und Kommunen, mit Selbstorganisationen von Sinti und Roma, mit der weiteren Zivilgesellschaft, sowie mit Facheinrichtungen zu koordinieren, um zukünftige Ziele und Maßnahmen zu definieren. Die Umsetzung des zukünftigen Aktionsplans erfordert eine Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt oder im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, vergleichbar mit dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Die Position einer/s Beauftragten der Bundesregierung für die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma und den Kampf gegen Antiziganismus muss mit einem angemessenen Mandat und den nötigen Ressourcen ausgestattet sein, sowie mit einem gesicherten Budget zur Maßnahmenförderung. Sie soll eine Bund-Länder-Kommission initiieren und von einem Beraterkreis unterstützt werden.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erwartet von der deutschen Bundesregierung, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma und die Bekämpfung von Antiziganismus als Schwerpunkte und Querschnittsziele in der Partnerschaftsvereinbarung zwischen Deutschland und der Europäischen Kommission für die Umsetzung der EU Fonds 2021-2027, sowie in der Umsetzung im Rahmen der operationellen Programme im ESF+ und EFRE verankert werden.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt als ersten Schritt in Richtung der Umsetzung der EU-Strategie den am 25. November 2020 vorgestellten Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Insbesondere misst der Zentralrat den gezielten Maßnahmen zur Bekämpfung des Antiziganismus eine wichtige Bedeutung zu, wie der Aufbau einer nationalen Kontaktstelle im Rahmen der EU-Roma-Strategie 2030, einer Unabhängigen Monitoring und Informationsstelle für rassistische, insbesondere antiziganistische Übergriffe sowie die Evaluation von politischen Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung von Antiziganismus im Zusammenwirken mit der Zivilgesellschaft.
Im Mittelpunkt des Aktionsplans steht die Bekämpfung von Antiziganismus. Der Aktionsplan beruht im Kern auf einem „Mainstreaming“ Ansatz, der gleichzeitig spezifische Maßnahmen und Programme zur Bekämpfung von Antiziganismus und zur Stärkung der gleichberechtigten Teilhabe und zum Empowerment von Sinti und Roma ermöglicht. Der Aktionsplan berücksichtigt die Verpflichtungen der Bundesregierung im europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, die EU und internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung sowie die Handlungsstrategien zur Inklusion von zugewanderten Menschen.
Die Anerkennung der Diversität von Sinti und Roma in Deutschland ist ein zentraler Ausgangspunkt. Sowohl deutsche Sinti und Roma, als auch in den letzten Jahrzehnten zugewanderte Roma (Staatsbürger von EU-Mitgliedsstaaten sowie Staatsbürger von Drittstaaten außerhalb der EU, insbesondere aus den Ländern des Westlichen Balkans) sind unmittelbar von Antiziganismus betroffen, was einen übergreifenden Ansatz nötig macht.
Der zukünftige Aktionsplan baut auf den Erfahrungen aus der EU-Roma-Strategie (European Framework for National Roma Integration Strategies) von 2011 bis 2020 und die in Deutschland umgesetzten „Integrierten Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma“ auf.
Als Grundlage für diesen Prozess legt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Zusammenarbeit mit dem Verein Sozialfabrik – Forschung und Politikanalyse und dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma drei zivilgesellschaftliche Monitoringberichte zur Umsetzung der bisherigen „Integrierten Maßnahmenpakete“ (2011-2020) vor.
II. Zum Hintergrund der europäischen Rahmenstrategie
II.1 Der Europäische Rahmen für Nationale Roma Integrationsstrategien 2011-2020
Die Europäische Union verabschiedete 2011 den sogenannten „EU Rahmen für nationale Roma Integrationsstrategien“; darin wurden alle Mitgliedsländer aufgefordert eigene nationale Handlungsstrategien oder integrierte Maßnahmenpakete zur Inklusion der Roma in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Wohnen und Gesundheit zu entwickeln und umzusetzen. Die Europäische Kommission sollte die Mitgliedsländer durch Wissens- und Erfahrungstransfer, sowie durch Policy-, Rechts- und Finanzierungsinstrumente unterstützen. Im Dezember 2013 verabschiedeten die Mitgliedsstaaten im Rat der Europäischen Union die Ratsempfehlungen „Council Recommendations of 9 December 2013 on effective Roma integration measures in the Member States“, durch welche sie sich verpflichteten, Fortschrittsberichte über die Umsetzung der EU Strategie vorzulegen.
Die Ratsempfehlungen von 2013, wie auch die Ratsbeschlüsse von Dezember 2016 stärkten den Fokus, dass die Mitgliedsstaaten die Diskriminierung von Sinti und Roma zentral bekämpfen sollen, was durch die Race Equality Directive (Umsetzung in Deutschland im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) bereits rechtlich verbindlich in der EU verankert ist. Zwischen 2014 und 2016 setzte die EU Kommission zum ersten Mal in diesem Feld ihre rechtlichen Instrumente ein, indem sie Vertragsverletzungsverfahren gegen Tschechien, Slowakei und Ungarn eröffnete auf Grund der dortigen massiven Bildungssegregation und -diskriminierung von Roma.
Am deutlichsten von allen EU Institutionen problematisierte das Europäische Parlament den tief in den europäischen Gesellschaften verankerten Antiziganismus als spezifische Form des Rassismus. Die EP Resolution von April 2015 anerkannte den Holocaust an Sinti und Roma im NS-besetzten Europa wie auch den Antiziganismus. In dem EP Bericht und der Entschließung von Oktober 2017 thematisierte das Europäische Parlament insbesondere den strukturellen und institutionellen Antiziganismus; worauf das EP eine Studie zu möglichen Ansätzen gegen Antiziganismus beauftragte und einen Interparlamentarischen Dialog mit Vertretern der nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten im Oktober 2018 einberief.
Im Jahr 2017-2018 griff schließlich die „High-Level Group on Racism and Xenophobia“ der EU Kommission das Thema Antiziganismus auf und veröffentlichte ein Ergebnispapier. Die österreichische EU Ratspräsidentschaft organisierte im November 2018 eine europäische Konferenz zur zentralen Frage, wie Antiziganismus in der zukünftigen Strategie über das Jahr 2020 hinaus bekämpft werden soll (Bericht).
Im Juli 2019 billigten die Premierminister der Westbalkanländer die Erklärung zur Integration der Roma (Poznan Declaration of Western Balkans partners on Roma Integration within the EU enlargement process) und verpflichteten sich bis zum Beitritt zu konkreten Fortschritten in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit, Wohnungswesen, Zivilstandswesen und Nichtdiskriminierung.
II.2 Evaluation der Umsetzung der europäischen Rahmenstrategie 2011-2020
Von 2017 bis 2018 führte die EU Kommission einen Evaluationsprozess zur Umsetzung der EU Strategie durch, der durch öffentliche (online) Konsultationen, staatliche und zivilgesellschaftliche Berichterstattung, Konsultations- und Evaluationstreffen begleitet wurde.
Der Umsetzungsbericht der EU Kommission vom 04.12.2018 präsentiert die Ergebnisse der Evaluation und thematisiert den Mehrwert eines EU Engagements im Politikfeld über 2020 hinaus. Der Bericht benennt strukturelle Hürden wie auch zentrale Elemente um den EU Handlungsrahmen zu verbessern: die Bekämpfung von Antiziganismus als Ausgangspunkt von Inklusionsstrategien, den Bedarf die Inklusion von Sinti und Roma in Mainstream-Politikansätzen zu stärken, die Stärkung der Partizipation von Sinti und Roma, die Anerkennung der Diversität innerhalb von Sinti und Roma, die Untersuchung von antiziganistischen Strukturen und die Erhebung von Gleichstellungs- und Partizipationsdaten, klare Zielsetzungen und Indikatoren sowie das Monitoring der Politikumsetzung.
Zwar zeigt die Evaluation einige Fortschritte in bestimmten Themenfeldern in den EU Mitgliedsstaaten auf, beweist aber gleichzeitig auch den dringenden Handlungsbedarf und die institutionelle Verantwortung angesichts eines zunehmenden Antiziganismus in Europa.
Der Umsetzungsbericht der EU Kommission vom 06.09.2019 präsentiert die Evaluationsergebnisse in den thematischen Feldern Bildung, Beschäftigung, Wohnen und Gesundheit, sowie eine Analyse der Umsetzung in allen Mitgliedsstaaten.
Die vorangegangenen Umsetzungsberichte der EU Kommission basierten nur auf der eigenen Berichterstattung und der Selbsteinschätzung der Mitgliedsstaaten. Im Jahr 2018 publizierte die EU Kommission zusammen mit dem Umsetzungsbericht ein „Staff Working Document“ mit der Zwischenbilanz und Evaluation des EU Rahmens für nationale Roma Integrationsstrategien, sowie eine externe Evaluation des EU Rahmens. 2019 wurden Informationen aus zivilgesellschaftlichen Monitoringberichten einbezogen, die im Rahmen des Pilotprojektes „Roma Civil Monitor“ von über 90 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Experten in 27 Mitgliedsländern erstellt wurden. Neben den Berichten der National Roma Contact Points und des Roma Civil Monitors, dienten eine Meta-Evaluation des EC Joint Research Centre sowie Berichte der EU Grundrechteagentur (FRA) als Grundlage (u.a. der Bericht „A persisting concern: anti-Gypsyism as a barrier to Roma inclusion“ von April 2018).
II.3 Der politische Prozess für eine europäische Rahmenstrategie post-2020
Das Europäische Parlament verabschiedete am 12. Februar 2019 eine Entschließung, in der es die EU Kommission und Mitgliedsstaaten aufforderte einen stärkeren „Strategischen EU Rahmen für Nationale Roma Integrationsstrategien“ für die Zeit nach 2020 zu entwickeln und die Bekämpfung von Antiziganismus als Priorität zu definieren. Bereits der Rat der Europäischen Union forderte im Ratsbeschluss vom 8. Dezember 2016 die Zwischenevaluation der EU Rahmenstrategie bis 2020, sowie die Entwicklung einer post-2020 Strategie und die Verbesserung der Ratsempfehlungen von 2013.
Zahlreiche Zivilgesellschaftliche Organisationen aus ganz Europa forderten von der EU und den Mitgliedsstaaten ein starkes Bekenntnis für einen post-2020 Strategischen EU Handlungsrahmen für die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma und zur Bekämpfung von Antiziganismus (weitere Positionspapiere sind hier online verfügbar). Die „Allianz gegen Antiziganismus“ forderte die Anerkennung einer Arbeitsdefinition zu Antiziganismus und veröffentlichte ein Positionspapier mit Empfehlungen zur Bekämpfung von Antiziganismus auf nationaler und europäischer Ebene.
Basierend auf dem Evaluationsprozess des EU Rahmens bis 2020 und auf den Berichten der Europäischen Kommission vom 04.12.2018 und vom 06.09.2019, führte die Europäische Kommission am 1. Oktober 2019 einen Workshop mit den Nationalen Roma Kontaktstellen (NRCP), mit Internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft durch, um zentrale Fragen für eine post-2020 Strategie zu konsultieren: Policy Options für einen EU Handlungsrahmen, das Monitoring von Fortschritt und die Erhebung von Daten, die Bekämpfung von Antiziganismus, die Stärkung von Partizipation und die Berücksichtigung der Diversität. Fokusgruppen und schriftliche Konsultationsverfahren mit diversen Akteuren flossen ein in externe Expertenberichte im Auftrag der EU Kommission zu den Themen Antiziganismus, Partizipation und Diversität. Die EU Grundrechteagentur (FRA) arbeitet an einem Indikatoren- und Monitoringrahmen.
Am 17.02.2020 veröffentlichte die EU Kommission eine „Roadmap“ für eine nicht-legislative Initiative für eine post-2020 EU Rahmenstrategie für Gleichbehandlung und Inklusion von Sinti und Roma. Die Roadmap begründet den Bedarf der zukünftigen EU Politik, skizziert den öffentlichen Konsultationsprozess und die Datengrundlage, sowie sie beschreibt die Ziele und inhaltlichen Schwerpunkte.
Am 7. Oktober 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission den neuen ‚Strategischen EU-Rahmen für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation von Sinti und Roma‘ für die Zeit von 2020 bis 2030. Bis September 2021 sind alle EU Mitgliedsstaaten aufgefordert einen „Nationalen Strategischen Rahmenplan für Sinti und Roma“ zu entwickeln.
II.4 Die EU-Präsidentschaft Deutschlands im 2. Halbjahr 2020
Am 12. Oktober 2020 wurde der neue EU-Rahmen bei einer High-Level-Konferenz zum EU-Rahmen für Gleichheit, Inklusion und Teilhabe bis 2030 vorgestellt. Die deutsche und portugiesische EU-Ratspräsidentschaft (2. Halbjahr 2020 / 1. Halbjahr 2021) übernehmen die wichtige Führungsverantwortung, dass sich alle EU-Mitgliedsländer und die Beitrittsländer aus dem Westbalkan mit einem starken und verbindlichen politischen Bekenntnis zur Umsetzung dieser Strategie verpflichten; von Oktober 2020 bis März 2021 wird unter deutscher und portugiesischer Ratspräsidentschaft im EPSCO-Council eine Ratsempfehlung verhandelt (Entwurf).
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma setzte große Erwartungen auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland am 1. Juli 2020 übernahm. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert, dass Deutschland in der EU-Ratspräsidentschaft deutlich Verantwortung übernimmt, damit die Bekämpfung von Antiziganismus ein fester Bestandteil sämtlicher Handlungsstrategien und damit zum Kern einer europäischen Rahmenstrategie für Sinti und Roma nach 2020 wird.
Der Deutsche Bundestag beschloss am 22. März 2019 den Antrag „Antiziganismus bekämpfen“ (Drucksache 19/8546), worin die Bundesregierung aufgefordert wird den Antiziganismus auf europäischer Ebene entschieden zu ächten, sowie zur Verbesserung der Lebenssituation von Sinti und Roma in den Mitgliedsstaaten der EU und des Europarats beizutragen.
Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, betonte in seiner Rede am 2. August 2019 zur Gedenkzeremonie in Auschwitz-Birkenau im Rahmen des „Europäischen Holocaust Gedenktages für Sinti und Roma“ die Unterstützung und Ziele der deutschen Bundesregierung:
„Seit einigen Jahren widmet sich die International Holocaust Remembrance Alliance der Aufarbeitung des Völkermords an den Sinti und Roma und treibt den wissenschaftlichen Austausch zu heutigen Formen von Antiziganismus voran. Ich hoffe, dass wir unter dem deutschen Vorsitz der International Holocaust Remembrance Alliance 2020/2021 daher auch eine internationale Definition verabschieden können, was Antiziganismus im Kern ausmacht. (…) Deutschland wird die EU-Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 nutzen, um das Bewusstsein für Versäumnisse zu schaffen und eine Nachfolgestrategie für die Zeit nach 2020 voran bringen, bei der die Mitgliedstaaten verbindlich Verantwortung für die Fortschritte in ihren Ländern übernehmen sollen. Auch während des deutschen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats ab Mitte November 2020 wird die Bekämpfung von Antiziganismus im Mittelpunkt unseres Engagements stehen. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die Bekämpfung von Antiziganismus in der Arbeit des Europarats eine noch wichtigere Rolle spielen wird.“
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht darin eine wichtige Führungsrolle der deutschen Bundesregierung, um den politischen Willen der EU Mitgliedsstaaten für die Bekämpfung von Antiziganismus und für eine post-2020 EU-Rahmenstrategie zu gewinnen. Zudem sollte die deutsche Bundesregierung während der EU Präsidentschaft eine Führungsrolle bei der Anerkennung und Bekämpfung des Antiziganismus in den EU Beitrittskandidaten im Westbalkan einnehmen.
Bereits im deutschen OSZE-Vorsitz 2016 thematisierte die Bundesregierung die wichtige Rolle der politischen Führungskräfte für die Bekämpfung des Antiziganismus. Auf der von Auswärtigem Amt, OSZE-ODIHR, Europarat und Zentralrat Deutscher Sinti und Roma organisierten Konferenz im September 2016 wurde die Initiative für den Aufbau einer „Interparlamentarischen Koalition zur
Bekämpfung des Antiziganismus“ vorgestellt. Es wäre ein wichtiger Schritt, wenn die deutsche EU Präsidentschaft und weitere Initiativen die Entstehung einer solchen parlamentarischen Koalition gegen Antiziganismus vorantreiben, um die Mitglieder aus den nationalen Parlamenten, aus den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der OSZE, ebenso wie aus dem Europäischen Parlament als wichtige Stimmen und Akteure für die Bekämpfung von Antiziganismus und für die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma zu stärken.
Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) verabschiedete 2017 eine Resolution, in der nationale Parlament aufgefordert werden gegen Antiziganismus und alle Formen von Rassismus zu mobilisieren, insbesondere durch das Engagement in Netzwerken wie in der „No Hate Parliamantary Alliance“.
Ebenfalls wegweisend für das deutsche Engagement ist die Einsetzung der Unabhängigen Kommission Antiziganismus durch die deutsche Bundesregierung im März 2019. In einer Entschließung des Europäischen Parlaments von Oktober 2017 empfiehlt dieses der Europäischen Kommission und den EU Mitgliedstaaten derartige „Expertenkommissionen“ zu Antiziganismus auf nationaler Ebene einzusetzen – auch sogenannte Kommissionen zur Wahrheitsfindung und Versöhnung (siehe auch die Konferenz „Creating Trust through Uncovering and Recognising the Truth: Advancing Recognition and Remedy for anti-Gypsyism“).
III. Die Umsetzung des EU-Rahmens in Deutschland
III.1 Bisherige Umsetzung der EU-Strategie in Deutschland 2011-2020
Die Bundesregierung setzt den „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma“ durch „Integrierte Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma in Deutschland“ um. In regelmäßigen Abständen veröffentlicht das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat diesbezüglich einen Fortschrittsbericht, zuletzt 2018.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma legt in Zusammenarbeit mit dem Verein Sozialfabrik – Forschung und Politikanalyse und dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Monitoringberichte zur Umsetzung der „Integrierten Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma in Deutschland“ vor.
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, schreibt in der Einleitung:
„Der Antiziganismus, diese spezifische Form von Rassismus, verhindert eine gleichberechtige Teilhabe von Sinti und Roma in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Wenn wir über die desolate Wohnsituation oder die in weiten Teilen schlechte Bildungssituation und die Segregation von Sinti und Roma in Schulen sprechen, dann müssen wir diese vielfach dokumentierten Benachteiligungen als das begreifen, was sie sind: nämlich als materiell gewordenen Rassismus. Diese Ablehnung, die zusammen mit dem seit Jahren anwachsenden extremen Nationalismus immer gewaltbereiter wird, bedroht zunehmend die Minderheit in nahezu allen europäischen Ländern.“
Bis heute werden in vielen Ländern Europas Sinti und Roma als ein vorgeblich ‚soziales Problem‘ gesehen, dessen Ursache in der unterstellten ‚Lebensweise‘ von Sinti und Roma selbst liege, was die Minderheit damit stigmatisiert. Regierungen ignorieren ihre Verantwortung für Roma als gleichberechtigte Staatsbürger ihrer Länder und leugnen die strukturellen Ursachen des Problems, den zugrunde liegenden Antiziganismus. Sie tragen so dazu bei, den Kreis von Ausgrenzung und Rassismus fortzusetzen und stetig zu reproduzieren. Den Betroffenen von strukturellem Rassismus wird selbst die Schuld oder zumindest eine Mitschuld an ihrer desolaten Lage zugeschrieben.
Die aktuellen Evaluationen der europäischen Rahmenstrategie für Sinti und Roma zeigen deutlich, dass die Bekämpfung der Wirkungsmechanismen des Antiziganismus eine zentrale Voraussetzung ist, damit Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsprogramme zum Erfolg führen.
Bisher wurden drei zivilgesellschaftliche Monitoringberichte für Deutschland erstellt. Im ersten 2019 veröffentlichten Bericht werden die Felder institutionelle Rahmenbedingungen, Gleichbehandlung und Antiziganismus analysiert. Im zweiten Bericht (2019) werden die Bereiche Bildung, Beschäftigung, Wohnraum und Gesundheit untersucht. Der dritte Bericht thematisiert Antiziganismus in der Verwaltung und Sozialen Arbeit. Die Berichte untersuchen kritisch die politischen Entwicklungen wie auch die Maßnahmen, welche die Gleichbehandlung von Sinti und Roma in Deutschland fördern sollen. Aus der Situationsanalyse werden konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet, die auf der in der praktischen Arbeit gewonnenen Expertise der während der Untersuchung befragten Organisationen basieren. Entstanden ist so ein in dieser Form bisher einzigartiges Erfahrungsbild lokaler Akteure.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert die deutsche Bundesregierung auf sich dafür einzusetzen, dass die Bekämpfung von Antiziganismus ein fester Bestandteil sämtlicher EU Handlungsstrategien wird und damit zum Kern einer europäischen Rahmenstrategie für die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma nach 2020. Deutschland soll eine tragende Kraft sein, auch basierend auf den eigenen Erfahrungen und der eigenen Geschichte, damit die Bekämpfung von Antiziganismus europaweit zu einer Priorität wird. Siehe online: Berichte
III.2 Unabhängige Kommission Antiziganismus
Am 22. März 2019 nahm der Deutsche Bundestag erstmalig einen Antrag „Antiziganismus bekämpfen“ mehrheitlich an, worin die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD die Einsetzung einer Unabhängigen Expertenkommission (UKA) beschlossen, welche eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen des Antiziganismus erarbeiten soll. Das Einvernehmen darüber, ein solches Gremium einzusetzen, schrieben die Regierungsparteien bereits ein Jahr zuvor am 14. März 2018 im Koalitionsvertrag fest. Damit wurde einer zentralen und langjährigen Forderung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma nachgekommen, sich aus der historischen Verantwortung heraus der Bekämpfung des Antiziganismus zu widmen.
Im Antrag heißt es: „Deutschland trägt vor dem Hintergrund des lange Zeit ignorierten Völkermords, der systematischen Entrechtung, Erniedrigung, Deportation und Ermordung von hunderttausenden Sinti und Roma im von Deutschland während des Zweiten Weltkrieges besetzten Europa eine besondere Verantwortung im Kampf gegen den Antiziganismus. […] Der Deutsche Bundestag ist dankbar, dass Sinti und Roma Deutschland nach 1945 nicht den Rücken gekehrt haben.“
Aus dieser Verantwortung leitet sich jedoch nicht nur die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlich tief verwurzelten Antiziganismus ab, sondern auch die Verpflichtung der Bundesregierung „jeder Form des Hasses gegen Sinti und Roma und dem Antiziganismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen zu begegnen. Aufgabe der Bundesregierung ist es, die Minderheiten zu schützen und zu fördern sowie ihrer Diskriminierung und Ausgrenzung entgegenzutreten“ und „Antiziganismus auf europäischer Ebene entschieden zu ächten.“
Wenige Tage nach der Bundestagsentschließung berief Bundesinnenminister Horst Seehofer elf Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis in die Unabhängige Kommission Antiziganismus (UKA). Der Minister unterstrich dabei die Bedeutung der Kommission für die zukünftige politische Ausrichtung bei der Bekämpfung des Antiziganismus. Es sei sein Wunsch und der Wunsch seines Ministeriums, dass die Kommission einen Abschlussbericht mit substantiellem Gehalt liefere.
Für die Arbeit der Kommission, deren Aufgabe es ist am Ende der Legislaturperiode einen Bericht zum Antiziganismus in Deutschland vorzulegen, stellt die Bundesregierung pro Jahr 550.000 Euro Haushaltsmittel zur Verfügung. Davon sollen unter anderem Teilstudien zu verschiedenen thematischen Schwerpunkten finanziert werden. Basierend auf den Untersuchungsergebnissen verfasst die Unabhängige Kommission Antiziganismus Empfehlungen und politische Handlungsstrategien zur Bekämpfung des Antiziganismus, welche Anfang 2021 der Bundesregierung und dem Bundestag vorgelegt werden sollen.
III.3 Vorschlag für einen partizipativen Prozess zur Entwicklung des Aktionsplans
Am 7. Oktober 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission den neuen ‚Strategischen EU-Rahmen für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation von Sinti und Roma‘ für die Zeit von 2020 bis 2030. Bis September 2021 sind alle EU Mitgliedsstaaten aufgefordert einen „Nationalen Strategischen Rahmenplan für Sinti und Roma“ zu entwickeln.
Der Zentralrat erwartet, dass die Bundesregierung Anfang 2021 die Handlungsempfehlungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus aufgreift und noch in dieser Legislaturperiode mit der Umsetzung beginnt. Der vom Zentralrat angeregte Aktionsplan soll sowohl das Follow-Up der Unabhängigen Kommission Antiziganismus gewährleisten, als auch den zukünftigen post-2020 ‚EU Rahmen für Gleichbehandlung und Inklusion von Sinti und Roma‘ in Deutschland umsetzen.
Die EU Rahmenstrategie formuliert wichtige Standards und Leitlinien für die Umsetzung in den EU Mitgliedsländern. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei die Partizipation von Sinti und Roma in allen relevanten Prozessen und auf allen Ebenen, u.a. in der Vorbereitung, Umsetzung und Evaluation/Monitoring der Strategie. Die Anerkennung der Diversität von Sinti und Roma in Deutschland ist ein zentraler Ausgangspunkt. Sowohl deutsche Sinti und Roma, als auch in den letzten Jahrzehnten zugewanderte Roma (Staatsbürger von EU-Mitgliedsstaaten sowie Staatsbürger von Drittstaaten außerhalb der EU, insbesondere aus den Ländern des Westlichen Balkans) sind unmittelbar von Antiziganismus betroffen, was einen übergreifenden Ansatz und eine angemessene Partizipation nötig macht.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma legt als Grundlage für diesen Prozess die Ergebnisse der zivilgesellschaftlichen Schattenberichte zur Umsetzung der bisherigen „Integrierten Maßnahmenpakete“ vor.
Der Zentralrat erwartet, dass die Bundesregierung vor Verabschiedung des Aktionsplans, bzw. bundesweiten Handlungsrahmens einen Dialog- und Konsultationsprozess mit Selbstorganisationen von Sinti und Roma, mit der weiteren Zivilgesellschaft, mit Facheinrichtungen sowie mit relevanten Behörden und Ministerien auf Länder- und Bundesebene koordiniert, um zukünftige Ziele und Maßnahmen eines „Aktionsplans für die Bekämpfung von Antiziganismus und für die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma“ zu entwickeln. Im jeweiligen Themenfeld sollen die Auswirkungen des (strukturellen) Antiziganismus und die Barrieren für die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma identifiziert, bisherige Ansätze evaluiert und Handlungsstrategien und Empfehlungen für den Aktionsplan (post-2020 Strategie) entwickelt werden.
IV. Neue Anforderungen des Zentralrats an den post-2020 EU Rahmen in Deutschland
IV.1 Institutionelle Rahmenbedingungen
Für die EU Strategie 2011-2020 ist die „Nationale Kontaktstelle für Sinti und Roma“ (National Roma Contact Point) im Referat HI6 (Nationale Minderheiten in Deutschland) im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat angesiedelt. Die Bundesregierung vertritt die Position, dass die Kontaktstelle keine Zuständigkeit hat, Programme zu entwerfen oder solche Programme mit den Fachministerien, den Bundesländern oder Kommunalverwaltungen abzustimmen. Die Bundesregierung begründet ihre Position im föderalen System Deutschlands und verweist darauf, dass die Kontaktstelle nicht in die Politik zu Sinti und Roma von Ländern, Städten und Gemeinden eingreifen darf. Die Verwaltung bearbeitet die Handlungsfelder der bisherigen EU-Strategie in unterschiedlichen Fachministerien nach dem Ressortprinzip.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma regt an, dass die deutsche Bundesregierung in Abstimmung mit Ländern und Zivilgesellschaft noch vor Ende der Legislaturperiode einen „Bundesweiten Rahmen, bzw. Aktionsplan für die Bekämpfung von Antiziganismus und die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma“ entwickelt und beschließt. Im Mittelpunkt des „Bundesweiten strategischen Rahmens“ steht die Bekämpfung von Antiziganismus. Der Aktionsplan beruht im Kern auf einem „Mainstreaming“ Ansatz, der gleichzeitig spezifische Maßnahmen und Programme zur Bekämpfung von Antiziganismus und zur Stärkung der gleichberechtigten Teilhabe und zum Empowerment von Sinti und Roma ermöglicht. Die Anerkennung der Diversität von Sinti und Roma in Deutschland ist ein zentraler Ausgangspunkt. Sowohl deutsche Sinti und Roma, als auch in den letzten Jahrzehnten zugewanderte Roma (Staatsbürger von EU-Mitgliedsstaaten sowie Staatsbürger von Drittstaaten außerhalb der EU, insbesondere aus den Ländern des Westlichen Balkans) sind unmittelbar von Antiziganismus betroffen, was einen übergreifenden Ansatz nötig macht.
Der Zentralrat erwartet, dass die Bekämpfung von Antiziganismus und die Umsetzung des zukünftigen Aktionsplans eine Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt oder im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat erfordert, vergleichbar mit dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Die Position einer/s Beauftragten der Bundesregierung für die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma und den Kampf gegen Antiziganismus muss mit einem angemessenen Mandat und den nötigen Ressourcen ausgestattet sein, sowie mit einem gesicherten Budget zur Maßnahmenförderung. Sie soll eine Bund-Länder-Kommission initiieren und von einem Beraterkreis unterstützt werden.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt als ersten Schritt in Richtung der Umsetzung der EU-Strategie den am 25. November 2020 vorgestellten Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Insbesondere misst der Zentralrat den gezielten Maßnahmen zur Bekämpfung des Antiziganismus eine wichtige Bedeutung zu, wie der Aufbau einer nationalen Kontaktstelle im Rahmen der EU-Roma-Strategie 2030, einer Unabhängigen Monitoring und Informationsstelle für rassistische, insbesondere antiziganistische Übergriffe sowie die Evaluation von politischen Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung von Antiziganismus im Zusammenwirken mit der Zivilgesellschaft.
IV.2 Empfehlungen für die Partnerschaftsvereinbarung zwischen Deutschland und der Europäischen Kommission für die Umsetzung der EU Fonds 2021-2027
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erwartet von der deutschen Bundesregierung, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma und die Bekämpfung von Antiziganismus als Schwerpunkte und Querschnittsziele in der Partnerschaftsvereinbarung zwischen Deutschland und der Europäischen Kommission für die Umsetzung der EU Fonds 2021-2027, sowie in der Umsetzung im Rahmen der operationellen Programme im ESF+ und EFRE verankert werden.
Dies ist eine elementare Grundlage für die Umsetzung des von der Europäischen Kommission am 7. Oktober 2020 vorgelegten ‚Strategischen EU-Rahmens für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation von Sinti und Roma‘ für die Zeit von 2020 bis 2030. Bis September 2021 sind alle EU Mitgliedsstaaten aufgefordert einen „Nationalen Strategischen Rahmenplan für Sinti und Roma“ zu entwickeln, der ein angemessenes Budget zur Implementierung und den Einsatz von EU Fördergeldern vorsieht. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für den mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 benennt die Inklusion von Sinti und Roma und die Bekämpfung von Antiziganismus und Diskriminierung als Schwerpunkte, insbesondere für den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+), den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE; European Regional Development Fund ERDF) und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER; European Agricultural Fund for Rural Development / EAFRD). Die Kommission empfiehlt eine doppelte Strategie, damit einerseits Programme und Angebote für Sinti und Roma inkludierend und zugänglich sind und damit andererseits gezielte Programme für benachteiligte Sinti und Roma entwickelt werden.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma regt an, dass die Bundesregierung im Rahmen der neuen EU-Förderprogramme der Umsetzung des neuen EU-Rahmens und der Bekämpfung von Antiziganismus eine große Priorität einräumt. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die notwendige Bekämpfung von Armut sowie für den gleichberechtigten Zugang für Sinti und Roma zu angemessenem Wohnraum, zu Beschäftigung, Bildung und Gesundheit. Aus Sicht des Zentralrats ist es wichtig, dass die Mainstream-Programme insbesondere im Bereich der Querschnittsziele zu Diskriminierung auch die Bekämpfung von Antiziganismus und die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma benennen. Zudem sollten benachteiligte Sinti und Roma als Zielgruppe definiert werden und nicht nur im Bereich „Menschen mit Migrationshintergrund“. Darüber hinaus empfiehlt der Zentralrat, dass in den operationellen Programmen des Bundes und einzelner Bundesländer eine spezifische Programmlinie für Empowerment und Inklusion von Sinti und Roma aufgenommen wird. Für den Zentralrat ist die Partizipation der Selbstorganisationen von Sinti und Roma in den jeweiligen Programmbeiräten eine notwendige Bedingung.
Die vollständigen Empfehlungen stehen zum Download zur Verfügung.
IV.3 Inhaltliche Anforderungen und Empfehlungen des Zentralrats
Bereich: Bekämpfung von Antiziganismus
- Annahme einer Arbeitsdefinition zu Antiziganismus (im Rahmen der IHRA), (institutionalisierte) Anerkennung von Antiziganismus in Politik und Gesellschaft, Einrichtung von institutionellen Verantwortungsstrukturen und Koordination auf Bundes- und Länderebene;
- Staatliches Monitoring und Intervention gegen Hasskriminalität, antiziganistische Gewalt, Rechtsextremismus;
- Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen Monitoring– und Informationsstelle Antiziganismus;
- Recht auf die Einreichung von Verbandsklagen und zur Prozessstandschaft, Verbesserung der Beschwerdemechanismen im Bereich der öffentlichen Behörden, Verbesserung der Antidiskriminierungsgesetzgebung insbesondere durch die Verankerung des Diskriminierungsschutzes im Bereich des öffentlichen Rechts;
- Das System der Antidiskriminierungsstellen zur Unterstützung und Beratung für Betroffene stärken; Sensibilisierung der Betroffenen für ihre Rechte und Stärkung des Zugangs und Vertrauens in Unterstützungsstrukturen;
- Empowerment von Sinti und Roma, Stärkung der Selbstorganisationsstrukturen und politischen und gesellschaftlichen Teilhabe: Empowerment-Programme zur Stärkung der Minderheit und der Selbstorganisationen;
- Thematisierung und Bekämpfung von (strukturellem) Antiziganismus in Polizei, Sicherheitsbehörden, Justiz, öffentlicher Verwaltung und im Bereich Soziale Arbeit und private Dienstleistungen: strukturelle (historische) Untersuchung und Aufarbeitung, Prävention und Sensibilisierung über Antiziganismus in Politik, Verwaltung und Gesellschaft (Anti-Bias-Ausbildung), Antidiskriminierungsansatz in allen sozialen Programmen verankern (ESF, EHAP, Soziale Stadt, Europäischer Fonds für regionalen Entwicklung).
siehe auch umfassende Handlungsempfehlungen der Allianz gegen Antiziganismus
Weitere Anforderungen aus Perspektive des Zentralrats an den zukünftigen Rahmenplan finden Sie im Positionspapier des Zentralrats, insbesondere für die Bereiche Medien, Bildung, Monitoring und Inklusion von zugewanderten Roma.